Thilo Sarrazin / 23.03.2019 / 06:25 / Foto: Achgut.com / 91 / Seite ausdrucken

Merkel – ein Fels in der Brandung

Die Europawahl rückt näher. Mit verschiedenen Initiativen hat die SPD in den letzten Wochen versucht, sich stärker von der Union abzusetzen und dabei ein linkes auf Umverteilung gerichtetes Profil zu schärfen. Zu den Forderungen gehören eine höhere Mindestrente für langjährige Beitragszahler, längere Bezugszeiten für das Arbeitslosengeld und eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. So hofft man, sich stärker von der nach links gerückten CDU/CSU abzusetzen und gleichzeitig Wähler von der Linkspartei zurückzugewinnen.

Auch im Umweltschutz versucht die SPD, die CDU/CSU unter Druck zu setzen. Die Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat ein Klimaschutzgesetz vorgelegt, dessen künftige Grenzwerte die Grenzen des Machbaren sprengen, ohne dabei Wege zur Umsetzung aufzuzeigen. So biedert man sich bei den Wählern der Grünen an, und der Union wird gleichzeitig in der großen Koalition die undankbare Rolle zugewiesen, Mäßigung und wirtschaftliche Vernunft einzufordern und auf die Grenzen des Machbaren hinzuweisen. 

Die Strategie der SPD scheint aufzugehen: Der Höhenflug der Grünen kam zum Stillstand, die Zustimmung zur Linkspartei bröckelt, und die weitere Ausdehnung der CDU/CSU in die Wählerschaft der SPD ist im Augenblick abgebremst. In den Umfragen ist die SPD wieder näher an die Grünen herangerückt. Sie kann sich Hoffnungen machen, bei der Europawahl vielleicht doch wieder zweitstärkste Partei zu werden.

Söder auf Schmusekurs

Bei der Union fährt der neugewählte CSU-Vorsitzende Markus Söder geradezu einen Schmusekurs gegenüber seiner CDU-Kollegin Annegret Kramp-Karrenbauer. Jede Erinnerung an vergangene Streitereien soll offenbar ausgelöscht werden. Das zahlt sich aus, die Union scheint sich bei Umfragewerten von knapp über 30% zu stabilisieren. Das ist zwar weit entfernt von früheren Höchstständen um 40%, aber doch eine verlässliche Bodenbildung.

Diese wird dadurch unterstützt, dass die Konjunktur in Deutschland offenbar stabil bleibt: Im Februar hat die Arbeitslosigkeit den niedrigsten winterlichen Wert seit der Wiedervereinigung erreicht. Die Haushaltslage ist günstig, der Leistungsbilanzüberschuss hoch. Die Zuwanderung von Fluchtmigranten bleibt innerhalb der selbst gesetzten Obergrenze von jährlich 200.000.

Hoffnungen – oder Befürchtungen – dass Angela Merkel als Bundeskanzlerin geschwächt sei, nachdem sie den Parteivorsitz aufgegeben hat, haben sich nicht bestätigt. Sie konzentriert sich auf Außenpolitik und scheint im Inneren mehr und mehr über den Niederungen zu schweben. Das lässt sich ohne weiteres noch die dreißig Monate bis zur nächsten Bundestagswahl durchhalten.

Merkel auf dem Weg zu einer Lichtgestalt der Weltpolitik

Im Gegenteil – angesichts von Brexit, Gelbwesten in Frankreich, Lega in Italien, einem erratischen Donald Trump und einem bedrohlich wirkenden undurchsichtigen Putin hat die Bundeskanzlerin das Zeug, in den nächsten Monaten und Jahren zu einer Lichtgestalt der Weltpolitik zu werden. Das macht ihre Fehler nicht kleiner. Die hat sie aber alle hinter sich, und neue Fehler sind nicht in Sicht. 

Vor diesem Hintergrund hält sich die AfD erstaunlich stabil. Während die Mitgliederzahlen bei CDU/CSU, SPD und Linken fallen und bei der FDP stagnieren, steigen sie bei der AfD und den Grünen. Der Aufstieg der AfD kam allerdings zum Stillstand. Bundesweit verharrt sie bei 12 bis 14 %, dem Niveau der Bundestagswahl von 2017. Das ist genau der Umfang, der der Union schmerzlich an ihren traditionellen Wahlergebnissen fehlt.

Das versucht die Union mit einer Doppelstrategie zu ändern:

- Einerseits werden konservative, einwanderungskritische Wähler wieder stärker umworben. Das geschieht durch eine vorsichtige Distanzierung von den Auswüchsen von Angela Merkels Willkommenskultur.

- Andererseits wird die Legitimität und demokratische Zuverlässigkeit der AfD auf breiter Front in Frage gestellt.

