Georg Etscheit / 23.02.2022 / 11:00 / Foto: Remi Jouan / 17 / Seite ausdrucken

Macrons Energie-Realismus: Mehr Atom, weniger Wind

Frankreich ist nicht so naiv wie Deutschland: Macron gab den Bau weiterer 14 Atomreaktoren bis 2050 bekannt. Den Bau von mehr Windrädern verschob er. Vor den Wahlen ist ihm wohl das breite Spektrum der Windkraftgegner aufgefallen. Und die Ukraine passt auch gut ins Konzept.

Eigentlich wäre Frankreich ein Windkrafteldorado – eine 3.000 Kilometer lange Küstenlinie am stürmischen Atlantik, weite, fast kahle Hochflächen und eine im Vergleich zu Deutschland viel geringere Bevölkerungsdichte. Frankreich gilt damit als das Land mit dem besten Onshore-Windkraftpotenzial in Europa. Doch bislang drehen sich auf dem Gebiet des Hexagons, wie die Franzosen ihr Heimatland nach dessen äußeren Umrissen auf der Landkarte nennen, gerade einmal 8.000 Anlagen mit einer installierten Gesamtleistung von rund 18 Gigawatt, knapp ein Drittel der in Deutschland installierten Windleistung. Wohlgemerkt bei fast doppelt so großer Landesfläche.

Und der Ausbau verläuft immer schleppender, was vor allem daran liegt, dass der Widerstand gegen neue Rotoren, die ungeliebten „éoliennes“, massiv ist. Die Franzosen sind offenbar mehrheitlich nicht dazu bereit, sich das „patrimoine culturel“ („kulturelles Erbe“), wozu selbstverständlich auch die Kulturlandschaften zählen, von immer mehr Windrädern kaputtschlagen zu lassen. Sie lieben es, sich mit dem Auto zu den überall ausgeschilderten „points de vue“ („Aussichtspunkte“) zu bewegen, um dort am Straßenrand ein Picknick zu veranstalten. Dabei mögen sie keine so tiefsinnigen Naturapostel sein wie ihre östlichen Nachbarn, doch kämen sie wohl nicht auf die Idee, gerade den tiefsinnigsten aller Wälder, den oberhessischen Reinhardswald, schnurstracks in ein Windindustriegebiet zu verwandeln.

Breite Berichterstattung über den Widerstand

Anders als in Deutschland, wo Windkraftgegner reflexartig in die Nähe von „Klimaleugnern“ und „rechten“ Wirrköpfen gerückt oder weitgehend totgeschwiegen werden, gibt es in den französischen Zeitungen, vor allem auch auf regionaler Ebene, eine breite Berichterstattung über den Widerstand gegen neue Windkraftvorhaben. Ebenfalls anders als in Deutschland, wo jede politische Kraft mit Ausnahme der verfemten AfD der „Klimakrise“ das Wort redet und ihren Kotau vor den Instrumenten der grünen Klimarettung gemacht hat, ist in unserem Nachbarland die Politik rechts der Mitte fast geschlossen gegen den weiteren Ausbau der Windkraft, zumindest der Windkraft zu Lande.

Zudem können die auch national gut organisierten Windkraftgegner vor den Gerichten immer wieder spektakuläre Erfolge verbuchen. Gerade erst erklärte ein Berufungsverwaltungsgericht in Nantes einen erst vor kurzem errichteten und in der „Einlaufphase“ befindlichen „Windpark“ mit den drei bislang höchsten Windkraftwerken der Bretagne für illegal: „Das strittige Projekt muss sowohl als Beeinträchtigung des Charakters der umliegenden Orte und der Naturlandschaften (…) als auch als übermäßiger Nachteil für den Landschaftsschutz und die Lebensqualität der Nachbarn angesehen werden.“ Ein Windkraftlobbyist meinte dazu, die Entscheidung könne „die gesamte Windbranche gefährden“. Jetzt bleiben noch Rechtsmittel zum französischen Staatsrat. Falls diese ebenfalls erfolglos sind, können die Anwohner eine Demontage des Windparks beantragen. Es wäre ein Waterloo.  

