Läuft’s jetzt nach dem Prigoschin-Putin-Pakt?

Erst sollten die putschenden „Verräter“ verfolgt werden. Dann hieß es: Ende der Strafverfolgung und Exil für Prigoschin. Am Montag ließen die einschlägigen Dienste in Moskau wiederum mitteilen, es werde doch gegen den Wagner-Chef ermittelt und heute heißt es wieder, die Ermittlungen werden eingestellt. Derweil soll Prigoschin in Minsk gelandet sein.

Am Dienstagmorgen ist ein Privatjet von Jewgeni Prigoschin auf einem Militärflugplatz nahe der weißrussischen Hauptstadt Minsk gelandet. Das teilte jedenfalls die auf die Beobachtung von Militäraktivitäten spezialisierte, unabhängige Projektgruppe Belaruski Hajun mit, wie welt.de berichtet. Ob der Putsch-Abbrecher auch persönlich an Bord war, weiß man allerdings nicht genau.

Allerdings hat der Inlandsgeheimdienst FSB mitgeteilt, die Ermittlungen wegen des bewaffneten Aufstandes nun doch eingestellt zu haben. Die Beteiligten der Meuterei hätten ihre Aktivitäten aufgegeben, deren Ziel die Verübung eines Verbrechens gewesen sei, hieß es vom FSB weiter. Deshalb und wegen anderer „relevanter Umstände“ wäre der Fall geschlossen worden. War die gestrige Meldung, dass trotz der von Putin zugesagten Straffreiheit weiter ermittelt werde, also nur eine kleine Erinnerung an die Druckmittel des Regimes? Daran, dass Prigoschin sein weiteres Leben genießen könnte, ohne Putins Rache fürchten zu müssen, glaubt allerdings ohnehin niemand. Dazu wären solche Erinnerungen also unnötig.

Vielleicht galt das Signal auch nur einigen von Prigoschins Kämpfern, damit sie – wie vereinbart – abrüsten. Jetzt hat das russische Verteidigungsministerium bekannt gegeben, dass die „schwere“ Militärausrüstung der Söldnertruppe Wagner, darunter Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, der russischen Armee übergeben werde. 

Verbales Kaschieren der eigenen Schwäche

Gestern Abend hatte sich Wladimir Putin noch einmal in einer Fernsehansprache geäußert. Er suchte offenbar nach verbalen Möglichkeiten, die Schwäche seines Einlenkens als staatsmännische Stärke zu kaschieren:

Ich möchte betonen, dass wir sofort alle notwendigen Entscheidungen getroffen haben, um die Bedrohung zu neutralisieren und die verfassungsmäßige Ordnung sowie das Leben und die Sicherheit unserer Bürger zu schützen.

Der bewaffnete Aufstand wäre in jedem Fall niedergeschlagen worden. Die Organisatoren der Rebellion konnten trotz des Verlusts des gesunden Menschenverstands nicht umhin, dies zu verstehen. Sie haben alles verstanden - einschließlich der Tatsache, dass sie kriminelle Maßnahmen ergriffen haben, dass sie ein Land gespalten und geschwächt haben, das jetzt einer enormen Bedrohung von außen und einem beispiellosen Druck aus dem Ausland ausgesetzt ist, während unsere Kameraden an der Front unter dem Ruf ‚Niemals zurückweichen!‘ sterben.

Allerdings verrieten die Organisatoren der Rebellion, nachdem sie ihr Land und ihr Volk verraten hatten, auch diejenigen, die in das Verbrechen verwickelt waren, belogen sie, trieben sie mit vorgehaltener Waffe in den Tod, um auf ihr eigenes Volk zu schießen. Das ist genau das, was Russlands Feinde und die Neonazis in Kiew, ihre westlichen Gönner und verschiedene Saboteure wollen. Sie möchten, dass russische Soldaten sich gegenseitig töten, dass sowohl Soldaten als auch Zivilisten sterben, sodass Russland letztendlich verliert. Und dass unsere Gesellschaft gespalten und in blutigen Bürgerkriegen erstickt wird. Sie reiben sich die Hände und träumen davon, sich für ihr Scheitern an der Front und während der sogenannten Gegenoffensive zu rächen.

Aber sie haben sich verrechnet. Vielen Dank an alle unsere Militärangehörigen, Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden und Sonderdienste, die den Aufständischen im Weg standen. Sie würdigten ihre Treue zur Pflicht, zu ihren Eiden und zu ihrem Volk. Der Mut und die Selbstaufopferung unserer gefallenen Heldenpiloten retteten Russland vor tragischen und verheerenden Folgen.

Gleichzeitig wussten wir, dass die überwiegende Mehrheit der Kämpfer und Kommandeure der Wagner-Gruppe auch Patrioten Russlands sind, die ihrem Volk und dem Staat ergeben sind. Sie haben es mit ihrem Mut auf dem Schlachtfeld bewiesen und den Donbass und Neurussland befreit. Es wurde versucht, sie ohne ihr Wissen gegen ihre eigenen Waffenbrüder einzusetzen, mit denen sie gemeinsam für das Land und seine Zukunft gekämpft haben. Deshalb haben sie von Beginn dieser Ereignisse an auf meinen direkten Befehl hin Maßnahmen ergriffen, um Blutvergießen zu vermeiden.

