Von Bertha Stein.
Welch frohe Botschaft: Heute, am 14. April, findet zum zweiten Mal der „March for Science“ statt. Wobei das eigentlich so nicht korrekt ist. Vielmehr ist es ein mehrtägiges Event mit Podiumsdiskussionen im Vorfeld, die dann am 14. April mit Demonstrationen in mehreren Städten kulminieren. Es ist der verspätete Ostermarsch von Wissenschaftlern. „Peace for Science“.
Und weil Wissenschaftler Wissenschaftler sind, bleibt nichts dem Zufall überlassen. Unnötige Störvariablen werden dezimiert. Deswegen haben die Initiatoren des „March for Science“ ein Rahmenmodell „Für die Freiheit der Wissenschaft!“ mit ihrer Geheimwaffe, der „Wissenschaftskommunikation“, entwickelt. Dieses fußt en gros auf drei Anknüpfungspunkten: 1. Wissenschaft und Gesellschaft, 2. Wissenschaft und Bildung und 3. Wissenschaft und Politik. Dass hierfür ein Jahr intellektueller Anstrengung nötig war? Na ja, lieber zu spät, als nie.
En détail sieht es wie folgt aus. Zum Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft schreiben die Initiatoren: „Wissenschaft ist Teil der Gesellschaft, und weite Teile der Gesellschaft finden Wissenschaft gut.“ Knifflige Sache. Denn wie hängen diese beiden Teilsätze zusammen? Will hier Wissenschaft ihre Existenz durch gesellschaftliche Meinung legitimieren? Nach dieser Logik könnte man auch sagen: „Shopping Queen ist Teil der Gesellschaft; und weite Teile der Gesellschaft finden Shopping Queen gut“. Na und?
Wie eine Drama Queen führen sich die Initiatoren auf. Sind sie politisch schon so indoktriniert und machtgeil, dass sie noch mehr gesellschaftlichen Einfluss haben wollen? Populär- und zeitungswissenschaftliche Lektüre gibt es doch zu Genüge? Wer, wenn nicht ihre Zunft, hat hier seine erkenntnisstrebenden Händchen im Spiel?
Wissenschaft jetzt mit Hoheitsanspruch
Dieser Hoheitsanspruch setzt sich auch im zweiten Anknüpfungspunkt „Wissenschaft und Bildung“ durch, nämlich „Menschen zu verantwortlichen Persönlichkeiten heranzuziehen, die nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse kritisch hinterfragen, sondern auch in der Lage sind, ihre Kritik auf Grundlage soliden Wissens konstruktiv zu begründen.“
Meines Wissens nach ist dieser Bereich bereits besetzt? Kurzer Hinweis: Sie sind an Schulen? Haben zwei Ohren? Einen pädagogischen Hintergrund? Die Rede ist von Lehrern. Und es sind nicht irgendwelche Lehrer. Nein, es sind die Lehrer, die das Lehren, was sie von ihren wissenschaftlichen Oberlehrern an den Universitäten gelernt haben, was diese wiederum an ihre Schüler weitergeben, die vermutlich die zukünftigen Pädagogen und Wissenschaftler werden, die wiederum…
Ein didaktischer „circulus vitiosus“. So schwindelerregend, wie auch der dritte Anspruch zwischen „Wissenschaft und Politik“ im genannten Handlungsrahmen. Man kann es nur als Drohung, ja Kampfansage verstehen. Eigentlich ein „Krieg der Wissenschaftssterne“. Denn „Wissenschaft hat eine Verantwortung für den Erhalt unserer Demokratie“, und es ist wissenschaftliches Ehrgefühl, dass Wissenschaftler dazu zwingt „sich als Bürger in den politischen Diskurs [einzubringen]“.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt doch genügend Forschungsprojekte. Wissen die ganzen Wissenschaftstränen nicht, dass Wissenschaft und Politik ein explosives Gemisch ergeben? Wissenschaft strebt nach Erkenntnis. Das Ziel von Politik ist Einflussnahme. So gibt sie die Rahmenbedingung für die Forschung vor – sowie die Wirtschaft. Wohin das alles führt, zeigte jüngst der Dieselskandal um die abgasschnüffelnden Affen und Menschen. Plötzlich war das wissenschaftliche Ehrgefühl futsch. War die Versuchung zu groß und haben die Dieselforscher zu viel Zeit am Auspuff verbracht? Hat der Diesel ihnen den wissenschaftlichen Durchblick vernebelt?
