Am Wochenende sorgte das Eritrea-Festival in Gießen für gewaltsame Ausschreitungen. Anhänger und Gegner des Regimes in Eritrea tragen offenbar ihre Kämpfe jetzt zum Ärger der Bürger auch hierzulande aus, während sich die deutsche Politik vor allem darum bemüht, die Verantwortung für diese Zustände abzuschieben.
Wenn man von außen auf Eritrea blickt, sieht man wahrlich kein Land, in dem man leben möchte. Es ist weder wirtschaftlich noch politisch sonderlich attraktiv. Wikipedia erklärt das eritreische System in aller Kürze so:
„Im 21. Jahrhundert hat das Land eine der Form nach republikanische Verfassung und wird seit der Unabhängigkeit politisch von der autoritären Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit dominiert, die aus der Unabhängigkeitsbewegung der Eritreischen Volksbefreiungsfront hervorgegangen ist. Präsident ist seither Isayas Afewerki. Hinsichtlich der Freiheitsrechte seiner Bürger wird Eritrea von Menschenrechtsorganisationen stark kritisiert. Die US-amerikanische staatsnahe Nichtregierungsorganisation Freedom House charakterisierte Eritrea in ihrem Länderbericht 2019 als „hermetischen Polizeistaat“. In einer auf Arte im Dezember 2021 ausgestrahlten Dokumentation von Evan Williams wird Eritrea als 'das Nordkorea Afrikas' bezeichnet."
Ein Grund für diese Einschätzung ist der Militärdienst, den jeder Eritreer zu leisten hat und der willkürlich verlängert werden kann. Nach der militärischen Grundausbildung können die Einberufenen auch zu Zwangsarbeiten jeder Art und Dauer befohlen werden. Sie sind ihren Vorgesetzten nahezu rechtlos ausgeliefert. Nicht zu unrecht wird dieser Dienst auch als eine Form moderner Sklaverei beschrieben.
Deshalb stießen Asylbewerber aus Eritrea lange Zeit durchaus auch auf viel wohlwollendes Verständnis, denn in einem „Nordkorea Afrikas“ zu leben, möchte man selbstredend keinem vernünftigen Menschen zumuten. Doch das Verständnis für Migranten aus Eritrea dürfte nach dem vergangenen Wochenende in Gießen gesunken sein, zumal es solche Ausschreitungen nicht zum ersten Mal gab.
Was war geschehen? Ein Verein, der sich selbst „Zentralrat der Eritreer in Deutschland“ nennt, hatte in diesem Jahr zum Eritrea-Festival nach Gießen geladen. Eritreer aus ganz Deutschland und auch aus Europa machten sich aus diesem Anlass auf den Weg in die hessische Stadt. Sowohl Festival-Besucher als auch Eritreer, die gegen das Festival protestieren wollten, reisten nach Gießen, und dort kam es zu schweren Zusammenstößen.
Das war, wie alle Medien berichteten, auch schon im letzten Jahr so, weshalb die Stadt das Festival gern verboten hätte. Doch der Verwaltung war es nicht gelungen, das Verbot gerichtsfest zu begründen, weshalb die Veranstalter mit einer Klage dagegen erfolgreich waren. Und so kam es am Samstag bekanntlich zu schweren Zusammenstößen zwischen der Polizei und Gegnern des umstrittenen Eritrea-Festivals. 28 Beamte seien dabei verletzt worden, es gab 100 Festnahmen, und 100 Ermittlungsverfahren wurden eröffnet.
Angesichts der Gewalt, der verletzten Polizeibeamten, einer in Mitleidenschaft gezogenen Stadt und auch immenser Kosten für diesen Polizei-Großeinsatz hatte der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) die Bundesregierung bereits am Samstagabend aufgefordert, den eritreischen Botschafter einzubestellen: „Der eritreischen Regierung muss deutlich gemacht werden, dass eritreische Konflikte nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden dürfen“, habe er gesagt.