Dies brauchte Zeit, auch um denjenigen, die einen Fehler gemacht haben, eine Chance zu geben, zur Besinnung zu kommen, um zu verstehen, dass die Gesellschaft ihr Handeln entschieden ablehnt und welche tragischen, verheerenden Folgen das Abenteuer, in das sie hineingezogen wurden, für Russland und unseren Staat geführt hat.

Ich danke den Soldaten und Kommandeuren der Wagner-Gruppe, die die richtige Entscheidung getroffen und kein brudermörderisches Blutvergießen betrieben haben. Sie hörten in letzter Minute auf.“

Sind die Wagner-Kämpfer verzichtbar?

Glaubt Putin selbst noch daran, dass eine solch atemberaubende Interpretation beim russischen Publikum verfangen wird? Glaubhaft ist sicher der Teil der Botschaft, in der er sagt, dass er auf die Wagner-Kämpfer nicht verzichten mag: 

Heute haben Sie die Möglichkeit, Russland weiterhin zu dienen, indem Sie einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium oder anderen Strafverfolgungsbehörden unterzeichnen, oder Sie können zu Ihren Lieben zurückkehren. Wer möchte, kann nach Belarus ausreisen. Das Versprechen, das ich gegeben habe, werde ich einhalten.“

Es wird interessant sein, ob Prigoschin in Weißrussland wieder eigene Truppen aufstellt bzw. aufstellen darf. Denn das kann bei dem gegenwärtigen Machtgefüge eigentlich nicht gegen den Willen Putins geschehen. So eigenständig darf der Minsker Machthaber Lukaschenko nicht agieren. Es gab ein paar unbestätigte Meldungen, nach denen in Weißrussland schon Feldlager für eintreffende Wagner-Kämpfer entstehen würden. Ist eine weißrussische Neuauflage von Prigoschins Söldner-Armee wirklich denkbar? Sollte das tatsächlich zu den Absprachen zwischen Prigoschin und Putin gehören? An dieser Stelle bieten sich unendlich viele Ansatzpunkte zur Spekulation, denn so gut wie niemand kennt derzeit alle Nebenabreden im Prigoschin-Putin-Pakt.

Auszuschließen ist es leider nicht, dass die Wagner-Söldner wieder in die Ukraine einfallen, nur dann eben von Weißrussland aus.

Aber bevor sich mit ein wenig Substanz darüber spekulieren lässt, ob hier etwas nach einem von Putin mit Prigoschin ausgehandelten Plan geschieht oder es den Akteuren weiterhin einfach nur ungeordnet aus dem Ruder läuft, muss man wohl noch ein paar Geschehnisse in dieser unglaublichen Geschichte abwarten. 

Lukaschenkos große Angst

Zum ersten Mal seit der abgebrochenen Revolte von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin gegen Russlands Präsident Wladimir Putin hat sich nun auch Alexander Lukaschenko zu Wort gemeldet. Der weißrussische Machthaber hatte in dem Konflikt mutmaßlich vermittelt und zum Stopp der Revolte beigetragen.

„Die Situation ist uns entglitten und wir dachten dann, sie würde sich von alleine lösen, aber das hat sie nicht“, habe Alexander Lukaschenko am Dienstag nach Angaben der staatlichen weißrussischen Nachrichtenagentur Belta verlauten lassen. „Es gibt keine Helden in diesem Fall“, zitiert focus.de aus dessen Rede: „Ich muss sagen, es war sehr schmerzhaft für mich mitanzusehen“. 

Während des Aufstands der Wagner-Söldner am Wochenende sei die weißrussische Armee nach Lukaschenkos Angaben in Gefechtsbereitschaft versetzt worden. Dem Minsker Machthaber ist seine Abhängigkeit von Putin wohl stets bewusst. Pathetisch formulierte er „Wenn Russland zusammenbricht, werden wir unter den Trümmern liegen und alle sterben“. Dabei dachte er sicher weniger an die Bevölkerung in Russland und Weißrussland, sondern an ihn und die Seinen, also die Mächtigen und Nutznießer der Regimes in Moskau und Minsk. 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Friedrich Richter / 27.06.2023

@Peter Zinga: Bald wird die Zustimmungsrate für Putin auf 110% steigen, zumindest wenn man solche seriösen Quellen wie LLC zu Rate zieht.

Boris Kotchoubey / 27.06.2023

Welche Gesellschaft fällt als erste auseinander: die deutsche oder die russische? Ohne große Tüte Popkorn ist diese Frage nicht zu beantworten. Man kann natürlich Imperial College London beauftragen, ein mathematisches Modell zu bilden. Da die Modelle des ICL zu 100% falsch sind, bekommt man die richtige Antwort durch Ausschluß.

