Wolfram Weimer / 01.04.2012 / 16:51 / 0 / Seite ausdrucken

Lindner hat, was Röttgen fehlt: Mut

Die FDP schien schon klinisch tot. Da kommt Christian Lindner und verblüfft die politische Klasse mit einer Reanimation. Denn er zeigt etwas, was viele Politiker verloren haben: Mut. Vor allem seinen CDU-Konkurrenten Norbert Röttgen läßt er ziemlich blass aussehen. Plötzlich haben die Liberalen wieder eine Perspektive

FDP-Anhänger fühlen sich seit Monaten in etwa so wie die Fans vom 1. FC Kaiserlautern: als sichere Absteiger. FDP-Politiker wiederum wirken so Erfolg verheißend wie Frauenbeauftragte in Saudi-Arabien. Und FDP-Wähler scheinen so übriggeblieben wie Commodore-Computer. Die Krise der Liberalen ist nicht nur tiefgreifend, sie ist existenziell. Die Partei hat von Ihren Wahlversprechungen so gut wie nichts gehalten, sie ergeht sich in Machtspielen und zeigt sich umfassend pubertär. Guido Westerwelle, der einst angetreten war, die dünnteigige, nichtssagende Genscher-FDP zu einer schlagkräftigen Volksbewegung für moderne Freiheit zu machen, gab – kaum im Amt – just den Genscher, nur eben schlechter. Und Philipp Rösler wirkt immer noch wie ein Harlekin der deutschen Politik. Zu allem Überfluss formiert sich ausgerechnet jetzt mit den Piraten eine neue radikalliberale Partei, die die Parlamente im Sturmlauf nimmt. Alles wirkt final.

Doch plötzlich tritt ein Mann auf, der binnen weniger Tage Umfragen und Stimmungen zu drehen vermag. Der Spitzenkandidat der Liberalen in NRW macht Furore. Die Meinungsforscher sind verblüfft, denn dass der „Lindner-Effekt“ sogar die Umfragen der Bundes-FDP nach oben zieht, hätte keiner erwartet. Offenbar ist das politische Publikum fasziniert von diesem jungen Mann, der eines ausstrahlt, was den meisten Politikern inzwischen völlig abgeht: Mut.

Lindner vertritt mutige Position gegen den gefühlten Mainstream, so als er als einer der Ersten offen gegen staatliche Hilfen für Schlecker votierte. Er riskiert seine Karriere für seine Überzeugungen, so als er als Generalsekretär zurücktrat, um dem stümpernden Rösler nicht länger dienen zu müssen. Und er hat mutig die Spitzenkandidatur in NRW ergriffen, als sie keiner haben wollte. Bahr und Röttgen klammern sich lieber an ihre wohltemperierten Ministerdienstwagen in Berlin als sich in den eisigen Wind des Ruhrgebiets zu stellen und für ihre Meinungen zu kämpfen. Genau das aber macht den „Lindner-Effekt“ aus. Und je saturierter Röttgen seinen Wahlkampf angeht und sich aus Berlin nicht wirklich fort wagt, desto größer wird der Zulauf für Lindner. Im bürgerlichen Lager gibt es zunehmend mehr Wähler, die ohnedies keinen bürgerlichen Wahlsieg gegen Hannelore Kraft erwarten, die aber die FDP nicht untergehen sehen wollen.

Lindners High-Noon-Strategie könnte also aufgehen. Er setzt alles auf eine, seine Karte. Er verkündet, dass es in NRW um die Existenz der FDP und um die Zukunft der inkompetenten Parteiführung in Berlin. Seine Botschaft: Wählt mich, damit Rösler geht und die FDP überlebt. Christian Lindner ist so dabei ein politisches Drama erster Klasse zu inszenieren. Und jeder, der ihn wählt, bekommt das Gefühl, dieses Drama mit zu schreiben.

Er ist ein bemerkenswerter Politiker. Mit 15 Jahren trat er in die FDP ein, mit 18 kam er in den Landesvorstand der Partei, mit 21 in den Landtag von Nordrhein-Westfalen. Mit 25 Jahren wurde er Generalsekretär der NRW-Liberalen, mit 31 Generalsekretär der Bundes-FDP. Kurz vor seinem 33. Geburtstag legte er das Amt spektakulär nieder, um nun noch spektakulärer das Comeback zu wagen.

Lindner wird selbst von politischen Gegern attestiert, smart und sympathisch zu sein. Er hat einen intellektuellen Zug und ist jung, was beides von Vorteil ist, wenn er sich am anstehenden FDP-Putsch in Berlin mit dem bodenständigen, erfahrenen Brüderle verbündet. Sollte Lindner als einziger im liberalen Todeskampf das Leben und den Sieg verkörpern, dann gehört ihm die Zukunft. Sein Mut-Motto ist der Rennfahrerregel entlehnt: “Schau immer auf den Ausgang der Kurve, nie auf die Leitplanke.” Leitplankenpolitiker gibt es schon genug – und sie sehen alt gegen ihn aus.

Zuerst erschienen auf Handelsblatt Online

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