Roger Letsch / 09.09.2019 / 14:30 / Foto: John Bauld / 23 / Seite ausdrucken

Nicht ödes Kabarett – das gibts!

Was Comedy und Kabarett angeht, geht es fürchterlich öde zu in diesem Land. Mit wenigen Ausnahmen. Nicht anders ist es in den Vereinigten Staaten. Dank Netflix tauchen besondere Comedy-Specials wie Dave Chappelles „Sticks and Stones” ja zeitgleich auch bei uns auf, und man kommt beim Vergleich zu folgendem Fazit: In Zeiten, in denen selbsternannte Verteidiger der Rechte von allerlei Minderheiten mit Strichlisten an jedem Spielfeldrand stehen, um unpassende, ausgrenzende, beleidigende oder verallgemeinernde Aussagen zu ahnden, ist es fast unmöglich, witzig zu sein. Sprachregelungen und zu jeder Empörung entschlossene Kritiker atomisieren jede Überraschung, jede sprachliche Wendung und fangen vorauseilend selbst noch jede erdachte Kränkung ihrer Schutzbefohlenen-Zielgruppe mit religiösem Eifer ab. Überall lauern Fallstricke.

Die Liste der Tabu-Themen und ‑Zielscheiben des Spotts ist auf beiden Seiten des Atlantiks mittlerweile endlos. Klammert man Frauen, Schwarze, Ausländer, Alte, Junge, Behinderte (Achtung: Tabu-Tabu, hier muss man von Benachteiligten sprechen), Muslime, Migranten, LGBTs, Dicke, Dünne, Dumme und Demokraten aus, bleiben in den USA am Ende nur noch Maga-Heads und Trump selbst als legitime Zielscheibe des Spotts übrig – und Comedians wie Dave Chappelle sollen liefern. Buhhh … boring!

Doch Chappelle liefert nicht, stattdessen liefert er mit „Sticks and Stones“ ein (je nach Betrachtung) befreiendes oder erschütterndes Feuerwerk von Pointen, die so gar nicht „political correct“ sind. Die Lacher des Publikums kommen anfangs noch fast erstickt, ganz so, als ob die Zuschauer sich vor sich selbst erschrecken und sich fragen, ob man „über sowas“ überhaupt noch lachen dürfe. Im Verlauf der Show werden die Lacher befreiter, unmittelbarer. Die Frage, ob man über Minderheiten lachen darf, wurde in Deutschland vor langer Zeit von Harald Schmidt beantwortet, dann wieder vergessen, und es wird höchste Zeit, dass man sich daran erinnert: Ja, man soll. Man muss! Alles andere wäre ausgrenzend und diskriminierend.

Und so bekommt bei Dave Chappelle jeder sein Fett weg. Dass deutsche Kritiker wie Eva Thöne vom Spiegel dabei vor Wut schnauben und es so empfinden, als habe es Chappelle gerade auf Opfer sexuellen Missbrauchs oder die LBGT-Community abgesehen, zeigt nur, wie stark die Tabus sind, die Thöne einfach so hinnimmt, als wären sie in Stein gemeißelt.

Chappelle ballert munter in alle Richtungen

Sie sieht Dave Chappelle als „grantelnden Troll“, einige amerikanische Kritiker waren sogar der Meinung, Chappelle sei womöglich einfach zu alt für gute Comedy, was natürlich in einer perfekten Welt ohne Diskriminierung sofort als „Ausgrenzung des Alters“ mit Berufsverbot geahndet würde, wodurch sich die Minderheit der Alteleuteausgrenzer ausgegrenzt fühlen würde und so weiter und so weiter… Doch Spaß beiseite, seine Kritiker nehmen die LGBT-Witzchen Chappelles verdammt ernst! Eva Thöne schreibt dazu im Spiegel:

Die Reaktionen waren auch so vernichtend, weil der Komiker sehr bereitwillig viel Munition liefert: Chappelle richtet sich während seiner 60-minütigen Show unter anderem auch gegen Frauen („Wenn Frauen genauso im Basketball wären wie Männer, würden sie in der NBA mit den Männern spielen”). Und – was besonders viel Kritik hervorrief – er macht sich über die mutmaßlichen Opfer von Michael Jackson lustig.“

Die Basketball-Pointe hat Thöne offensichtlich nicht verstanden, ebenso wenig die mit Michael Jackson, dem offensichtlich umso mehr ans Zeug geflickt wird, je länger er tot ist. Darum ging es übrigens in der kritisierten Szene in „Sticks and Stones“, nicht um die Verunglimpfung eines Opfers. Interessant ist aber Thönes Einschätzung, es gäbe „vernichtende Reaktionen“, und wenn man den bei ihr verlinkten Kritiken bei Vice oder The Guardian folgt, mag man zu diesem Urteil gelangen.

