Was Comedy und Kabarett angeht, geht es fürchterlich öde zu in diesem Land. Mit wenigen Ausnahmen. Nicht anders ist es in den Vereinigten Staaten. Dank Netflix tauchen besondere Comedy-Specials wie Dave Chappelles „Sticks and Stones” ja zeitgleich auch bei uns auf, und man kommt beim Vergleich zu folgendem Fazit: In Zeiten, in denen selbsternannte Verteidiger der Rechte von allerlei Minderheiten mit Strichlisten an jedem Spielfeldrand stehen, um unpassende, ausgrenzende, beleidigende oder verallgemeinernde Aussagen zu ahnden, ist es fast unmöglich, witzig zu sein. Sprachregelungen und zu jeder Empörung entschlossene Kritiker atomisieren jede Überraschung, jede sprachliche Wendung und fangen vorauseilend selbst noch jede erdachte Kränkung ihrer Schutzbefohlenen-Zielgruppe mit religiösem Eifer ab. Überall lauern Fallstricke.
Die Liste der Tabu-Themen und ‑Zielscheiben des Spotts ist auf beiden Seiten des Atlantiks mittlerweile endlos. Klammert man Frauen, Schwarze, Ausländer, Alte, Junge, Behinderte (Achtung: Tabu-Tabu, hier muss man von Benachteiligten sprechen), Muslime, Migranten, LGBTs, Dicke, Dünne, Dumme und Demokraten aus, bleiben in den USA am Ende nur noch Maga-Heads und Trump selbst als legitime Zielscheibe des Spotts übrig – und Comedians wie Dave Chappelle sollen liefern. Buhhh … boring!
Doch Chappelle liefert nicht, stattdessen liefert er mit „Sticks and Stones“ ein (je nach Betrachtung) befreiendes oder erschütterndes Feuerwerk von Pointen, die so gar nicht „political correct“ sind. Die Lacher des Publikums kommen anfangs noch fast erstickt, ganz so, als ob die Zuschauer sich vor sich selbst erschrecken und sich fragen, ob man „über sowas“ überhaupt noch lachen dürfe. Im Verlauf der Show werden die Lacher befreiter, unmittelbarer. Die Frage, ob man über Minderheiten lachen darf, wurde in Deutschland vor langer Zeit von Harald Schmidt beantwortet, dann wieder vergessen, und es wird höchste Zeit, dass man sich daran erinnert: Ja, man soll. Man muss! Alles andere wäre ausgrenzend und diskriminierend.
Und so bekommt bei Dave Chappelle jeder sein Fett weg. Dass deutsche Kritiker wie Eva Thöne vom Spiegel dabei vor Wut schnauben und es so empfinden, als habe es Chappelle gerade auf Opfer sexuellen Missbrauchs oder die LBGT-Community abgesehen, zeigt nur, wie stark die Tabus sind, die Thöne einfach so hinnimmt, als wären sie in Stein gemeißelt.
Chappelle ballert munter in alle Richtungen
Sie sieht Dave Chappelle als „grantelnden Troll“, einige amerikanische Kritiker waren sogar der Meinung, Chappelle sei womöglich einfach zu alt für gute Comedy, was natürlich in einer perfekten Welt ohne Diskriminierung sofort als „Ausgrenzung des Alters“ mit Berufsverbot geahndet würde, wodurch sich die Minderheit der Alteleuteausgrenzer ausgegrenzt fühlen würde und so weiter und so weiter… Doch Spaß beiseite, seine Kritiker nehmen die LGBT-Witzchen Chappelles verdammt ernst! Eva Thöne schreibt dazu im Spiegel:
„Die Reaktionen waren auch so vernichtend, weil der Komiker sehr bereitwillig viel Munition liefert: Chappelle richtet sich während seiner 60-minütigen Show unter anderem auch gegen Frauen („Wenn Frauen genauso im Basketball wären wie Männer, würden sie in der NBA mit den Männern spielen”). Und – was besonders viel Kritik hervorrief – er macht sich über die mutmaßlichen Opfer von Michael Jackson lustig.“
Die Basketball-Pointe hat Thöne offensichtlich nicht verstanden, ebenso wenig die mit Michael Jackson, dem offensichtlich umso mehr ans Zeug geflickt wird, je länger er tot ist. Darum ging es übrigens in der kritisierten Szene in „Sticks and Stones“, nicht um die Verunglimpfung eines Opfers. Interessant ist aber Thönes Einschätzung, es gäbe „vernichtende Reaktionen“, und wenn man den bei ihr verlinkten Kritiken bei Vice oder The Guardian folgt, mag man zu diesem Urteil gelangen.
