Die Europawahl rückt näher. Mit verschiedenen Initiativen hat die SPD in den letzten Wochen versucht, sich stärker von der Union abzusetzen und dabei ein linkes auf Umverteilung gerichtetes Profil zu schärfen. Zu den Forderungen gehören eine höhere Mindestrente für langjährige Beitragszahler, längere Bezugszeiten für das Arbeitslosengeld und eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. So hofft man, sich stärker von der nach links gerückten CDU/CSU abzusetzen und gleichzeitig Wähler von der Linkspartei zurückzugewinnen.
Auch im Umweltschutz versucht die SPD, die CDU/CSU unter Druck zu setzen. Die Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat ein Klimaschutzgesetz vorgelegt, dessen künftige Grenzwerte die Grenzen des Machbaren sprengen, ohne dabei Wege zur Umsetzung aufzuzeigen. So biedert man sich bei den Wählern der Grünen an, und der Union wird gleichzeitig in der großen Koalition die undankbare Rolle zugewiesen, Mäßigung und wirtschaftliche Vernunft einzufordern und auf die Grenzen des Machbaren hinzuweisen.
Die Strategie der SPD scheint aufzugehen: Der Höhenflug der Grünen kam zum Stillstand, die Zustimmung zur Linkspartei bröckelt, und die weitere Ausdehnung der CDU/CSU in die Wählerschaft der SPD ist im Augenblick abgebremst. In den Umfragen ist die SPD wieder näher an die Grünen herangerückt. Sie kann sich Hoffnungen machen, bei der Europawahl vielleicht doch wieder zweitstärkste Partei zu werden.
Söder auf Schmusekurs
Bei der Union fährt der neugewählte CSU-Vorsitzende Markus Söder geradezu einen Schmusekurs gegenüber seiner CDU-Kollegin Annegret Kramp-Karrenbauer. Jede Erinnerung an vergangene Streitereien soll offenbar ausgelöscht werden. Das zahlt sich aus, die Union scheint sich bei Umfragewerten von knapp über 30% zu stabilisieren. Das ist zwar weit entfernt von früheren Höchstständen um 40%, aber doch eine verlässliche Bodenbildung.
Diese wird dadurch unterstützt, dass die Konjunktur in Deutschland offenbar stabil bleibt: Im Februar hat die Arbeitslosigkeit den niedrigsten winterlichen Wert seit der Wiedervereinigung erreicht. Die Haushaltslage ist günstig, der Leistungsbilanzüberschuss hoch. Die Zuwanderung von Fluchtmigranten bleibt innerhalb der selbst gesetzten Obergrenze von jährlich 200.000.
Hoffnungen – oder Befürchtungen – dass Angela Merkel als Bundeskanzlerin geschwächt sei, nachdem sie den Parteivorsitz aufgegeben hat, haben sich nicht bestätigt. Sie konzentriert sich auf Außenpolitik und scheint im Inneren mehr und mehr über den Niederungen zu schweben. Das lässt sich ohne weiteres noch die dreißig Monate bis zur nächsten Bundestagswahl durchhalten.
Merkel auf dem Weg zu einer Lichtgestalt der Weltpolitik
Im Gegenteil – angesichts von Brexit, Gelbwesten in Frankreich, Lega in Italien, einem erratischen Donald Trump und einem bedrohlich wirkenden undurchsichtigen Putin hat die Bundeskanzlerin das Zeug, in den nächsten Monaten und Jahren zu einer Lichtgestalt der Weltpolitik zu werden. Das macht ihre Fehler nicht kleiner. Die hat sie aber alle hinter sich, und neue Fehler sind nicht in Sicht.
Vor diesem Hintergrund hält sich die AfD erstaunlich stabil. Während die Mitgliederzahlen bei CDU/CSU, SPD und Linken fallen und bei der FDP stagnieren, steigen sie bei der AfD und den Grünen. Der Aufstieg der AfD kam allerdings zum Stillstand. Bundesweit verharrt sie bei 12 bis 14 %, dem Niveau der Bundestagswahl von 2017. Das ist genau der Umfang, der der Union schmerzlich an ihren traditionellen Wahlergebnissen fehlt.
Das versucht die Union mit einer Doppelstrategie zu ändern:
- Einerseits werden konservative, einwanderungskritische Wähler wieder stärker umworben. Das geschieht durch eine vorsichtige Distanzierung von den Auswüchsen von Angela Merkels Willkommenskultur.
- Andererseits wird die Legitimität und demokratische Zuverlässigkeit der AfD auf breiter Front in Frage gestellt.
Die AfD wird zum Prüffall
In diesem Punkt sind sich alle etablierten Parteien in Deutschland einig und werden dabei von der Mehrzahl der Medien breit unterstützt. In diesem Zusammenhang machte es auch strategischen Sinn, dass es im Herbst 2018 der Bundesregierung gelang, den Präsidenten des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, abzulösen. Sein Nachfolger Thomas Haldenwang schlug gegenüber der AfD einen wesentlich aggressiveren Kurs ein und erklärte die Partei im Januar in einer Pressekonferenz zum Prüffall für die Beobachtung durch den Verfassungsschutz.
Das schlug hohe Wellen. Die AfD klagte gegen ihre öffentliche Brandmarkung und bekam vor einigen Tagen vor dem Verwaltungsgericht Köln kurzfristig recht. Offen bleibt gegenwärtig, ob ihr dieser amtliche, offenbar von der Bundesregierung gedeckte Versuch zur Stigmatisierung genutzt oder eher geschadet hat.
Nicht nur ist die Obrigkeitsgläubigkeit der Bürger eine alte deutsche Tradition, sondern es überlegen sich vor diesem Hintergrund viele Bürger ganz zu recht, ob sie nicht persönliche Nachteile erfahren, wenn sie sich zur AfD bekennen und in ihr engagieren.
Offen bleibt auch, wie sich diese Debatte auf die Strömungen innerhalb der AfD auswirkt. Der sogenannte Flügel, eine informelle Organisation um den Thüringischen AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke, fällt immer wieder durch Äußerungen auf, die ins Deutschnationale oder Rechtsradikale abzugleiten drohen. Wenn die AfD zu einer rechten Volkspartei und langfristig koalitionsfähig werden will, wird sie die Abgrenzung klarer vornehmen müssen, als dies bislang geschieht.