Das Urteil kassierte nicht irgendein Projekt der Landesregierung von Berlin, als das Bundesverfassungsgericht am vergangenen Donnerstag (15. April) das Gesetz der Hauptstadt über den „Mietendeckel“ für null und nichtig erklärte. Weil es mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Nein, die staatlich verordnete Absenkung der Wohnungsmieten war nicht weniger als eine von zwei großen Maßnahmen, die der Senat im Laufe dieser Legislaturperiode anschieben wollte. Es waren die beiden einzigen. Und alle beide sind sie gescheitert, als Rohrkrepierer. Der Senat, die rotrotgrüne Koalition (R2G) im Berliner Rathaus, kann jetzt nur noch mit leeren Händen in den Wahlkampf ziehen bis September, wenn gleichzeitig mit dem Bundestag auch das Abgeordnetenhaus, das Stadtparlament gewählt wird.
Das andere Vorhaben war das Mobilitätsgesetz, mit dem die Regierung den Verkehr in der Hauptstadt auf eine neue Basis stellen wollte: Förderung von öffentlichem Nahverkehr, mehr Sicherheit und Vorfahrt für Radfahrer, Einhegung des ausufernden Autoverkehrs. Klang gut, als dieses Gesetz vor inzwischen drei Jahren unter beispiellosem Trara verabschiedet wurde. Mit großen Worten beanspruchte man, beim Verkehr nun Maßstäbe zu setzen für die ganze Republik. Doch es wurde ein ebensolcher Schuss in den Ofen wie der Mietendeckel. Umgesetzt nämlich wurde beim Verkehr in den Jahren seither so gut wie nichts. Am unzuverlässigen Bus- und Bahnverkehr hat sich nichts geändert, der Autoverkehr wächst und wächst, steht und steht, bahnt sich mit Navi-Steuerung immer penetranter den Weg durch die Wohngebiete, bedrängt den Radverkehr mehr denn je. Eine wachsende Zahl völlig unkoordinierter Baustellen, die nie wieder verschwinden, bringt die Pendler zur Verzweiflung. Die Radfahrverbände protestieren immer lauter, weil sich auch für ihre Klientel nichts tut, alle paar Wochen wird eine Radfahrerin totgefahren, meist von LKW an unsicheren Kreuzungen.
Der Senat zieht nun mit leeren Händen in den Wahlkampf…
Die Senatspolitik – eine einzige Pleite. Anzubieten hätte die Koalition nach ihren beiden gescheiterten Renommierprojekten allenfalls den Ukas an ihre Verwaltung, die amtliche Korrespondenz gefälligst in gegenderter Sprache zu führen, eine Verwaltung, die ansonsten für die Bürger nicht existent ist, diese nur noch in die Verzweiflung treibt. Sowie ein Dauerchaos in der Schulpolitik. Ach ja, und dann noch das so bewährt friedliche und freundliche Nebeneinander der Polizei mit den Dealern und der gewalttägigen Besetzerszene. Das waren dann schon alle Aktiva von R2G. Dass sie deshalb Probleme zu gewärtigen hätten bei der Wahl, steht nicht zu befürchten. Die Berliner Wähler stehen zum Scheitern ihrer Politiker. Sie wollen keine anderen. Die Mehrheit für sie steht „strukturell“, um es vornehm auszudrücken.
Genau das zeigt sich jetzt nach dem eigentlich doch krachenden Scheitern des Mietendeckels vor den Wächtern der Verfassung. Wer jetzt gedacht hat, im Senat würde man eingestehen, man hätte besser die Finger gelassen von dem Gesetz, das nicht nur dem Grundgesetz widerspricht, nein, dessen Scheitern von jedem Juristen, der nicht Ideologie übers Recht stellt, prophezeit wurde, das einen Großteil der Mieter in der Stadt in Illusionen gestürzt und ihnen jetzt Mietrückstände in insgesamt sechsstelliger Millionenhöhe beschert, das die Immobilienwirtschaft, die doch dringend Wohnungen bauen soll, in tiefe Verunsicherung gestürzt hat, das den Immobilienmarkt aushebelte – wer nun deshalb Reue bei den Verantwortlichen erwartet hatte, der kann jetzt die Denkweise der Berliner Politik kennenlernen.
