Lockdown am Kap: Noch nicht verlernt, zu lachen und zu leben

Der Gipfel am 16. Januar

Den Verlauf von Corona in Südafrika und der implementierten Gegenmaßnahmen sehen Sie In dieser Abbildung. Die schwarze Kurve zeigt die Zahl der täglich an der Seuche Verstorbenen (über eine Woche gemittelt). Sehen Sie sich unbedingt auch die Originalgrafik an. Ein Vergleich mit Deutschland ist interessant. Insbesondere taucht in beiden Ländern von Dezember bis Februar ein „Berg“ identischer Gestalt auf. Der „Gipfel“ fällt jeweils auf den 16. Januar, die Höhe des Gipfels (SA 575 / D 838) ist fast genau proportional zur Zahl der Einwohner (SA 55 Mio. / D 83 Mio.). Beide Kurven sind dann am 18. März auf unter 25 Prozent  abgeklungen.

Das ist verblüffend, denn die zwei Länder hatten sehr unterschiedliche Maßnahmen implementiert. Und auch die Erklärung, es sei der typische saisonale Verlauf einer Seuche, wäre wenig plausibel, denn im Januar ist in Südafrika Hochsommer. Könnte es sein, dass sich das verdammte Virus weder um Jahreszeiten noch Lockdown schert?

Wie auch immer – seit dem Auftreten des Virus sind laut Worldometer in SA 52.600 / in D 76.400 Menschen an oder mit Corona gestorben. Das entspricht in SA 8,9 / in D 9,2 Corona-Opfern pro 10.000 Einwohner. Allerdings waren in Südafrika auch viele der Opfer mittleren Alters. Es gab etwa gleich viele Tote in den Altersklassen unter 65 wie über 65.  Im krassen Gegensatz zu Europa, wo die meisten Opfer im Greisenalter waren. Der Grund könnte sein, dass hier viele, auch jüngere Schwarze sehr übergewichtig sind und an Diabetes oder Herzkrankheiten leiden. Auch sind in den Slums die Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten verbreitet, was die Überlebenschancen bei Corona verringert.

Stufen der Prävention

Wie nun hat die Regierung in Südafrika auf Corona reagiert? Die Treppenstufen in der Grafik zeigen den Grad der angeordneten Einschränkungen. Man definierte fünf Stufen, die vom Präsidenten Cyril Ramaphosa im März 2020 im Fernsehen bekanntgegeben wurde.

Es begann mit Stufe 5, die bis Ende April in Kraft war. In der Zeit durfte das Haus nicht verlassen werden, es sei denn aus Gründen, die unmittelbar zum Überleben notwendig waren. Das war der Horror, und obwohl ich einen Garten habe, fühlte ich mich wie ein Primat in Käfighaltung. Wie musste das für eine 10-köpfige Familie in ihrer Hütte in einem der Slums gewesen sein?

Die Einhaltung des Lockdowns wurde rigoros durchgesetzt. Die Polizei wollte den Kassenzettel sehen, wenn man sagte, man käme vom Einkaufen. Was sollte man auf dem Hinweg zum Supermarkt wohl vorzeigen? Ich weiß es nicht, vielleicht ein Foto vom leeren Kühlschrank.

In den dicht besiedelten Townships, wo „social distancing” schwierig ist, kam es zu übertriebener Härte seitens der (fast ausschließlich schwarzen) Polizei. Im Netz tauchte das Video eines Streifenwagens auf, das einen jungen Afrikaner durch den Slum schleppte. Gottlob hat der arme Kerl überlebt.

Erste Lockerung

Im April dann Level 4 und man durfte morgens zwischen 6 und 9 zum Spaziergang aus dem Haus. Fremde lachten sich zu und fielen sich um den Hals. Man fühlte sich wie im Paradies. Ab Juni dann Level 3, und es sollte nie wieder höher gehen.

Mit Level 3 waren die Restaurants geöffnet, wobei ein striktes Protokoll eingehalten wurde: Fieber messen, Namen in die Liste eintragen, nur jeder zweite Tisch darf besetzt werden und – kein Alkohol! Das erinnerte an die Zeiten der Prohibition in den USA, wo im „Speakeasy“ der Whisky in der Kaffeetasse serviert wurde.

Ich war damals – im Juni 2020, nicht 1920 –  mit einem recht asketischen Freund zum Lunch auf einem Weingut und orderte mit auffälligem Zwinkern ein Glas Traubensaft. Mein Freund bestellte das gleiche und war dann sehr überrascht, dass sein Traubensaft wie Cabernet Sauvignon aussah und auch so schmeckte. Den trank er aber zur Feier des Tages trotzdem.