Generell arbeiten sich besonders vermeintlich „progressive“ Kritiker an Chappelle ab, der aus seinem offensichtlichen Vorteil so wenig Kapital schlägt und nicht wie andere ins „progressive“ linke Horn bläst. Denn: Chappelle ist schwarz und macht nicht einfach wohlfeile Witze über „white supremacy“ und Trump, sondern ballert munter in alle Richtungen. Das gefällt den linken Journalisten mit Agenda so überhaupt nicht, weshalb sie im Chor singen und Chappelles Programm in Grund und Boden kritisieren – imagine my shock!

Denn während Spiegel, Vice, Guardian und Co. aus den Fenstern ihrer Elfenbeinredaktionen „Nieder mit dem Häretiker“ brüllen, lacht sich Chappelles Publikum über dessen Gags schlapp – und über die Kritiker gleich mit. Die Medien machen „Sticks and Stones“ nieder, aber die Zuschauer bewerten das Programm bei „Rotten Tomatoes“ zu 99 Prozent positiv. Noch nie habe ich ein so eklatantes Auseinanderklaffen der Bewertungen von Medienkritik und Publikum gesehen!

Die Leute stimmen mit den Füßen ab

Nicht nur in Sachen Kabarett und Comedy klafft zwischen Medien und Publikum seit einiger Zeit eine gewaltige Lücke in der Wahrnehmung der Realität. Die klassischen Medien mögen vor einigen Jahren noch in der Lage gewesen sein, durch zielgerichtetes Hoch- und Niederschreiben in Kunst und Politik die Menschen in eine bestimmte Richtung zu schubsen. Dies gelingt jedoch immer weniger, und je hysterischer die Urteile der Medien- und Politikprofis ausfallen, umso misstrauischer werden die Leute – in allen Bereichen. Jede Horrormeldung, jede politische Anschmutzung oder Filmkritik lässt das Publikum vermuten, dass es manipuliert werden soll, in eine bestimmte Richtung zu denken. Häufig zu recht. Die meisten Leute mögen das aber ganz und gar nicht, passen ihr Verhalten dementsprechend an und machen sich selbst ein Bild, was ihnen im Zeitalter des Internet bedeutend leichter fällt als früher, als die Medien eine exklusive Vermittlerrolle innehatten.

Ergebnis ist der überall grassierende Vertrauensverlust der klassischen Medien. Diese wiederum glauben, den Vertrauensverlust und das Abrücken ihres Publikums dadurch überwinden zu können, indem sie noch lauter und schriller brüllen, noch „klarere Kante“ fahren und noch mehr „Haltung zeigen“. Jämmerliche Versuche, die genau das Gegenteil bewirken. Die Leute stimmen mit den Füßen ab, mit der Fernbedienung, am Zeitungskiosk oder, wie bei „Rotten Tomatoes“, mit Popcorn-Tüten: 28.000 Zuschauer gegen 13 Kritiker. „Critics, so sad“, wie Trump wohl sagen würde.

Falls Sie Netflix haben, liebe Leser, schauen Sie sich „Sticks and Stones“ unbedingt an. Chappelles geistige Beweglichkeit, gepaart mit beißendem Humor, der vieles ignoriert und auf den Kopf stellt, was sich in den letzten Jahren an „political correctness“ angesammelt hat, ist wirklich sehenswert. Vieles ist geradezu befreiend komisch! Ich hatte zwar manchmal Schwierigkeiten, Chappelles Dialekt zu verstehen, aber das muss ja nicht jedem so gehen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

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Leserpost

netiquette:

Karsten Dörre / 09.09.2019

Wozu noch professionelle Kabarettisten und Satiriker? Am Freitagabend schrammte angeblich der DFB mit dem Begriff “Vollgas” an einem Eklat vorbei, weil es nazideutsch sei. Bald ist “deutsch” und “Deutschland” nazi.

Werner Arning / 09.09.2019

Ich stell mir so ein deutsches Comedian-Leben schrecklich langweilig vor. Mache ich nun einen Witz über Trump oder über die AfD? Danach bleiben nur noch Witze über Boris Johnson oder diverse andere, aus deutscher Sicht unerwünschte (also natürlich rechtspopulistische) Regierungschefs übrig. Und dann vielleicht noch ein Alibi-Witz über Merkel, SPD oder Grüne. Ganz harmlose. Nee, furchtbar langweilig. Comedy lebt doch vom Frechen. Vom Unkorrekten. Ist aber alles quasi verboten, verpönt. Und man will sich ja auch nicht über seine politischen Freunde lustig machen. Könnte ja am Ende jemanden in seinem Wahlverhalten beeinflussen. Entsetzlich. Bierernste Comedy. Bloß niemanden verletzen. Also, außer die üblichen Verdächtigen. Leute, fangt damit an, euch selber nicht so ernst zu nehmen. Ihr habt niemanden zu erziehen und keine politische Botschaft zu überbringen. Macht euch mal locker. Zu lachen gibt es in Deutschland genug. Ihr müsst euch nur rantrauen.

