Die Linke ist auf dem absteigenden Ast, sogar im Osten. Wer, wie Wagenknecht, Politik für die Ärmeren machen will, dem wird „Arbeitertümelei" vorgeworfen. Eine Kopie grüner Inhalte aber braucht kein Mensch.
Die Bundestagswahl ist für die Linkspartei noch weitaus desaströser verlaufen, als es die Wahlumfragen im Vorfeld erahnen ließen. Zwar ist die SED- und PDS-Nachfolgepartei wiederum im Bundestag in Fraktionsstärke vertreten, jedoch gelang ihr der Einzug nur über drei gewonnene Direktmandate. An der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte sie nämlich mit 4,9 Prozent der erzielten Zweitstimmen denkbar knapp.
Die Linkspartei ist nun also da angekommen, wo sie als PDS vor der Zusammenarbeit mit der SPD-Abspaltung WASG im Jahr 2005 bereits war: Irgendwo bei 4 Prozent und nahe der bundespolitischen Bedeutungslosigkeit. Jedoch mit einem feinen Unterschied. Damals feierte die Partei im Osten aufgrund der Agenda-Politik der Regierung Schröder zumindest auf Landesebene einen Wahlerfolg nach dem anderen, heute erreicht sie bei der zeitgleich zur Bundestagswahl in Mecklenburg-Vorpommern abgehaltenen Landtagswahl nur noch magere 9,9 Prozent. Ihren Nimbus als Kümmererpartei des Ostens hat sie längst verloren.
Doch nicht nur das. Auch die Selbstwahrnehmung als Fürsprecherin der sozial Schwachen hat enorm gelitten. Die gewerkschaftlich orientierte Parteiströmung „Sozialistische Linke“ konstatierte in ihrer Wahlanalyse, dass die Linkspartei „besonders stark bei weniger Gebildeten, bei Erwerbstätigen und bei Rentner:innen sowie in der Fläche (v.a. in Ostdeutschland) verloren“ habe, wobei sie bei den Erwerbstätigen mit „unter fünf Prozent“ ihren „Stimmenanteil gegenüber 2017 halbiert“ und „gegenüber 2009 nahezu gedrittelt“ habe.
Besonders bedenklich findet die Gewerkschaftsströmung der Partei, dass sich die Zustimmung unter Gewerkschaftsmitgliedern gegenüber 2017 fast halbiert habe und damit „hinter FDP und AfD bei gerade mal 6,6% Zuspruch“ liegt. Die „Sozialistische Linke“ wertet dies als ein „Armutszeugnis“ für „eine sozialistische Partei, die den Anspruch hat, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu vertreten“.
Wissler sorgt mit Mitgliedschaft in revolutionärer Gruppe für Irritationen
Die Gründe für diesen Zustand sind vielfältig. Auf den ersten Blick ein uninspiriert wirkendes Führungsgespann Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler, welches seit dem Februar 2021 in Amt und Würden ist und in dem besonders Hennig-Wellsow den stalinistischen Charme eines SED-Altkaders versprüht. Die thüringische Landes- und Fraktionsvorsitzende wird im historischen Rückblick wohl einzig durch den Blumenwurf vor die Füße des mit Stimmen der Höcke-AfD zum thüringischen Kurzzeit-Ministerpräsidenten gewählten FDP-Politikers Thomas Kemmerich in Erinnerung bleiben.
Eine Aktion, die Hennig-Wellsow zwar in sozialen Medien und bei der antifaschistischen Aktion zugeneigten Akademiker-Linke erheblichen Applaus bescherte, indes in der arbeitenden kleinbürgerlichen Familie als grob unhöfliches Verhalten einer schlechten Verliererin wahrgenommen wurde. Doch diese Machtdemonstration ist auch damals schon ein Fingerzeig gewesen, welche Wählerklientel die thüringische Spitzenpolitikerin Hennig-Wellsow als Bundespolitikerin künftig ansprechen wollte.