Die AfD wird zum Prüffall

In diesem Punkt sind sich alle etablierten Parteien in Deutschland einig und werden dabei von der Mehrzahl der Medien breit unterstützt. In diesem Zusammenhang machte es auch strategischen Sinn, dass es im Herbst 2018 der Bundesregierung gelang, den Präsidenten des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, abzulösen. Sein Nachfolger Thomas Haldenwang schlug gegenüber der AfD  einen wesentlich aggressiveren Kurs ein und erklärte die Partei im Januar in einer Pressekonferenz zum Prüffall für die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. 

Das schlug hohe Wellen. Die AfD klagte gegen ihre öffentliche Brandmarkung und bekam vor einigen Tagen vor dem Verwaltungsgericht Köln kurzfristig recht. Offen bleibt gegenwärtig, ob ihr dieser amtliche, offenbar von der Bundesregierung gedeckte Versuch zur Stigmatisierung genutzt oder eher geschadet hat. 

Nicht nur ist die Obrigkeitsgläubigkeit der Bürger eine alte deutsche Tradition, sondern es überlegen sich vor diesem Hintergrund viele Bürger ganz zu recht, ob sie nicht persönliche Nachteile erfahren, wenn sie sich zur AfD bekennen und in ihr engagieren. 

Offen bleibt auch, wie sich diese Debatte auf die Strömungen innerhalb der AfD auswirkt. Der sogenannte Flügel, eine informelle Organisation um den Thüringischen AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke, fällt immer wieder durch Äußerungen auf, die ins Deutschnationale oder Rechtsradikale abzugleiten drohen. Wenn die AfD zu einer rechten Volkspartei und langfristig koalitionsfähig werden will, wird sie die Abgrenzung klarer vornehmen müssen, als dies bislang geschieht.

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Hartmut Laun / 23.03.2019

Wenn schon Sturm und Brandung, dann war Merkel es selber die den Sturm entfacht hat und die das Schiff Deutschland gegen die Klippen lenkt, Und die dann als Fels zu benennen, das ist schon sehr dreist Herr Sarrazin. Was ist passiert, hat wer ihnen gedroht, dass sie plötzlich eine unfähige Bundeskanzlerin als Fels bezeichnen?

Walter Neumann / 23.03.2019

Merkel wird zur “Lichtgestalt” ? Da müssen sie aber eine schwache Lampe haben, Herr Sarrazin. Haben Sie jüngst nicht die NYT gelesen ? Totaler Verriss Ihrer Lichtgestalt, Scheinheilige, große Klappe (Multilaterismus etc.), praktisch aber nichts dahinter (siehe Kürzung der Verteidigung), so der Tenor des Artikels. Und “stabile Konjunktur” ? Jetzt bin ich aber sprachlos, Herr Sarrazin, liest der ehemalige Finanzsenator keine Konjunkturberichte ? Wir fahren volles Rohr auf eine echte Rezession zu, die mittelfristige Unterdeckung im Haushalt beträgt dreistellige Mrd.Beträge!  Was glauben Sie, warum unsere Lichtgestalt die Mittel für die Integration kürzt und diesen Ballast jetzt mehr oder weniger allein den Gemeinden überlässt ? Das wird dort harte Verteilungskämpfe auslösen, keine Kitas, Turnhallen, Kulturveranstaltungen etc, weil “wir das Geld für die Integration ausgeben müssen”. Sehr sinnvoll angelegtes Geld, wie die 50% Durchfallerquote bei den Sprachtests zeigt. Ich prophezeie, unsere Lichtgestalt wird sich baldmöglichst vom Acker machen, selbst die JU fährt jetzt hier einen knallharten Kurs.

Chris Groll / 23.03.2019

Sie haben Recht Herr Sarrazin, Frau Merkel wird bis zum Ende der Legislaturperiode Bundeskanzlerin bleiben. Sie wird aber nicht als Lichtgestallt sondern als Zerstörerin Deutschlands und Europas in die Geschichte eingehen. Und ständige negative Kritik an der AFD bringt Deutschland auch nicht voran, sondern wird es weiter spalten. Daß ein Herr Maaßen entlassen wurde, nur um gegenüber der AFD einen agressiveren Kurs einschlagen zu können, wirft doch ein schlechtes Licht auf den Deutschen Rechtsstaat. Aber die Obrigkeitsgläubigkeit der Bürger in diesem Land ist ohnegleichen. Demokratie können die Deutschen leider nicht.

Wolfgang Kaufmann / 23.03.2019

Gerade in der Außenpolitik wird Deutschland zunehmend unglaubwürdig. Einerseits keine funktionierende Armee und weiterer Rückgang der Verteidigungsausgaben, entgegen internationalen Verpflichtungen und Zusagen; andererseits eine gnadenlose Selbstüberschätzung beim Thema UN-Sicherheitsrat und Flugzeugträger. – Die Damen phantasieren über die Kür, während wir bei den Pflichten immer weiter zurückbleiben. Solche Luftnummern mögen die Stimmen einer Wählerschaft bringen, deren politische Bildung aus Apothekenrundschau und Katzenvideos besteht, und wie heißt diese Krankheit, wo man alles vergisst? Aber Verbündete wie Trump und Macron bemerken, dass sie verladen werden, und reagieren zunehmend sauer.

