Es gibt in unserem Land eine Schicht, über die, oder besser über deren zunehmendes Fehlen, viel geschrieben wird: die sogenannten Fachkräfte, Techniker, der gut ausgebildete Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Heute geht es um den leisen Abschied der BASF, Auspuffanlagen und eine blaue Wand.
Montageeinsätze können auch lustig sein, je nachdem wo und unter welchen Umständen sie stattfinden. Letzte Woche war mein Bruder und Kollege Alfred, die „Rentnergang“ im Einsatz in der Pfalz, genauer im Bereich der Weinstraße, der sogenannten deutschen Toskana. Zwar war das Wetter wenig mediterran, aber Riesling und Saumagen nach Dienstschluss waren mehr als ausreichend vorhanden.
Der Arbeitsauftrag umfasste die Umrüstung von Werkzeugmaschinen und allgemeine Servicearbeiten. Die Herstellerfirma, bei der unsere „Helden“ vor Jahren gearbeitet haben, konnte oder wollte diese Aufträge nicht mehr abarbeiten. Mein Bruder meint, dass derartigen Einsätze durchaus lukrativ seien: Hohe Stundensätze garantieren einen sicheren Gewinn, Folgearbeiten sind planbar und schaffen eine optimale Ausnutzung des Arbeitskräftepotenzials.
Die Firma, bei der geschraubt wurde, war ein Autozulieferer, eine Branche, aus der zunehmend Hiobsbotschaften und Hilferufe kommen, bis hin zu Nachrichten über nicht unerheblichen Personalabbau. Hergestellt wurden hauptsächlich Auspuffanlagen. Da der Großteil der bundesdeutschen Autoflotte noch Kohlenwasserstoffe verbrennt und Abgase ausstößt, ist das erst einmal ein Produkt, dass weiter nachgefragt wird. Sollte die geplante Elektrifizierung und das Verbrennerverbot sich durchsetzen, dann sähe es natürlich völlig anders aus. In naher Zukunft ist das allerdings nicht zu erwarten, der Anteil von E-Autos ist im Grunde genommen noch marginal.
Das Thema BASF stand im Vordergrund
Interessanterweise wurden in der Firma Arbeitskräfte gesucht: Maschinenführer und Schweißer hauptsächlich. Der Meister der Abteilung, wo unsere Rentner wirkten, äußerte sich so: „Wenn ihr bei denen nicht mehr schaffen könnt, kommt ihr halt zu uns!“
Raucherpausen stellen für Monteure die Kommunikationsplattform der Wahl mit der Stammbelegschaft dar. Man lernt sich zumindest flüchtig während einer Woche kennen und tauscht Meinungen aus, oberflächlich vielleicht, aber doch interessant. Die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz war nicht zu spüren, allerdings stand das Thema BASF im Vordergrund. Ludwigshafen war nicht weit entfernt, mancher Verwandte oder Bekannte „schaffte“ bei dem Chemieriesen. BASF ist der bei weitem bedeutendste Arbeitgeber der Region.
Der Chef des Konzerns war in den letzten Monaten der, der am deutlichsten vor den Folgen der Energiekrise warnte. Chemie ist ein äußerst energieintensiver Produktionszweig. Bei den aktuellen Preisen ist die Rentabilität des Konzerns gefährdet. Mein Bruder handelt, wie ich schon schrieb, mit Aktien: Der Aktienkurs von BASF hat sich in den letzten fünf Jahren fast halbiert, so dass er mit einem Einstieg liebäugelte. Meinen Einwand, dass das Bestehen der Firma durchaus gefährdet sein könnte, tat er ab: BASF würde momentan schwerpunktmäßig außerhalb von Deutschland investieren, z.B. in China ein großes Werk bauen.
Die oft beschriebene Deindustrialisierung der BRD liefe so ab, dass einfach nicht mehr investiert werde, bzw. woanders investiert werde, eben dort, wo die Energieversorgung und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen günstiger seien: In den USA und in Asien. BASF sei schon lange kein deutscher Konzern mehr, sondern agiere weltweit. Klar, hierzulande würde kein Geld mehr ausgegeben. Die Anlagen liefen, bis sie abgeschrieben seien und das Monopoly ginge woanders weiter. Überdies habe er gehört, dass vor 20 Jahren deutsche DAX-Konzerne noch 50 Prozent ihrer Produkte im Land abgesetzt hätten. Jetzt wären es noch 20 Prozent. Also auch als Markt wird die BRD immer bedeutungsloser.
Ein Kollege deutet auf eine blaue Wand
Was diese Perspektiven für die Menschen in der Pfalz oder was das Aus von Ford für die Stadt Saarlouis bedeute, stehe auf einem anderen Blatt. Und: BASF produziert nicht nur Plaste und Elaste, Fertilizer und Farben: Man kann sagen, dass die Firma fast in allem, was hier auf den Markt kommt, an einem Punkt des Fertigungsprozesses mit drinsteckt. Bei einem Aus für BASF würden vermutlich nicht nur die Lieferketten reißen, wie weiland der Vorhang im Tempel, sondern auch die Nahrungskette. Kein Saumagen ohne BASF, und ob der Riesling noch in die Flasche kommt, ist ungewiss.
Auch über Politik wurde diskutiert: Das Misstrauen in die Ampel war überdeutlich, gerade unter der Industriearbeiterschaft. Mein Bruder meinte, die Affinität zur AfD wäre spürbar: Nicht expressis verbis zwar, aber doch andeutungsweise geäußert. Nach seiner Parteipräferenz gefragt, deutet ein Kollege auf eine blaue Wand, mehr nicht. Das könnte darauf hinweisen, dass auch bei Umfragen, was die AfD anbelangt, nicht ehrlich geantwortet wird. Deutlich wird daraus, dass sich diese Schicht von der gegenwärtigen Politik nicht mehr vertreten fühlt, auch von der CDU nicht.
Ein Thema der Raucherplatzgespräche war das Renteneintrittsalter. Mein Bruder plant, mit Abschlägen mit 63 aufzuhören und nur noch auf Minijobbasis zu arbeiten, also seinen Halbtagsjob noch weiter runterzufahren. Vor Jahren sei das in Gesprächen keine Option für die meisten Kollegen gewesen. Jetzt aber würde sehr häufig gesagt, dass man selbst so plane. „Und das sind nicht die Schlechtesten, die früher gehen wollen.“
Unsere beiden Rentner beendeten jedenfalls ihren Auftrag pünktlich und zur Zufriedenheit der Auftraggeber. Die „Schraubersolidarität“ war erfreulich, man wurde von den Stammleuten gut unterstützt. Weitere Aufenthalte vor Ort sind bereits im Gespräch. Und Durst ist schlimmer als Heimweh. Gelegentlich Saumagen ist auch nicht zu verachten. Kohl wusste, was er tat.