Die Trotzkistin Wissler hingegen mag in ihrer Zeit als hessische Landtagsabgeordnete zwar ein Frankfurter Bedürfnis nach „permanenter Revolution“ erfolgreich bedient haben – wem kommen hier nicht Andrea Ypsilanti und Jutta Ditfurth in den Sinn – und hat darüber hinaus als ehemalige Verkäuferin in einem Baumarkt im Gegensatz zum üblichen linken Lebenslauf von Kreißsaal – Hörsaal – Plenarsaal wenigstens auch mehrere Jahre fernab des Politbetriebs in der Wirklichkeit gearbeitet.
Wenn Wissler allerdings auf der großen Bühne der Bundespolitik davon spricht, dass es „in diesem Land Geld wie Heu“ gäbe, klingen ihre Worte unangenehm vertraut nach der den Grünen attestierten wirtschaftspolitischen Naivität, derzufolge das Geld ja aus dem Automaten käme wie der Strom aus der Steckdose. Dass Wissler dann noch ihre Mitgliedschaft in der vom Verfassungsschutz beobachteten trotzkistischen Organisation marx21 erst kurz vor ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin beendete, mag bei denjenigen Wählern der Partei, die zwar eine soziale, aber keine revolutionäre Alternative suchen, durchaus für Irritationen im Hinblicks auf Wisslers wahre politische Agenda gesorgt haben.
Ein Wahlprogramm mit grünen Politikinhalten
Ein weiterer substanzieller Grund war ein Wahlprogramm, das sich im Kern mehr als ein durchschaubares Plagiat grüner Programmatik herausschälte denn als ambitioniertes linkspolitisches Projekt. Wie es auch Linkspartei-Grandseigneur Oskar Lafontaine wenige Tage nach der Bundestagswahl in seiner Wahlanalyse reklamierte. So sei die „Übernahme grüner Politikinhalte“ – im Einzelnen benennt Lafontaine dabei „offene Grenzen für alle, starke Betonung von Minderheitenthemen und ein Klimaschutz über Verteuerung von Benzin, Gas und Heizöl“ – die „wesentliche Ursache für den Vertrauensverlust bei Arbeitnehmern und Rentnern“.
Lafontaines Kritik ist insofern nicht verwunderlich, als dass er, wie auch seine Ehefrau und langjährige Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, die Aufgabe linker Politik anders verstehen. Und zwar als Kampf gegen soziale Missstände. Wagenknecht sprach im Vorfeld der Europawahlen 2019 in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ davon, dass linke Politik „in erster Linie Politik für Normalverdiener und die Ärmeren sein“ muss, das heißt „für Facharbeiter, kleine Selbstständige, vor allem aber für die vielen Millionen, die im Niedriglohnsektor arbeiten – auch für Menschen, die schlechte Renten beziehen“.
Und warum sollte man überhaupt die Kopie des grünen Wahlprogramms wählen, wenn es bereits das Original von Baerbock und Habeck gibt, mag sich nicht nur manch Grünlinker in der Wahlkabine gefragt haben. Ebenso wer bisher aus Gründen der Sozialpolitik der Linkspartei die Stimme gab, wird darüber nachgesonnen haben, wo er mit seinen Problemen hier überhaupt noch vorkommt. Dass er klimaneutral mit dem Lastenfahrrad zum nächsten Fairtrade-Lebensmittelgeschäft radeln kann, wird seiner prekären Lebenswirklichkeit zwischen Plattenbau, Tafel und Hartz IV nur schwerlich gerecht.
Wähler im Osten rennen Linkspartei in Scharen davon
Darüber scheinen sich besonders die Wähler im Osten der Bundesrepublik Gedanken zu machen, die in Scharen vor einer solch ergrünten Linkspartei davonrennen und lieber der Ost-AfD ihre Stimme geben. Die ehemalige Protest- und Volkspartei des Ostens verkümmert immer mehr zu einer Kleinstpartei, der die Wähler in den neuen Bundesländern langsam wegsterben und die künftig einzig in Großstädten beim verbeamteten Grünbürgertum Anklang finden wird. Womit sie indes wiederum mit den Grünen um dieselbe Wählerklientel konkurriert. Wagenknecht und Lafontaine haben das bereits vor Jahren erkannt.