Bis zu 14 neue Reaktoren

Doch auch auf höchster staatlicher Ebene wackelt die Front der Windkraft-Apologeten. Jüngst hielt der französische Staatschef Emmanuel Macron, der mit einiger Wahrscheinlichkeit bei der Präsidentschaftswahl im April wiedergewählt werden dürfte, in der alten Uhrmacherstadt Belfort eine viel beachtete Rede zur künftigen Energiepolitik seines Landes. Zunächst bekräftigte er darin seine Absicht, den französischen Kernkraftwerkspark beschleunigt zu modernisieren, mit dem geplanten Bau von bis zu 14 Reaktoren des Typs EPR2 bis zur Jahrhundertmitte. Die ersten neuen Meiler sollen 2035 in Betrieb gehen. Neben großen Reaktoren sollen auch modulare Mini-Kernkraftwerke die Energieversorgung Frankreichs sichern und möglicherweise Wasserstoff für eine „klimaneutrale“ Mobilität produzieren.

Für viele Linke und Grüne, auf deren Stimmen Macron im April nicht verzichten kann, ist dies ein ziemlich ungenießbarer Brocken. Doch es sollte in Belfort noch schlimmer kommen. Denn Macron nahm überraschend Abschied von dem Plan der erst 2019 veröffentlichten mehrjährigen Energiestrategie, der zufolge die Onshore-Windkraftleistung bis 2028 auf rund 35 Gigawatt zu verdoppeln sei. Der Präsident hielt zwar an dem mengenmäßigen Ziel fest, verlängerte jedoch den Zeitraum zu seiner Erreichung auf 2050 – Sankt-Nimmerleinstag. „Macron haut bei Onshore-Windkraft die Bremse rein“, schrieben die Zeitungen, und der Präsident des Syndicat des énergies renouvelables, Jean-Louis Bal, übte sich in Schönsprecherei: Die Verzögerung sei in der Tat ein „etwas negativer Punkt der Rede“. Immerhin habe Macron am Ziel der „Klimaneutralität“ bis 2050 festgehalten.

Zweifellos ist die klare Ansage des Staatschefs der Versuch, den Kandidaten der Rechten bei den anstehenden Wahlen weiteren Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch sie dürfte auch eine Reaktion auf den breiten Widerstand gegen die „èoliennes monstres“ sein: Die goldenen Zeiten für Windbarone in Frankreich dürften damit erst einmal vorbei sein.

Front der Gegner noch größer

Wie es Kennzeichen seiner linkszentristischen Politik ist, versprach Macron den Energiewendefans, die es recht zahlreich auch in Frankreich gibt, noch ein nicht unbedeutendes Trostpflaster. Er wolle nicht nur die Fotovoltaik massiv ausbauen, sagte er in Belfort, sondern vor allem die Windkraft zur See. Sage und schreibe 50 neue Windindustriegebiete mit einer Gesamtkapazität von 40 Gigawatt sollen bis 2050 an der französischen Atlantikküste errichtet werden. Dass dieser hochambitionierte Plan ebenfalls an den Realitäten scheitern wird, ist jedoch nicht unwahrscheinlich.

Bislang zumindest ging bei der Offshore-Windkraft in Frankreich noch weniger als an Land. Erst im laufenden Jahr soll nach zehnjähriger Planungs- und Bauzeit vor der Hafenstadt Saint Nazaire an der Loire-Mündung der erste französische Offshore-Windpark mit 80 Sechs-Megawatt-Maschinen in Betrieb genommen werden. Die Front der Gegner ist hier noch größer und vielfältiger als bei Onshore-Windprojekten, sie reicht von streitbaren Fischern über Vogel- und Meeresschützer und Touristiker bis zu jenen wohlhabenden Städtern, die sich in ihren Appartements in exklusiven Badeorten die freie Sicht auf den Ozean nicht verstellen lassen wollen.