Der angesprochene Konflikt besteht darin, dass der „Zentralrat“ als Vertreter des eritreischen Regimes gilt und Regimegegner deshalb gegen dessen Festival protestieren. Dass solche Auseinandersetzungen nicht gewaltsam auf deutschem Boden ausgetragen werden sollten, wird kaum jemand bestreiten. Doch was soll es bringen, wenn Außenministerin Annalena Baerbock den eritreischen Botschafter einbestellt, um ihm das zu sagen? Interessant ist vielmehr, dass Hessens Innenminister Beuth den Missstand bewusst falsch adressiert. Warum muss das denn der eritreischen Regierung deutlich gemacht werden? Sie ist sicher dafür verantwortlich, dass viele Eritreer ihre Heimat verlassen. Aber dass sich in Deutschland die größte Eritrea-Diaspora außerhalb Ostafrikas herausgebildet hat, wie die Welt schreibt, und die Kontrahenten beider Konfliktparteien gekommen sind, liegt wohl eher an der deutschen Zuwanderungspolitik.
Es verwundert schon sehr, dass hier Regime-Anhänger und Regime-Gegner miteinander kämpfen, von denen wahrscheinlich ein Großteil ihren Aufenthalt hierzulande mit einem Asylantrag begonnen hat. Dass Regime-Gegner das Land verlassen haben, weil sie vor Verfolgung flohen, ist logisch nachvollziehbar, aber nicht, dass dies auch bei Regime-Anhängern der Fall ist. Ist das ist eine Absurdität einer Asylpolitik, die nicht willens und in der Lage zu sein scheint, zwischen Verfolgten und ihren Verfolgern zu unterscheiden? In Deutschland führt inzwischen ja jeder Asylantrag, egal wie chancenlos er ist und egal ob der Antragsteller überhaupt seine wahre Identität preisgibt, dazu, dass man hier zunächst bei freier Kost und Logis, medizinischer Versorgung und diversen Sozialleistungen bleiben kann. Dies ist allgemein bekannt und entsprechend verlockend.
Andererseits wird berichtet, dass viele der eher regimetreuen Eritreer schon länger hier leben und das Land noch vor der Unabhängigkeit, während des Unabhängigkeitskrieges verlassen haben. Sie hätten deshalb kaum persönliche Erfahrungen mit der Diktatur gehabt, die sie unterstützen. Viele von ihnen hätten inzwischen auch einen deutschen Pass. Das würde im konkreten Fall erklären, warum Regime-Anhänger und Regime-Gegner Aufnahme fanden. Allerdings spräche eine Gefolgschaft zur in der alten Heimat herrschenden Diktatur auch nicht unbedingt für eine gelungene Integration.
Dass jeder, der deutschen Boden erreicht, in Deutschland zunächst in jedem Fall Aufnahme und Versorgung findet, ist dennoch ein wesentlicher Grund dafür, dass die Kontrahenten verschiedener innenpolitischer Konflikte aus den einschlägigen Herkunftsländern nach Deutschland kamen und kommen. Unter den syrischen Asylbewerbern und Flüchtlingen beispielsweise waren und sind neben Verfolgten und Kriegsflüchtlingen bekanntlich ebenso Kämpfer und Folterknechte sowohl des „Islamischen Staats“ als auch des Assad-Regimes. Die Öffentlchkeit erfuhr zumeist von solchen Fällen, wenn die Generalbundesanwaltschaft Anklage erhob. Doch wenn sich keine professionellen Ermittler einschalten, schaffen es die zuständigen Behörden derzeit sicher kaum, hinreichend zu prüfen, wer welche Rolle im Herkunftsland gespielt hat.
Ein Landesinnenminister wie Herr Beuth weiß natürlich, dass im Falle der Eritreer die Einbestellung des Botschafters vollkommen sinnlos ist. Aber was sollte er sonst fordern, ohne dass es nach einer offenen Abkehr von der verheerenden Asylpolitik seiner früheren Parteivorsitzenden und Kanzlerin Angela Merkel aussieht. So wird über diese Frage zwischen den etablierten Parteien offenbar kaum debattiert, obwohl in Hessen eigentlich der Landtagswahlkampf Fahrt aufnimmt.