Statt dabei zuzusehen, dass Arbeiter, Angestellte, Rentner oder kleine Selbstständige in die Arme einer sich sozialpatriotisch gerierenden AfD getrieben werden, wollten Wagenknecht und ihr Ehemann dem eine linke Alternative entgegenstellen. Es ist ihr Versuch, die Linkspartei von ihrem grünbürgerlichen Kurs abzubringen und ihr ein geerdetes und damit sozialdemokratischeres Antlitz zu verleihen.
Damit stehen sie im klaren Widerspruch zu den selbsternannten „Bewegungslinken“ der eigenen Partei, denen Katja Kipping und Bernd Riexinger in ihrem Widerstand gegen Wagenknecht einst mit einer Programmatik von der „Verbindung von sozialer Gerechtigkeit, Ökologie und Antirassismus“ den Weg bereiteten. Die Bewegungslinken haben im Bundesvorstand mittlerweile die Mehrheit und sehen ihre Aufgabe nicht darin, „die ostdeutsche Hartz-IV-Empfängerin und den geflüchteten Jugendlichen, den VW-Arbeiter und die Klimabewegte, den ukrainischen Paketboten und den transsexuellen Busfahrer gegeneinander auszuspielen“, vielmehr wollen sie „BlackLiveMatters, Fridays for Future und Gewerkschaften unterstützen“.
Wagenknecht wird „Arbeitertümelei“ vorgeworfen
Jörg Schindler, der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, der in dieser Funktion auch verantwortlich für die grünalternative Wahlkampagne der Partei zeichnete, erklärte in seiner Wahlnachlese für das Online-Magazin „Links bewegt“ der Linken die Idee dieser bewegungslinken Politik als „verbindende Klassenpolitik“, die der Versuch sei, „verschiedene Perspektiven und Milieus mit ihren sozialen und kulturellen Ansprüchen ernst zu nehmen, überschneidende Interessenlagen, vor allem im sozialen Bereich zu suchen und diese gemeinsam zu vertreten“.
Dies wäre so „eine Form breiter Bündnispolitik der unteren und mittleren Schichten“ als ein „praktisches Gegenkonzept zu einer Politik der Arbeitertümelei“. Die Schindler so dann auch Wagenknechts Polit-Agenda vorwirft, die damit „eigentlich eine Art Wiederkehr des Sektierertums der 70er Jahre“ wäre. Denn bereits damals hätten kommunistische Gruppen erfolglos „die Arbeiter“ gesucht, so Schindler. Dieser vermeintlichen „sektiererischen Polarisierung“ Wagenknechts stellt Schindler besagte „verbindende Klassenpolitik“ entgegen, die dabei „die gesamte Klasse im Blick behält“ und „nach Interessenüberschneidungen“ fragt, die „ökonomischer, kultureller oder menschenrechtlicher Art sein“ können.
Wagenknechts Sammlungsprojekt „Aufstehen“ scheiterte innerparteilich bereits vor Jahren an der auch von Bernd Riexinger so getauften „verbindenden Klassenpolitik“, die die Idee einer Hierarchie von Diskriminierungserfahrungen gemäß der sogenannten Intersektionalität aufgreift. In dieser ist beispielsweise eine schwarze, lesbische Gender-Professorin gegenüber einem weißen, heterosexuellen Wachmann aufgrund von Hautfarbe, sexueller Orientierung und Geschlecht dreifach diskriminiert.
Die Wissler-nahe Gruppe marx21 erklärt in ihrer Analyse des Wahlergebnisses der Linkspartei dazu, dass „Kämpfe von Frauen und sexuellen oder ethnischen Minderheiten ein wichtiger Teil des Klassenkampfs“ seien, wobei „die Vorstellung, dass diese oder die Kämpfe der Klimabewegung an sich Arbeiter:innen abschrecken würde, […] schlicht falsch“ sei, auch wenn „es konservative Teile der Arbeiterklasse [gäbe], die wenig mit diesen Themen anfangen können“. So ließe sich jedoch „Klassenbewusstsein […] nicht durch ein Wegducken vor [derlei] konservativen oder gar reaktionären Einstellungen herstellen, sondern durch gemeinsame Kämpfe, Organisierung und die Erfahrung von Solidarität“.
