Von Gabor Steingart.
Das Hamburger G20-Spektakel hat nicht die Welt, wohl aber die innenpolitische Lage verändert. Wenn Max Weber recht hat, und „Staat diejenige menschliche Gesellschaft ist, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich beansprucht“, dann hat in Hamburg die Staatlichkeit einen Aussetzer gehabt. Was als Demonstration der Mächtigen gedacht war, endete in zweitägiger Anarchie.
Die politische Klasse rettete mit Hilfe von 20.000 Polizisten die Gipfelfassade, derweil Autos, Ladenlokale und Vorgärten verwüstet wurden. Es geht dabei nicht um VW Golf und Gartenzwerg. Es geht um unsere nach Respekt und Unverletzbarkeit strebende deutsche Seele, die am Wochenende tief verletzt wurde. Sicherheit ist eben nicht die Nebenbedingung, sondern die Voraussetzung von Freiheit.
Der große Verlierer des Ganzen heißt Olaf Scholz, der trotz hoher fachlicher und menschlicher Qualitäten nicht länger als SPD-Hoffnungsträger gelten kann. Ein Stadtoberhaupt, dessen Polizeibeamte die Wohnviertel des Bürgertums als „Peripherie“ klassifizieren, um sie abschließend an Radikale auszuhändigen, ist dabei, seinen Führungsanspruch zu verwirken. Scholz wird sich in den nächsten Tagen entscheiden müssen, ob er Kanzler der Bundesrepublik werden oder Schutzherr der Roten Flora bleiben will. Beide Funktionen schließen sich aus.
Verkehrte Welt: „Bild“ kämpft für die Aufklärung von Straftaten, derweil die Senatsspitzen von Berlin und Hamburg erwägen, die prekäre Lage rund um Rigaer Straße und Rote Flora ernst zu nehmen. Dabei wird die Freiheit der Deutschen nicht am Hindukusch, sondern zunächst mal in den Wohnvierteln von Hamburg und Berlin verteidigt.
Zwischen trostlos und ärgerlich
Die Gipfel-Ergebnisse wurden in all dem Getöse kaum mehr einer seriösen Bewertung unterzogen, dabei schwanken sie, je nach Thema, zwischen trostlos und ärgerlich. Trump konnte seine „America first“-Politik in das Schlusskommuniqué mogeln. Beim Klimaschutz will man uns das Zusammenstehen aller gegen Trump als Sieg verkaufen. Die großen Konfliktherde Iran, Ukraine, Syrien und Nordkorea köcheln weiter dem Siedepunkt entgegen. Eine ungeklärte Weltlage blieb in Hamburg ungeklärt. Angela Merkel ist nicht die Siegerin dieses G20-Wochenendes, sie ist die, die davongekommen ist.
Outsourcing funktioniert auch als politisches Konzept, glaubt das Merkel-Team. Kunstvoll versucht man, die Niederlagen des G20-Gipfels auf andere umzubuchen. Die Polizei wird öffentlich gelobt und intern verantwortlich gemacht. Die Bundes-CDU stützt Scholz, während die Hamburger CDU ihn kippen will. Die inhaltliche Dürftigkeit des ganzen Spektakels wird als Realpolitik verkauft.
Das eben hat Politik mit Bildhauerei gemeinsam: Das Rohmaterial wird so lange verformt und verfremdet, bis es dem künstlerischen Ausdruck dienlich ist. Als Rohmaterial dient in diesem Fall die Wirklichkeit. Jetzt wird nur noch ein williger Käufer gesucht. Freunde der abstrakten Kunst bitte melden!
Dieser Beitrag erschien zuerst als Handelsblatt-Morningbriefing hier.