Generell arbeiten sich besonders vermeintlich „progressive“ Kritiker an Chappelle ab, der aus seinem offensichtlichen Vorteil so wenig Kapital schlägt und nicht wie andere ins „progressive“ linke Horn bläst. Denn: Chappelle ist schwarz und macht nicht einfach wohlfeile Witze über „white supremacy“ und Trump, sondern ballert munter in alle Richtungen. Das gefällt den linken Journalisten mit Agenda so überhaupt nicht, weshalb sie im Chor singen und Chappelles Programm in Grund und Boden kritisieren – imagine my shock!
Denn während Spiegel, Vice, Guardian und Co. aus den Fenstern ihrer Elfenbeinredaktionen „Nieder mit dem Häretiker“ brüllen, lacht sich Chappelles Publikum über dessen Gags schlapp – und über die Kritiker gleich mit. Die Medien machen „Sticks and Stones“ nieder, aber die Zuschauer bewerten das Programm bei „Rotten Tomatoes“ zu 99 Prozent positiv. Noch nie habe ich ein so eklatantes Auseinanderklaffen der Bewertungen von Medienkritik und Publikum gesehen!
Die Leute stimmen mit den Füßen ab
Nicht nur in Sachen Kabarett und Comedy klafft zwischen Medien und Publikum seit einiger Zeit eine gewaltige Lücke in der Wahrnehmung der Realität. Die klassischen Medien mögen vor einigen Jahren noch in der Lage gewesen sein, durch zielgerichtetes Hoch- und Niederschreiben in Kunst und Politik die Menschen in eine bestimmte Richtung zu schubsen. Dies gelingt jedoch immer weniger, und je hysterischer die Urteile der Medien- und Politikprofis ausfallen, umso misstrauischer werden die Leute – in allen Bereichen. Jede Horrormeldung, jede politische Anschmutzung oder Filmkritik lässt das Publikum vermuten, dass es manipuliert werden soll, in eine bestimmte Richtung zu denken. Häufig zu recht. Die meisten Leute mögen das aber ganz und gar nicht, passen ihr Verhalten dementsprechend an und machen sich selbst ein Bild, was ihnen im Zeitalter des Internet bedeutend leichter fällt als früher, als die Medien eine exklusive Vermittlerrolle innehatten.
Ergebnis ist der überall grassierende Vertrauensverlust der klassischen Medien. Diese wiederum glauben, den Vertrauensverlust und das Abrücken ihres Publikums dadurch überwinden zu können, indem sie noch lauter und schriller brüllen, noch „klarere Kante“ fahren und noch mehr „Haltung zeigen“. Jämmerliche Versuche, die genau das Gegenteil bewirken. Die Leute stimmen mit den Füßen ab, mit der Fernbedienung, am Zeitungskiosk oder, wie bei „Rotten Tomatoes“, mit Popcorn-Tüten: 28.000 Zuschauer gegen 13 Kritiker. „Critics, so sad“, wie Trump wohl sagen würde.
Falls Sie Netflix haben, liebe Leser, schauen Sie sich „Sticks and Stones“ unbedingt an. Chappelles geistige Beweglichkeit, gepaart mit beißendem Humor, der vieles ignoriert und auf den Kopf stellt, was sich in den letzten Jahren an „political correctness“ angesammelt hat, ist wirklich sehenswert. Vieles ist geradezu befreiend komisch! Ich hatte zwar manchmal Schwierigkeiten, Chappelles Dialekt zu verstehen, aber das muss ja nicht jedem so gehen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.