Parteiinterne Gegner lancieren im Parteiblatt Frontalangriff auf Wagenknecht
So verwundert es wenig, dass eben diese parteiinterne Opposition zum Kurs von Wagenknecht und Lafontaine gleichsam zum kläglichen Wahlergebnis beitrug. Wer die Linkspartei zuvor wegen Wagenknecht und Lafontaine wählte, konnte sich bei der Bundestagswahl nicht einmal mehr sicher sein, überhaupt noch irgendeinen Restbestand ihrer Sozialpolitik am Ende des Wahltages tatsächlich zu erhalten. Ergo: Wer heute wegen Wagenknecht links die Stimme gibt, erhält stattdessen ein bewegungslinkes Programm.
Das bestätigte sich erneut vor wenigen Tagen, als im Parteiblatt der Linken, der Tageszeitung „Neues Deutschland“, einer prominente Gruppe von Bewegungslinken, darunter aktuelle und ehemalige Fraktionskollegen von Wagenknecht im Bundestag, ein Statement lancierten, in welchem sie Wagenknecht scharf angingen. So sei ihr „inhaltliches Projekt und das ihrer Anhänger:innen […] rückschrittlich und zum Scheitern verurteilt“. Weiter seien „ihre Positionen und ihre Politikvorstellung […] verantwortlich für die massive Zerrissenheit in vielen Landesverbänden, für Parteiaustritte und der Grund, warum viele engagierte junge Menschen, die wir so dringend brauchen, nicht zu uns kommen“.
Schließlich würde Wagenknecht sogar „im Ergebnis rassistische Erzählungen stärk[en]“. Womit die Bewegungslinken die alte Erzählung einer vermeintlichen Rassistin Wagenknecht aufgreifen, die ihre parteiinternen Gegner bereits seit Jahren pflegen und in den Medien kolportieren. Die Bewegungslinken beenden ihren Text mit der Forderung, dass „die Positionen von Sahra Wagenknecht isoliert werden“ müssten.
„Sahra muss gegangen werden und daran arbeiten wir“
Dass neben dem Bundesgeschäftsführer Schindler auch das Parteiblatt der Linken solch einen Frontalangriff auf Wagenknecht veröffentlichte, in dem diese überdies sogar öffentlich von Parteigenossen mit Rassismus in Verbindung gebracht wird, ist als ein offener Affront zu werten. Und eine konsequente Fortsetzung des Kurses der öffentlichen Delegitimierung Wagenknechts, der vor Kurzem bereits mit einem – letztlich erfolglosen – Parteiausschlussverfahren initiiert wurde.
Dieser offene Kampf von Parteioberen gegen Wagenknecht ist nicht neu, wie es eine Aussage des damaligen Parteivorsitzenden Bernd Riexinger zeigt, den die BILD im Oktober 2017 in Bezug auf Wagenknechts Rolle als linke Oppositionsführerin so zitierte: „Sahra ist leider nicht aufzuhalten als Fraktionsvorsitzende. Man kann sie nicht einfach abschießen. Sahra muss gegangen werden und daran arbeiten wir. Wenn wir sie immer wieder abwatschen und sie merkt, sie kommt mit ihren Positionen nicht durch, wird sie sicher von alleine gehen.“
Wohin der Kurs ohne Wagenknecht dann gehen soll, verdeutlicht der Text besagter Bewegungslinker eindeutig. Man will „eine LINKE, die Klimaschutz, eine offene Migrationspolitik und queere Themen mit der sozialen Frage zusammen denkt und dies auch in den Kämpfen vor Ort konkret praktiziert“, also ein Mehr an „verbindender Klassenpolitik“.
Die wesentlichen Gründe für das Scheitern bei der diesjährigen Bundestagswahl sollen also zum künftigen Programm werden. Ein bewegungslinker Kurs, der in die bundespolitische Bedeutungslosigkeit der PDS von 2002 führt. Doch mit einem gewichtigen Unterschied. Nicht nur Wagenknecht als profilierteste Gegnerin dieser Politik wird von den eigenen bewegungslinken Genossen innerhalb der Partei isoliert, sondern ebenso ihr Ehemann Oskar Lafontaine, der Retter von damals.