Bloß nicht zu viel Risiko eingehen
Aber immerhin wird endlich klar, warum so viele Wissenschaftler unter Nacken- und Schulterschmerzen leiden. Bei dieser verantwortlichen Last, die auf diesen schmalen Wissenschaftlerschultern liegt und den tagtäglichen moralischen Bredouillen, denen sie ausgeliefert sind, kann man staunen, dass diese sich noch so gut halten.
Verständlicher wird dieses wissenschaftliche Invalidenleiden, wenn man sich die grundlegenden Werte anschaut, auf denen die drei Handlungsfelder aufbauen: Wahrheit und Freiheit. Die Nachfahren Kants, Bohrs und Adornos verwirklichen sie auf ihre eigene abgefahrene und rebellische Weise. Sie trauen sich dorthin, wo sich die wenigsten trauen. Unter ganz normale Menschen, auf die schmutzigen und maroden Straßen des Alltags.
Und damit der Konfrontationsschock nicht zu groß ist, wird erstmals klein angefangen. Zu viel Risiko will man schließlich auch nicht eingehen. Wer sonst könnte diesen Kampf der Kämpfe weiter fortsetzen? Deswegen bewegt man sich zunächst behutsam auf sicherem Terrain. Das bedeutet einige Meter Radius um die Universität herum. Wissenschaftlich millimetergenau bemessen.
Nicht nur der eigenen Sicherheit willen, sondern auch derjenigen von Passanten. Wer weiß, welche Bestie aus manchem Wissenschaftler plötzlich zum Leben erweckt wird. Denn diese „stehen beispielsweise unter enormem Druck, möglichst viel zu publizieren“ und „desweiteren wird von ihnen erwarten, möglichst umfangreiche Gelder von außen einzuwerben“. Da kann man schon mal durchdrehen.
Selbstinszenierter, nicht gerechtfertigter Opfermarsch
Endlich wird aber Klartext gesprochen: Das Wissenschaftlerdasein in Deutschland ist ein tristes und unattraktives mit noch dreckigeren und abstoßenderen Arbeitsbedingungen. Na klar, es ist nicht angenehm, sich von Vertrag zu Vertrag hangeln zu müssen, Publikationen am Fließband veröffentlichen zu müssen und die Drittmittelprostituierte auf Abruf zu spielen. Bei dem „enormen Druck“, der unvergleichbar mit dem einer Aldi-Kassiererin oder eines Postboten ist, kann man die Aufregung aber verstehen.
„Die Rahmenbedingungen und Anreizstrukturen des Wissenschaftssystems sind mit den Werten der Freiheit und der Wahrheit nur bedingt vereinbar“, heißt es in der Erklärung. Aber ist es „mit den Werten der Freiheit und der Wahrheit“ vereinbar, wenn man unter dem Vorwand des Kampfes gegen „alternative Fakten“ den „March for Science“ zum selbstinszenierten, nicht gerechtfertigten Opfermarsch hochstilisiert? Sich nur auf den deutschen Universitätsbetrieb konzentriert wird, weil „die Situation in Deutschland […] eine völlig andere als in der Türkei, in Ungarn oder den USA“ ist.
Kurzer Zwischeneinwand: Ist es legitim und wissenschaftlich sauber, die Situation in den USA mit der in der Türkei und Ungarn zu vergleichen? Oder hatte hier mal wieder die Ethikkommission aus der VW-Dieselaffäre ihre Hände im Spiel?
Dass Wissenschaftler gut kombinieren können, weiß die Republik spätestens seit den Plagiatsaffären um „KT“ Guttenberg, der bayerischen CSU-Charmeoffensive, oder um Silvana Koch-Mehrin, der liberalen Expertin für lateinische Münzunion. Darum wundert es nicht, wenn man abgekupferte Slogans für den „March for Science“ wie diese findet: „Keine Obergrenze für Forschung“, „Wissenschaft für alle“ oder „Wir wollen wissen“. Solange es nicht beim „wollen“ bleibt...
Deswegen liebe Teilnehmer des „March for Science“: Bitte lasst euch den Druck nicht über den Kopf steigen – zumindest beim „Transpi-Workshop“, eurem gemeinsamen Basteln der Transparente – und merkt euch euren Slogan „Von der Straße in die Köpfe“. Sonst könnte es heißen: „Von der Straße auf eure Köpfe“. Die Straße, die hat nämlich ihre eigenen Regeln. Und das sind nicht immer die der Wissenschaft.
Bertha Stein ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und lebt in der Nähe von Frankfurt.