Thomas Taterka / 09.09.2019

@Wolfgang Lipper : Da hab ich auch schon Tränen gelacht ( James Brown - Parodie usw. ) In England gab’s und gibt es noch Lee Evans. Der kann Weltklasse sein, im Film und auf der Bühne. Funny Bones, Peter Chelsom.

Paul Diehl / 09.09.2019

Dagegen sind deutsche Regierungsclowns ungefähr so lustig, wie Stalins Unterhemden. Deutsches Kabarett ist mittlerweile so spassig, wie ein bunter Abend im Gulag. Politische Korrektheit und Haltungscomedy mit Moralsülze sind eben nicht witzig, außer man hat dasselbe Humorniveau, wie ein Erich Honecker.  Deutsche Staatsfernseh-Clowns sollten sich zusammen mit ihren müden AfD-Witzen in der Mottenkiste einbalsamieren lassen.

Marc Stark / 09.09.2019

Man stelle sich mal einen Dieter Hildebrandt, einen Gerhart Polt, die Monthy Phytons…. heute vor! Selbst ein extrem unpolitischer “Stromberg”, “Borat”, Brüno, ja selbst ein rücksichtsvoller “Loriot” .... Undenkbar heutzutage! Ich danke dem weissem, alten Mann und auch den alten, weissen Weibern, sowie ihren Gesinnungsgenossen von sonstwoher… das wir eine kurze Zeitspanne der ECHTEN Freiheit geniessen durften! Auch wenn es zu dieser Zeit so manche kleine Baustellen gab, die hätten wir auch noch geschafft, wenn man uns EINFACH IN RUHE GELASSEN HÄTTE! Stattdessen das heutige Irrenhaus, das exakt das Gegenteil von dem bewirkt wofür es vorgeblich* steht! ) (*Ich glaub da nicht Zufall/Inkompetenz…. DAS ist alles geplant… aber jenuch Aluhut, soll jeder für sich entscheiden….) Fakt ist: In JEDEM Faschismus stirbt zuerst die OFFENE Meinung! Sogleich dann die “versteckte Meinung”.Es gibt keinen einzigen Faschisten/Diktator der kritische, oder gar nur zweideutige “Witze” mag! Mein Lieblinsgwitz aus der DDR war jedenfalls: “Was unterscheidet einen Ossi und einen Wessi? Der Wessi liest die Zeitung und weiss, was in der Welt passiert ist! Der Ossi liest die Zeitung und weiss, was in der Zeitung steht!! Ossis lassen sich weniger ein X für U verkaufen! Das, und nur das, unterscheidetet vom Wessi! Die wählen nicht AFD weil der Thüringer Führer so lautstark auftritt, die haben nur begriffen, welcher Scheisshaufen am wenigsten stinkt! OHNE FLügel wäre die Ost-AFD bei schon bei über 30%! Der Ossi, wählt die AFD nicht WEGEN Flügel, er wählt sie TROTZ Flügel! macnhe trauen sich halt noch nicht! Jetzt ratet mal, wer daran die Schuld trägt? Diejenigen die denken, mit den 0.6 NPD Stimmen in Sachsen und nahezu NULLL in Brandenburg das GROßE ERWACHEN einzuleiten???  Diejenigen die den Invasoren ständig Intelligenz aberkennen, aber selber über Dunning-Krüger nicht hinauskommen???? Nach thüringer Modell wird die AFD niemals gesamtdeutdeutsch MASSENHAFT wählbar

Peter Wachter / 09.09.2019

Da mein Englisch (leider) nicht so gut ist, schau ich mir lieber die bösen, alten und weißen Engländer Monthy Python in deutsch an, Filmtip dazu: Deutschland gegen Griechenland - deutsche Version - YouTube. Aktueller den je.Viel Spaß!

Sanne Weisner / 09.09.2019

Stimmt, Chappelle ist wirklich eine Offenbarung und hat in der Medienwelt der USA wie eine Bombe eingeschlagen. Eine Freiheitsbombe, die immerhin mal kurz Luft an die durch modrigen Odem der Political Correctness und Identitätspolitik vermüffte US-Comedy rangelassen. Etwas, auf das wir hier noch warten müssen, denn unsere TV-Zensoren passen besser auf, wen sie das Mikro in die Hand drücken. Und so muss man in DE vor allem abseits der TV-Bespaßung nach befreienden Humor suchen.

A. Kaltenhauser / 09.09.2019

Harald Schmidt: “Der hat Neger gesagt” oder Fredl Fesl singt: “Steht ein Riesenneger im Nieselregen”. Einfach mal googlen ....

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