Mit Level 3 machten auch die Schulen wieder auf und man durfte wieder ins Büro, es sei denn, man hatte es sich im Home Office so gemütlich eingerichtet, dass man das beibehielt. Heute, bei Level 1, ist das Leben normal, bis auf gelegentliches Fiebermessen, Masken und spontane Verbote des Alkoholverkaufs. So hat es sich eingebürgert, dass, wenn eine Rede des Präsidenten auch nur angekündigt wird, die Leute sogleich die Schnapsläden stürmen, um sich einzudecken – just in case.

Mehr Leben und mehr Sterben

Mein Eindruck ist, dass die Krise hier in Südafrika im Vergleich zu Deutschland weniger dramatisch verläuft – nicht in klinischer, aber in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht. Das hängt mit der Struktur der Bevölkerung und der Geschichte des Landes zusammen.

Das GDP pro Kopf ist hier $13.000 (Deutschland $53.000), die Geburtsrate ist 18,9 pro 1.000 Einwohner (D: 8,3), das mittlere Alter ist 28 Jahre (D: 48). Alte Menschen werden geachtet und geehrt. Wenn der Mann an der Tankstelle zu mir sagt: „Guten Morgen Opa, soll ich vollmachen?“ dann ist der Opa Ausdruck des Respekts.

Senioren leben in ihrer Familie und sterben dort. So ist der „Grim Reaper“, der Sensenmann, in Südafrika allgegenwärtig, er ist kein Tabu, schon gar nicht in den Slums. Für Kinder gehört der Anblick von Verstorbenen zum Leben. Dazu kommt noch eine andere, erschütternde Statistik: Im vergangenen Jahr wurden im Land 21.000 Morde verübt – das ist etwa das Hundertfache der deutschen Rate.

So löste dann das Auftreten von Corona hier weniger Panik aus als in Deutschland, wo wir wesentlich seltener mit der rauen Realität menschlicher Vergänglichkeit konfrontiert werden und wo Filmen mit beunruhigenden Szenen eine „Triggerwarnung“ vorangestellt wird.

Keine Untertanen

Nicht nur das Verhältnis zum Leben ist hier anders, auch das zum Staat. Die Buren, die seit dem 17. Jahrhundert in das fast leere Land einwanderten, hatten gelernt, dass man ohne Regierung gut überleben kann, und sie verteidigten ihre Freiheit – wenn auch nicht ganz erfolgreich – gegen die Engländer, die das Land kolonisieren wollten.

Die Schwarzen wiederum waren und sind auch heute in erster Linie ihrem Stamm verpflichtet, aber nicht dem Staat. Auch das halbe Jahrhundert Apartheid hat das nicht geändert; im Gegenteil: Die Befreiung unter der Führung von Nelson Mandela hat ihr Selbstbewusstsein nur gestärkt. Der Staat spielt für alle Südafrikaner also eine viel geringere Rolle als für die Deutschen, die über Jahrhunderte in irgendeiner Form Untertanen waren, und wo heute noch in Teilen der Bevölkerung, laut Wolfgang Kubicki, „Sehnsucht nach Bevormundung“ herrscht. Die gibt es hier nicht.

Dazu eine Anekdote: Ein Freund und Nachbar, typischer Bure, kam mit Kind und Kegel vom Camping in Botswana zurück nach Südafrika. Der Schlagbaum stand irgendwo in der Wüste, wo am Tag vielleicht eine Handvoll Autos durchkommen.

Einer der beiden Grenzer fragte meinen Freund, ob er etwas für ihn und seinen Kollegen dabeihabe – damit war Geld oder Alkohol gemeint. Der Freund verneinte das. In dem Fall, so wurde ihm gesagt, müsse er jetzt sein Auto und den Anhänger vollkommen auspacken, sonst bekäme er keine Erlaubnis zur Einreise nach Südafrika. Darauf mein Freund: „Ich brauch keine Erlaubnis zur Einreise – das ist mein Land“, und trat aufs Gaspedal.

Gesunder Menschenverstand

Die eingangs aufgestellte Behauptung über die charakterliche und professionelle Ausstattung typischer Politiker trifft auch für die südafrikanische Regierung zu. Sie war überfordert, eine eigene Corona-Strategie zu entwickeln und kopierte das, was auf der Nordhalbkugel gemacht wurde. Und um sicher zu sein, ging man darüber noch hinaus und begann mit der erwähnten drakonischen Stufe 5.  

Dann aber setzte der gesunde Menschenverstand ein, dem nicht verborgen blieb, dass der totale Lockdown vielleicht in Europa für eine Weile praktikabel ist, nicht jedoch in einem Land, in dem 37% der Bevölkerung weniger als $3.20 am Tag haben; die kaum wissen, wie sie heute überleben sollen, geschweige denn morgen.

Man musste ihnen die Möglichkeit geben, sich am Straßenrand als Gelegenheitsarbeiter anzubieten oder an Ampeln Schnitzereien zu verkaufen und die Hand aufzuhalten. Und wir sprechen hier nicht von ein paar Dutzend Betroffenen, wir sprechen von 20 Millionen! Die Regierung erkannte, dass harter Lockdown mehr Menschenleben kostet, als er rettet. Und das Letzte, was man riskieren wollte, war eine Revolte der Verzweifelten in den Slums, denn die würde etwas anders verlaufen als eine Demo der „Querdenker“ in Berlin.