Unmittelbar nach dem Urteilsspruch zeichnete sich in der Stadt die künftige Lesart des Senats ab, das „Narrativ“, wie man heute sagt, das den Umgang mit der veritablen Niederlage kennzeichnet. Am klarsten mit drei Worten zu umreißen: Jetzt erst recht! Und wer jetzt das Ohr in die Stadt hält, spürt: Genau diese Haltung scheint auf Akzeptanz zu stoßen. Der Tagesspiegel verglich am Tag des Urteils die Juristen des Senats mit nachholbedürftigen Studenten, als er schrieb, die die Begründung der Verfassungsrichter käme „wie ein Repetitorium im Staatsorganisationsrecht daher“. Mit anderen Worten: Lieber Senat, setzen, sechs!
…und kann sich seiner Wiederwahl dennoch sicher sein
Es ist eigentlich ganz einfach: Der Bund hatte durch seine Mietpreisbremse den Mieterschutz bereits geregelt, und in so einem Fall haben Landesparlamente ganz einfach kein Recht, hierbei nach eigenem Gutdünken nachzubessern. Inhaltlich haben sich die Karlsruher Richter überhaupt nicht eingemischt, ob der Mietendeckel etwa die Vertragsfreiheit (Art 2 GG), die Garantie des Eigentums (Art 14 GG), den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 GG) oder andere Grundsätze unseres Rechtssystems einschränken würden. Entsprechende Klagen lagen in Karlsruhe auch vor, doch die behandelte man erst gar nicht, weil das Berliner Gesetz allein schon formal verfassungswidrig war, und sich so jede inhaltliche Prüfung des Gesetzes erübrigte.
Das war im Grunde auch gar nicht nötig. Hinweise darauf, dass der Mietendeckel eher schädlich als nützlich wäre für die Mieter in Berlin, und das ist die weit überwiegende Mehrheit seiner Bewohner, gibt es heute bereits genug. Sie wurden hier bei Achgut kürzlich sehr trefflich von Hubertus Knabe dargelegt. Auch der „Tagesspiegel“ hat analysiert, warum es genau der Mietendeckel war, der im vergangenen Jahr zu einem abrupten wie katastrophalen Einbruch im Angebot führte für all diejenigen, die eine Wohnung suchten. Und er hat auch noch einmal daran erinnert, dass 2020 das vierte Jahr in Folge war, in dem die Zahl der Anträge für den Neubau von Wohnungen zurückging. Und das ist der Zukunftsindikator. Es stimmt zwar, dass im vergangenen Jahr nochmal eine Steigerung bei der Anzahl fertiggestellter Wohnungen erzielt wurde. Die spiegelt aber die Politik aus vergangenen Legislaturperioden wider, von Rotschwarz, als eben die Bauanträge auch noch vermehrt einliefen.
Die derzeit so nachhaltige wie fatale Tendenz ist Beleg dafür, dass sich die (erklärtermaßen und bekennend) investitionsfeindliche Politik und Öffentlichkeitsarbeit des Senats und der sie tragenden Parteien die Früchte trägt, die offenbar gewünscht sind, und zwar seit Jahren: Die Privatwirtschaft verliert die Lust, Wohnungen zu bauen. Linke und Grüne werden nicht müde, generell, prinzipiell und so oft es geht die Begriffe „Rendite“ oder „Profit“ im Zusammenhang mit der Wohnungswirtschaft zu verteufeln. Von „Ertrag“ reden sie eher nicht, klingt zu harmlos. Als ob als Plan B altruistische Kapitalgeber oder Kleinsparer Schlange stünden, um ihr Geld in Neu- und Ausbau zu stecken, ohne selbst irgendwie davon profitieren zu können. Ständig am Kochen gehaltene Initiativen zur Enteignung von Wohnungsbaugesellschaften, an denen sich auch namhafte Vertreter der Senatsparteien leidenschaftlich beteiligen, tun ihr übriges.
