Die Bundesligasaison startet mitten in den Wahlkampf hinein. Wer aber glaubt, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, der kennt die politische Dimension des Fußballs schlecht. Traditionell steht nämlich der FC Bayern für die CSU. Schalke 04 für die SPD. VfB Stuttgart gilt als konservativ, Werder Bremen als sozialdemokratisch, der FC. St. Pauli ist stolz auf sein links-piratiges Lokalkolorit, der SC Freiburg gibt sich gerne grün und Eintracht Frankfurt zelebriert schon immer hessische Verhältnisse – vom Investmentbanker bis zum Hausbesetzer, von Roland Koch bis Joschka Fischer reicht die Fankurve, die nirgends schillernder ist als am Main.
Deutschlands Fußballvereine haben nicht nur Tradition, sie sind auch politische Milieuveranstaltungen. Doch die Szene ist in Bewegung geraten. Wie in der Berliner Republik plötzlich das Parteienspektrum aufbricht, so schimmern auch die politischen Farben der Vereine in neuen Konstellationen. Die Volksparteiendominanz verschwindet, das Lokalkolorit aber auch. Immer mehr Manager und Unternehmer prägen die Fußballkultur. Trainer stehen in Anzügen an der Seitenlinie, Spieler sind „Investitionen“, Sponsoren gelten als „systemrelevant“. Der Fußball gewinnt an Professionalität und verliert Leidenschaft, Traditionsbindung und politisches Bewusstsein. Alles wird mittig-pekuniär-liberal. Ein Indikator für den Zeitgeist der Gesellschaft. Und darum spielen sie auch nicht mehr im Volks- oder Waldstadion sondern in der Commerzbank-Arena, im Signal-Iduna-Park oder in der Allianz-Arena (im Fanjargon gerne auch „Arroganz-Arena“ geschimpft).
Unternehmer stehen inzwischen bei Hertha BSC Berlin, St. Pauli, 1.FC Nürnberg, VfL Bochum, Hannover 96, Energie Cottbus, MSV Duisburg, SpVgg Greuther Fürth, 1860 München, SV Wehen Wiesbaden, Karlsruher SC oder Borussia Mönchengladbach an der Vereinsspitze. In Leverkusen (Bayer) und Wolfsburg (VW) bestimmen gleich ganze Konzerne den Kurs. Und in Hoffenheim hat sogar ein Software-Milliardär einen Retortenverein in die Bundesliga hineingekauft als ginge es um die Mitgliedschaft im örtlichen Golfklub.
In den modernen Fußballtempeln riecht es unter managerieller Aufsicht statt nach nassem Gras und Bier nach Chanel und Lachs-Häppchen. Alles ist überdacht und verglast, Fußball ist auf dem Weg zum regenlosen, reglosen, unsinnlichen Spiel, mahnen sentimentale Geister. In den VIP-Logen schlürfe die Schickeria ihren Event-Prosecco - und in den Kurven halte man sich noch ein paar tausend „richtige Fans“, um Stimmung zu haben. Denn der „Familien-Langnese-Block“ verströme doch eher Sandmännchenatmosphäre.
Tatsächlich hat sich die Fußballwelt nur so verändert wie das Land und seine Politik. Weg vom Strauß/Beckenbauer/Wehner/Netzer-Furor hin zur Merkel/Lahm/Steinmeier/Ballack-Bravheit. Selbst der 1. FC Köln ist nicht mehr so rheinisch-katholisch wie er einmal war. Seit unter Angela Merkel nicht mehr klar ist, was christdemokratisch eigentlich bedeutet, zeigen sich auch bei den CDU-nahen Kölnern polit-kulturelle Cross-Overs des Multikulturellen, denn auf dem Platz steht kaum noch ein Deutscher im FC-Trikot. Und Lukas Podolski, die große, herzerwärmende Heimkehrergeschichte im deutschen Fußball, ist auch einer mit Migrationshintergrund.
Vor allem aber verschwindet der klassische Sozialdemokraten-Fußball, das typische Arbeiter-Fan-Milieu, das für Jahrzehnte zwischen Fabriken und Stadiontribünen, Schiebermützen und Genossentreue blühte. Vorbei, selbst im Ruhrgebiet und auf Schalke, wo es für Jahrzehnte Ehrensache war, Bergmann und SPD-Mitglied zu sein, ändern sich die Zeiten. Der letzte Schalke-Präsidenten diesen Schlages, Gerhard Rehberg, Steiger und SPD-Bürgermeister verabschiedete sich 2007. Heute präsidiert den - ausgerechnet von Gazprom aus Putinland gesponserten - Verein ein Steuerberater mit eigener Kanzlei, dessen Aufsichtsratsvorsitzender (man beachte die börsenfähige Struktur) wiederum der Chef einer der größten Schlachtbetriebe in Deutschland ist. Die Sozialdemokraten haben also auch diese Hochburgen verloren – als hätte ihnen zu allem politischen Ungemach das gerade noch gefehlt.
Doch auch die liberalen Aufsteiger der Politik bekommen vom Fußball ihre Mahnung. Beim FSV Mainz 05 sitzt der Vereinspräsident Harald Strutz für die FDP im Stadtrat. Als gäbe es einen inneren Zusammenhang erleben der FSV und die FDP ein doppeltes Comeback. Aufstieg in die erste Liga, Aufstieg in den Umfragen. Im Fußball wie in der Politik gelten beide als die gut Gelaunten, authentisch, klein aber im Kommen. Und doch kommt gerade aus dem liberalen Mainz die Nachricht, dass der Trainer – so etwas hat es auch noch nie gegeben –schon vor dem ersten Spieltag gefeuert wurde. Guido Westerwelle, Obacht!