Gunther Lotze / 23.03.2019

Nein, diese Analyse ist höchst sachlich und trifft zu 100 % ins Schwarze. Für jeden unvoreingenommenen Beobachter zum 2. Teil des söchsischen AfD- Listenparteitags fielen die Probleme der Partei wie Schuppen aus den Haaren. Sie ist dort angekommen, wo sie niemals hinwollte: ZUM PROPORZ! Kleinkrieg um vordere Listenplätze, der mit hanebüchener Unfairness geführt wurde. (Voraussichtlich) völlig fehlendes Talent der meisten Bewerber, sich der Sacharbeit in einem Landtag, der von erfahrenen Parteisoldaten des Gegners beherrscht wird, zu stellen, aber eine Selbstüberschätzung an den Tag legen, die ans Groteske geht. Und ein beängstigendes Suhlen in den vergangenen Wahlerfolgen nach dem Motto: Wir sind und bleiben die Grössten. Alle Anderen doof außer wir. So wird die AfD wahrscheinlich nie über max. 15 % hinauskommen.

Wilfried Cremer / 23.03.2019

Das Wegreißen der Fahne ist ein Symbol für die Zerstörung unserer Kultur. Das bleibt von ihr, ein Fels der Sorte Rockall.

Anders Dairie / 23.03.2019

Ergänzung:  MERKEL erscheint (erneut) als Fels in der Brandung? Das vor vor 10 Jahren schon so. Aber nur dem Anschein nach.  Weil das deutsche Parteisystem ruiniert aus dem Gleichgewicht ist. Und, weil   inklusive AKK,  keine Nachwuchspolitiker von Format verfügbar sind.  Ein altes SPD-Problem des Nachwuchses hat sich durch Überalterung überall ausgedehnt.  Frau MERKEL wird wegen der Folgen von BREXIT,  USA-KONFLIKT,  EURO-Chaos und ZUWANDERUNG von den Historikern eingestampft werden.  Weil der Außenminister, hier MAAS,  Einfluss auf die Außenpolitik verloren hat,  der nun im Kanzleramt liegt. Wer wolle behaupten, dass Frau M. gesetzestreu Schaden vom Volk abgehalten hätte?  M.s   Schäden sind—erstmals nach dem Kalten Krieg—Existenz gefährdend. Nicht mal die den Deutschen ins Blut übergegangene Wirtschaftsmacht ist noch gesichert.  Der Finanzminister, SCHOLZ, beklagt Mindereinnahmen und kürzt Etats.

Anders Dairie / 23.03.2019

SARRAZINs Bestandsaufnahme stimmt.  In einem liegt er daneben:  TRUMP ist keineswegs erratisch im Sinne von “irrlichternd”.  T. arbeitet, das möge aus deut-schem Blickwinkel nicht so deutlich sein,  sein Wahlprogramm ab.  Niedergang würde sich am Börsenstand und den Arbeitslosenzahlen ausdrücken. Neben der Arbeit am Aufstieg der USA sind die OBAMA-Folgen nachzuarbeiten,  also ein doppeltes Programm.  Allein OBAMA-Care wäre geeignet gewesen, um den US- Mittelstand zu ruinieren.  Die Steuerreform ist einfach großartig.  Der Rückzug aus teuren Konflikten wird Europa das Fürchten lehren.  Die Mauer zu Mexiko ist notwendig.  Wie Mexiko ebenfalls eine hat, zu Honduras.  Die Stellungnahme zum Iran und Israel ist deutlich und nötig.  Der Kontakt zu Nordkorea ist pol. mutig. Der Clinch mit Rotchina ist strategisch unumgänglich. Es ist ( nach SCHOLL-LATOUR )  der erwartete Kampf um den pazifischen Raum.  Wie klein die Brötchen sind, die die EU-Administration bäckt, sieht man an der Unfähigkeit den BREXIT zu gestalten. Der Verlust in den deutschen Bundesländern reicht einzeln von ~ 115   ( Mitteldeutschland )  bist ~564 Mio. € ( NRW ) pro Jahr an Einkommen. Ein ökon. Zusammenbruch wird es auf keiner Site geben, weil der Handelsaus-tausch wie gewohnt weiter gehen muss.  Hierzu fehlt SARRAZINs Prognose.  BREXIT und ZUWANDERUNG sind die allergrößte Fehlleistungen MERKELs.  Das ist weiterhin einer erratische Politik.

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