Die Stimmung, die so erzeugt wird, ist durchaus erwünscht: Bleibt weg, wir brauchen euch nicht. Nur: Um den Ausfall privater Initiative durch einen dann nötigen massiven Zuwachs an staatlichem Wohnungsbau zu leisten, fehlt dem Senat Saft und Kraft. Selbstgeschaffene Bürokratie, stetig steigende Auflagen für die energetische Ausstattung und ähnliche Hürden machen das auch nicht einfacher. Der Trend geht abwärts. Doch nach aller Erfahrung schmälert diese Politik auch nicht die Wahlchancen. Antikapitalismus ist in der Stadt des öffentlichen Dienstes und Headquarter der Zivilgesellschaft einfach mehrheitsfähig, eignet sich bestens für Propaganda. Da nutzen einschlägige Erfahrungen aus der jüngeren Geschichte nichts, der Stachel löckt immer wieder. Die Umfragen bleiben trotz allem stabil, die Mehrheit steht, als ritte die Berliner Wohnungspolitik von Erfolg zu Erfolg. Nur eine Frage bleibt. Ob die SPD oder die Grünen im Rathaus in die Chefetage einziehen.
Aus krachender Niederlage wird Heldentum
Zu solchen großen darf man sich dann auch nach Belieben die kleinen Pleiten leisten, die peinlichen. Durch Muskelspielchen versucht manch rotrotgrüner Bezirksfürst in Berlin schon mal vorzuführen, dass er als Staat sowieso alles besser kann als private Initiativen. Verhebt er sich dabei, macht ihn das nur salonfähiger. Zum Beispiel der Baustadtrat von Kreuzberg, der mit seinem amtlichen Vorkaufsrecht mit Freude privaten Interessenten Mietshäuser vor der Nase wegschnappte. Dies allerdings zum Leidwesen des Senats, nein, des Steuerzahlers, als hinterher urplötzlich herauskam, dass der Bezirk überhaupt gar keine Mittel dafür hatte und die Landesregierung für alles aufkommen musste. Über einen fälligen parlamentarischen Untersuchungsausschuss versuchte er sich durch fast schon kriminelle Aktenmanipulation hinwegzuretten. Er flog auf, Stadtrat ist er immer noch. Die Titelzeile der Stadthymne steht nach wie vor: Berlin bleibt doch Berlin.
Um all diese Widrigkeiten des Gesetzesvorstoßes hat sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil nicht gekümmert, als es das Land in der Frage schlicht für unzuständig erklärte – nicht mehr und nicht weniger. Dies aber wird jetzt von der Linken oder der SPD, etwa von Kevin Kühnert, wahrheitswidrig so interpretiert: Die Karlsruher Richter hätten doch nur mit viel Bedacht aufzeigen wollen, dass eben jetzt der Bund mit so einem Gesetz herüberkommen müsse. Denn ohne gehe es nicht, das sei schließlich allen klar. Die Parole ist schon gefunden: Der Berliner Deckel ist tot. Es lebe der „Bundesdeckel“.
Und so kann man sich darauf einstellen, dass der Senat seinen krachenden Misserfolg ab sofort im Wahlkampf in ein Heldentum aus der Hauptstadt uminterpretieren wird: Wir hier in Berlin waren es, die mit dem Gesetz die ganze Debatte um den Deckel angeschoben haben, haben das Opfer der Niederlage bewusst in Kauf genommen. Das war bitter nötig. Sorry, liebe Mieter, dass wir euch erstmal in Illusionen stürzen mussten. Okay, wenn ihr jetzt mit den nötigen Mietnachzahlungen, die oft in die Tausende gehen, in Probleme geratet – keine Sache, wir übernehmen das, mit einem öffentlich gespeisten Härtefonds (der tatsächlich jetzt im Gespräch ist). Der Steuerzahler hat’s ja, und was wir dem Kreuzberger Stadtrat nach seinem Vorkaufs-Größenwahn rübergeschoben haben, das muss für euch natürlich erst recht drin sein. So oder so: Stellt euch nicht so an, liebe Mieter, war doch nur gut gemeint, und hat doch geklappt, oder? Wir sind einfach voranmarschiert, als Pioniere. Kühnert for Kanzler!