„Macrons Ankündigung ist eine echte Kriegserklärung an die Fischer und alle Liebhaber unserer Küsten“, heißt es kämpferisch auf der Seite von Gegnern eines geplanten Windparks zwischen den bekannten Atlantikinseln Il d‘Yeu et Noirmoutier. Zudem handelt es sich bei einigen Projekten um neuartige, schwimmende Windparks, die sich noch im Experimentierstadium befinden.

Wie sagte doch Alain Bruguier, der frühere Präsident der windkraftkritischen Association  „Vent de colère“ („Wind des Widerstandes“): „Die Atomkraft ist der Salat, die Windräder sind die Sauce, um ihn runterzukriegen.“ Die Salatschüssel ist jetzt deutlich voller geworden. Und das Dressing, wie es scheint, noch sparsamer dosiert.

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Ilona Grimm / 23.02.2022

Nur eine winzige Korrektur, werter Herr Etscheit: Der Reinhardswald liegt nicht in Oberhessen, sondern in NORDHESSEN. Und darauf legen die Nordhessen allergrößten Wert!

Ludwig Luhmann / 23.02.2022

Macron ist im energieabhängigen Great Reset eine sehr bedeutende Marionette Schwabs. Grün-Dodoland wird in die Abhängigkeit von ausländischen Energielieferanten manövriert, was die Manipulier- und Ausnutzbarkeit von Dodoland stark erhöht.

Klaus Keller / 23.02.2022

Völlig wird die Kernkraft in Deutschland ja nicht abgelehnt. Die rotgrüngelbe Bundesregierung hält an der nuklearen Teilhabe fest, meint damit aber nicht Strom aus französischen Kernkraftwerken sondern die Atomwaffen der usa. Ob man in der Bevölkerung Frankreichs eine Verbindung von Kernkraftwerken und französischen Atomwaffen sieht weis ich nicht. ggf ist man in Frankreich aber auch nur technikaffiner in diesem Punkt als in Deutschland. Vielleicht mögen die Franzosen aber auch niedrige Strompreise weil sie zT ihre Wohnungen damit heizen. Das wäre dann eher Pragmatismus als Ideologie.

Michael Stoll / 23.02.2022

Die Uckermark, eine, durch die letzte(n) Eiszeit(en) geprägte, hügelige Kulturlandschaft aus Wäldern, Feldern, Wiesen und Seen ist mit Tausenden Windmonstern regelrecht zugepflastert worden. Den Deutschen scheint es mehrheitlich zu gefallen, jedenfalls den grünen Heuchlern, die als Windkraftbarone kräftig daran verdienen. Nur die Einheimischen, die mit dem Anblick, dem Lärm und dem rotierendem Schattenwurf leben müssen und nichts, außer den höchsten Strompreisen Europas, davon haben, sehen das etwas kritischer. Viele tote Vögel, Fledermäuse und Insekten soll es auch geben, aber das interessiert einen grünen Weltenretter auch nicht wirklich.

Rolf Mainz / 23.02.2022

Macron ist eben der perfekte Opportunist. Er wird den geistigen Tiefflug der deutschen Regierung dankbar nutzen, um französischen Atomstrom - teils aus technisch veralteten Kraftwerken - dem tumben östlichen Nachbarn gewinnbringend anzubieten. Die französische Kasse klingelt, zudem lässt sich das Aushelfen wunderbar als moralische Grosstat verkaufen - und für das deutsche grüne Gewissen passt dies so, denn schliesslich ist Deutschland ja bald sowohl kohle- als auch atomstromfrei. Win-win im Europa der doppelten Moral.

Wilfried Cremer / 23.02.2022

Sehr geehrter Herr Etscheit, die Franzosen brauchen das Verteufeln der Atomkraft nicht, um die Vergangenheit auf einem Plumpsklo zu bewältigen.

H. Krautner / 23.02.2022

„Macrons Energie-Realismus: Mehr Atom, weniger Wind“.          Schließlich muss er doch für das neue Dunkeldeutschland Strom erzeugen. Wie soll er das ohne Atom schaffen?

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