Die hessische SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser wäre als Bundesinnenministerin auch zuständig, aber sie will bekanntlich die Asylzuwanderung nicht auf wirklich Schutzbedürftige beschränken oder gar die verlockende Sozialversorgung für alle nicht anerkannten Asylbewerber und Ausreisepflichtigen abschaffen. Jede Fragestellung, die dieses Problem nur am Rande streift, will sie verständlicherweise vermeiden. Deshalb wird zwar allenthalben erklärt, dass es gar nicht ginge, dass die Eritreer hierzulande mit Gewalt innereritreische Konflikte austragen, aber die Verantwortung deutscher Zuwanderungspolitik bleibt unerwähnt. Lieber fordert man, Eritreas Botschafter vorzuladen, so als wären die hier lebenden Eritreer immer noch eine Art Mündel des dortigen Regimes.
Wie viele der vermeintlichen Regimeanhänger im „Zentralrat“ schon länger in Deutschland leben oder später nach Deutschland kamen, lässt sich nicht genau sagen. Zumindest findet sich diesbezüglich kaum etwas in der ohnehin eher dürftigen Berichterstattung über die eritreische Diaspora. Bekannt ist allerdings, dass sich das Regime in Asmara die Asylmigration der eigenen Bürger gern zunutze macht. Eritreer im Ausland können sich bei den Botschaften ihres Landes einen sogenannten Diaspora-Pass ausstellen lassen. Das Regime verfolgt sie dann nicht (mehr) als abtrünnige Landeskinder, sofern sie auch pünktlich die mit der Ausstellung des Passes verbundene sogenannte Diaspora-Steuer in die alte Heimat überweisen. Wer das tut, der kann mit seinem Pass auch zum Heimaturlaub nach Eritrea kommen und anschließend wieder in sein Exil zurückfliegen.
Heimaturlaub von Asylberechtigten im „Nordkorea Afrikas“, das hatte vor Jahren auch einmal für Schlagzeilen in der Schweiz gesorgt. In der Tat stellt sich generell die Frage, wie sehr Asylbewerber in ihrer Heimat von Verfolgung bedroht sind, wenn sie dort unbehelligt Urlaub machen können. Allerdings könnte man sich im Falle Eritreas fragen, ob die Urlauber unbehelligt blieben, wenn sie die Diaspora-Steuer nicht mehr zahlen könnten. Da in Deutschland der Schutzstatus von Heimaturlaubern offenbar generell nicht infrage gestellt wird, muss man sich mit solchen konkreten Fragestellungen aber gar nicht beschäftigen.
Egal an welcher Stelle: Die politisch Verantwortlichen wollen über das Problemfeld Zuwanderungspolitik möglichst nicht sprechen, denn die etablierten Parteien glauben, dabei nichts gewinnen zu können. Nur bleibt das Problem der Folgen dieser deutschen Zuwanderungspolitik. Dieses Problem wächst bekanntlich, auch wenn man es am liebsten beschweigt. Alle die, die immer noch glauben, ein Kurswechsel in der Asylpolitik nutze „den Falschen“, sollten doch spätestens angesichts jüngster Umfrageergebnisse endlich erkannt haben, wie falsch das ist. Aber das ist ein anderes Thema. Hier ist nur zu erwähnen, dass eine Beibehaltung der gegenwärtigen ungezügelten Zuwanderungspolitik auch mehr gewalttätige Austragung innerer Konflikte aus den Herkunftsländern mit sich bringt. Da wird Eritrea kein Einzelfall bleiben, auch wenn die Vorgeschichte vielleicht anders ist als bei den Konflikten von Zuwanderergruppen aus anderen Staaten.
Solche Folgen deutscher Zuwanderungspolitik bremsen übrigens auch die Fachkräftezuwanderung. Es sind nicht nur die aberwitzigen bürokratischen Hürden für alle, die legal nach Deutschland kommen und hier arbeiten wollen, während illegale Einwanderer durch einen Asylantrag umstandslos ins Sozialsystem aufgenommen werden, die Leistungsträger abschrecken. Auch die zahlreichen erbittert ausgetragenen ethnischen, religiösen und politischen Konflikte aus dem Herkunftskulturraum möchten solche Zuwanderer möglichst meiden.
Der Kampf der Eritreer in Gießen hätte deshalb trotz all seiner Besonderheiten ein Weckruf sein können. Die meisten Bürger sagen, dass sie solche Konflikte nicht länger importieren wollen. Wer aber weiterhin stur Merkels Migrationsirrweg fortsetzt, bekommt mehr davon.