Man erkannte auch, dass die Existenz vieler, insbesondere mittelständischer Betriebe bedroht war, insbesondere die Branchen Gastronomie und Tourismus litten sehr. Auch hier wog man den unsicheren Nutzen des Lockdowns gegen den sicheren wirtschaftlichen Schaden ab und setzte den gesunden Menschenverstand ein.

Und in Deutschland? „Gesundheit ist wichtiger als Profit“. So einfach ist die Gleichung…

Der letzte Akt?

Ist im großen, globalen Drama namens Corona mit der Verfügbarkeit eines Impfstoffs der letzte Akt eingeläutet? Es scheint da Probleme zu geben; nicht nur bei der Beschaffung, sondern auch bei der Dauer der Wirksamkeit. Man wird sehen.

Die südafrikanische Arzneimittel-Behörde hat auf jeden Fall das „One Shot“ Produkt von Johnson & Johnson zugelassen, welches auch von der hier ansässigen Pharmafirma Aspen produziert werden soll. Man hat davon aktuell 11 Millionen Dosen bestellt und die Zusage für weitere 20. Zusätzlich sind 20 Millionen Dosen vom „Two Shot“ Pfizer-Serum bestellt.

Zuerst kommen die 1,25 Millionen „Frontline Healthcare Workers“ dran. Bis zum 28. März waren 230.000 geimpft.

Ein kleines Malheur gab es, als Ende Februar 2021 eine Ladung von 80.000 J&J-Impfdosen in Brüssel abzuholen war. Das sollte ein Airbus A340 der South African Airways erledigen. Die Airline war aber seit Mai 2020 nicht mehr geflogen, und so waren Piloten und Maschinen nicht ganz flugbereit.

Die südafrikanische Luftfahrtbehörde CAA erteilte angesichts der Dringlichkeit eine Reihe von Ausnahmegenehmigungen für diesen Flug, die aber anscheinend auf die Fitness der Crew wenig Effekt hatten. Jedenfalls gab es beim Abflug von Johannesburg ein Problem. In der Flugplanung war die Maschine um ganze 90 Tonnen zu leicht eingegeben worden. Als die Crew dann in ein paar tausend Fuß Höhe die Startklappen einzog, drohte ein „Stall“, den der Bordcomputer durch sein Eingreifen geistesgegenwärtig verhinderte.

Der Vorfall gewann viel Aufmerksamkeit. Auf jeden Fall machte er deutlich, dass man eine Industrie nach Monaten des Stillstands nicht auf Knopfdruck wieder anschalten kann.

Der Unterschied

Was ist bei Corona und Lockdown in SA anders verlaufen als in D? Der entscheidende Unterschied ist, dass in Südafrika Regierung und Bevölkerung von Pragmatismus geprägt sind, nicht von Ideologie.

Natürlich wird die Situation auch hier von Politikern für parteipolitisches Taktieren und zum persönlichen Vorteil missbraucht. Natürlich gibt es Leute, die sich nicht an die Regeln halten, und andere, die sie sehr ernst nehmen. Aber all das passiert in einer Welt, in der es keinen Vorhang gibt, der alles und jedes von den höchsten Höhen bis zu den tiefsten Niederungen in Gut und Böse aufteilt. Wo die auf der einen Seite des Vorhangs die anderen verteufeln, wo Freundschaften getrennt, Kommunikation gestoppt, Andersdenkende zensiert und Maskenlose bei der Polizei denunziert werden.

In Afrika hat man noch nicht verlernt, zu lachen und zu leben.

Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und dumm“ ist bei Amazon erhältlich.

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Leserpost

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RMPetersen / 26.04.2021

Herzliche Grüsse in das lebendige SA.

Bodo Bastian / 26.04.2021

Danke für diese Einsicht in das Land, in dem ich in den letzten zehn Jahren etwa 50 Monate verbracht habe, beruflich und auch auf Reisen, es gab da Überschneidungen. Meine Erfahrungen mit der Fähigkeit der regierenden Klasse, dort unten irgend etwas auf die Reihe zu kriegen, was sich nicht durch unmittelbare monetäre Effekte auszahlt, wird in diesem Abschnitt auf den Punkt gebracht: ” In der Flugplanung war die Maschine um ganze 90 Tonnen zu leicht eingegeben worden. Als die Crew dann in ein paar tausend Fuß Höhe die Startklappen einzog, drohte ein „Stall“, den der Bordcomputer durch sein Eingreifen geistesgegenwärtig verhinderte.” Nun war das nicht die Regierung schuld, aber ich denke, Sie kriegen den Punkt. Was ich Sie fragen will ist: Sind Sie der Meinung, dass die von der Regierung veröffentlichten Zahlen stimmen?

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