Bei den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wird es wohl keine klaren Mehrheiten geben. Die Piraten bringen das Machtgefüge der Republik durcheinander. Das kann von Vorteil sein, denn die Große Koalition ist für die kommenden Jahre ohnedies die beste Option für Deutschland.
In Kiel und Düsseldorf hatten sie die FDP bereits hämisch beerdigt, die Merkel-Dämmerung ausgerufen und die rot-grünen Ministerposten schon verteilt. Doch nun macht der Bürger nicht nur im saarländischen April, was er will, sondern im norddeutschen Mai auch alles neu: die FDP steht vor ihrem Comeback, Rot-grün schwinden die Mehrheiten und ohne Merkels Union kann man kaum regieren.
Angela Merkel sollte die Piratenpartei in ihr allabendliches Gebet aufnehmen. Denn mit dem Wohlergehen der neuen Protestgruppierung werden rot-grüne Regierungen und perspektivisch auch ein sozialdemokratischer Kanzler immer unwahrscheinlicher. Das linke Lager zerfranst, die Grünen werden unter dem Ansturm der Piraten grau und klein, die CDU wirkt strategisch gestärkt und Große Koalitionen sind nun die Zentraloption der kommenden Jahre.
Es ist wie weilend mit Queen Elisabeth und den Piraten um Francis Drake. Die wilden Querköpfe, frechen Outlaws und scheinbaren Gegner der etablierten Ordnung stabilisieren in Wahrheit die Regentschaft der Königin. Nun regierte Elisabeth I. volle 45 Jahre lang, was Angela Merkel nicht schaffen dürfte.
Aber sie könnte mit dem Aufsplittern der Parteienlandschaft immerhin zur Langzeit-Kanzlerin dieser Republik aufsteigen. Schon jetzt hat sie die Bundeskanzler Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt an Dienstjahren überholt. Gerhard Schröder übertrifft sie noch in diesem Jahr, Helmut Schmidt gleich zu Beginn der nächsten Legislatur. Dann käme sie in die Gefilde der beiden Kanzlerlegenden Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Die Große Koalition ist ihr Schlüssel dazu.
Eine Große Koalition käme dem moderierenden Regierungsstil Merkels ebenso entgegen wie ihren mittigen Überzeugungen. Umfragen zeigen zudem, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung Große Koalitionen sogar wünscht. Gleichwohl ist sie weder bei Parteiprofis noch bei politischen Experten beliebt. Die einen kritisieren die Übermacht der Mehrheiten oder fürchten die Stärkung der Extreme, andere halten sie für langsam, behäbig und minimal-kompromissig, wieder andere finden sie einfach langweilig.
Bislang hat Deutschland mit Großen Koalitionen freilich gute Erfahrungen gemacht – ob in den sechziger Jahren, als Franz-Josef Strauß (CSU) und Karl Schiller (SPD) die Wirtschaft in Schwung brachten oder zuletzt als Peer Steinbrück (SPD) und Angela Merkel (CDU) Deutschland sicher durch die globale Finanzkrise führten. Selbst in der Weimarer Republik haben die groß-koalitionären Stresemann-Kabinette die Hyperinflation, den Hitlerputsch, die Ruhrbesetzung überwunden, die Republik stabilisiert und außenpolitisch befriedet.
Große Koalition sind in schwierigen Zeiten bei hoher politischer See verlässliche, stabile Tanker. Luftige, bunte Schlauchboote kann man bei lauen Wettern fröhlich besteigen. In den kommenden Jahren stehen uns aber eher Gewitter ins deutsche Haus. Die Schuldenkrise wird noch für schwere Verwerfungen in der Wirtschafts- und Finanzwelt sorgen, Europa droht zu zerreissen, die Verteilungskonflikte verschärfen sich. Und auch die nächste Rezession wird kommen. Für derart ungemütliche Zeiten ist es besser, wenn Berlin mit breiten Mehrheiten aus der Mitte der Gesellschaft heraus regiert wird. Bis dahin können sich die liquid-demokratischen Piraten in Ruhe überlegen, was sie eigentlich wollen. Angela Merkel wird sie vergnügt beobachten.
Zuerst erschienen auf Handelsblatt-Online