Dazu passend fordert Kühnert jetzt auch, seine Partei solle ins Wahlprogramm aufnehmen, man wolle ab sofort jedes Jahr 100.000 Wohnungen bauen. Was deshalb besonders glaubwürdig klingt, weil die SPD ja erst jetzt in die Bundesregierung eintreten will. Und weil das so schön passt zu Kühnerts alter Forderung: „Jeder sollte maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt.“ Wohlgemerkt: „maximal“. Alles andere regeln wir schon, der Staat. Und so wird aus der Niederlage ein Sieg, das aussichtslose Abenteuer zur Erfolgsstory. Bis dann das Bundesverfassungsgericht auch über den Bundesdeckel entscheiden muss. Und auch dieser – wegen der genannten Grundgesetz-Artikel – womöglich scheitert. Vom bauwirtschaftlichen Scheitern ganz abgesehen. Doch bis dahin ist dann die Privatwirtschaft womöglich schon bundesweit erfolgreich aus der Wohnungswirtschaft verjagt. Und dann? Kommt es wie es kommen muss.
Das staatliche Wohnungsamt kommt – und teilt alle Wohnungen zu
Immer weniger Wohnungen und immer mehr Mieter, die sich wegen der künstlich stark gedrückten Preise die Wohnungen leisten können, manche gleich zwei oder drei, eine in München, eine an der Ostsee und eine im Schwarzwald. So wie die von Knabe zitierte SPD-Bundestagskandidatin, Anne Bressem, die nach dem Karlsruher Urteil in einem Tweet sich freimütig wie bitter (und vor allem tumb) beklagte: „Mit meinem Wechsel nach Erfurt konnte ich mich nicht von meiner zauberhaften kleinen Wohnung in Berlin trennen, der Mietendeckel war ein Segen. Das ist nun vorbei. Ich hab so Bock auf sozialdemokratischen Wahlkampf sag ich Euch.“ Warum nicht, gibt ja auch genug Wohnungen in der Hauptstadt. Wohnungsnot in Berlin? Nie gehört.
Bressems – inzwischen gelöschtes – Bekenntnis macht nicht nur das ganz persönliche Dilemma deutlich, dass stramme Sozialisten meinen, sich ihr Paradies einfach erträumen zu können. Sondern mehr noch das gesellschaftliche Dilemma, auf das eine solche zwangsbewirtschaftete Wohnungspolitik hinsteuert: Wer darf die knapper werdenden Wohnungen eigentlich mieten, wie läuft die Verteilung, wenn der Preis keine Rolle mehr spielt? Werden die Familien mit Kleinkindern ausgebremst, weil die Vermieter ihre Etagen lieber an saubere Rentner-Ehepaare vermieten, auch wenn sie keine fünf Zimmer brauchen, sich jetzt aber leisten können? Womöglich zusätzlich zur Zweitwohnung, noch besser geschont? Da fühlt sich doch jeder brave Sozialist in seinem Lenkungswillen gefordert.
Richtig: Für dieses Dilemma gibt es dann nur eine Lösung, hierzulande bestens bewährt im alten Osten: die Verteilung der knappen Wohnungen durch ein staatliches Wohnungsamt. Man bekommt einen Mietvertrag quer durch alle Wohnungsklassen nur noch auf Antrag und mit nachgewiesener Bedürftigkeit. Kinderreiche Familien bevorzugt, für Alleinstehende höchstens noch eineinhalb Zimmer, mehr braucht kein Single. Wenn schon sozialistische Wohnungspolitik à la DDR, dann auch richtig. Welcome back!