Hans-Joachim Gille / 27.06.2023

Im Grunde wissen wir nichts, als Verlautbarungen. Was sind Verlautbarungen in einem Krieg schon wert?

W. Hägel / 27.06.2023

Meine 5Pf - es war eine gut durchdachte und gelungene inszenierung. dessen folgen sind: 1)den führenden militärs der RF kann nun genauer auf die finger geschaut werden. einige hubschrauber/flugzeuge wurden abgeschossen - wer gab startbefehl? (eventuell wird sonst noch mehr aufgeräumt, stehen noch personelle entscheidngen aus?) 2)nationalgarde wird zur richtigen armee ausgebaut (wie in der UDSSR; mit allerlei schwerem gerät) 3) Putin zählt öffentlich die ausgaben für PMC auf und entzieht militärausrüstung, aber wohl nur die, die in RF geblieben war (verbindungen werden gekappt - PMC kann nun viel brutaler auftreten) 4)Belarus bekommt starke truppe (verteidigungsminister dazu: “die könnte ich gut gebrauchen”; es kommen viele kampferprobte ausbilder mit) 5)sollte Polen konfliktpartei werden, ist Weißrussland besser vorbereitet (und sonst steht Wagner 100km vor Kiew) 6)durch das eintägige theater konnte Wagner umdisloziert werden (mit höchstgeschwindigkeit richtung Moskau - na sicher doch:) 7)Kadirows truppen sind von Rostow aus sicher nicht zurück gefahren. die gehen mit all dem material und soldaten weiter nach westen (sollten in Rostow PMC Wagner stoppen- lol).Ansonsten: glaubt jmd ernsthaft, in RF könnte ein putschist davon kommen? mit einem privatjet auserlande fliehen? Prigozhin verließ Rostow dazu noch wie ein rockstar, auf den strassen war volksfeststimmung.  an dem tag fand eine riesenfeier in St.Petersburg statt, wo auch Putin anwesend war (soviel zu “Putin ist gefohen aus Moskau”). der weten wurde lälcherlich gemacht: Zelensky meldete an dem tag, das die geschichte mit Bachmut/Soledar “nicht so schlimm war”. US-Regierung meldete, die sanktionen gegen Wagner aufzuschieben. westliche msm schrieben plötzlich von “Wagner freedom fighters”, um nicht mal 24h später wieder wie gehabt von “Wagner terrorists” zu labbern. bei welt wollte ein general.a.d. “den zeitpunkt nutzen” (angreifen in ukraine), um am nächsten tag das zu bereuen und von inszenierung zu spechen….

Jochen Grünhagen / 27.06.2023

Es gab Tote bei der russischen Armee, drei Hubschrauber und ein Flugzeug wurden abgeschossen. Wenn der Putschversuch real war, wird Prigoschin nicht mehr lange leben. Wahrscheinlicher scheint mir eine durchschaubare Finte, um die Wagner Söldner nach Weißrussland zu bringen, den Rest kann sich jeder denken.

Fred Burig / 27.06.2023

Wenn alle “Kriegsexperten” nicht nur fabulieren würden, dann müsste die Kriegspropaganda noch einen drauf setzen ... Zielgruppe wurde erreicht - nächstes Thema, - gez. W. Putin ...  ha,ha MfG

F. Auerbacher / 27.06.2023

Gähn ... man weißdoch, wie es weiter geht. Bleibt Prigoschin im Machtbereich des Kreml, so wird man plötzlich Steuerhinterziehung, illegale Geschäfte und das übliche finden und er verschwindet 80 Jahre im Knast. Ist er schwer zu kriegen, fällt er aus dem Fenster im vierten Stock, wird an einer roten Ampel überfahren und frisst irgendein giftiges Zeug - so ein Pech aber auch. Und, um den Putintrollen gleich die Antwort zu geben: ich bin weder ein Putinexperte noch ein Russlandkenner, aber ich kann lesen und denken und mein Gedächtnis ist ganz ok. Лейтесь, лейтесь, слезы горькие! Плачь, плачь, душа православная. Скоро враг придёт И настанет тьма, Темень тёмная, непроглядная. Горе, горе Руси.Плачь, плачь, русский люд, Голодный люд!

gerhard giesemann / 27.06.2023

So isser halt, der Russe: Undurchsichtig.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Peter Grimm / 09.05.2024 / 06:15 / 122

Sind normale Bürger Gewaltopfer minderer Güte?

Wer „demokratischen“ Politikern Gewalt antut, soll härter bestraft werden, als wenn er den gemeinen Bürger angreift? Welch undemokratische Idee. Selbst als es für Politiker der…/ mehr

Peter Grimm / 08.05.2024 / 06:15 / 61

Die CDU feiert Parteitag

In Berlin sollen ein neues Grundsatzprogramm und schöne Reden den einen zeigen, dass die Merkel-CDU Geschichte ist und den Merkelianern das Gegenteil beweisen. Und alle…/ mehr

Peter Grimm / 06.05.2024 / 10:00 / 103

Politik für ausgewählte Gewalttaten?

Nach dem brutalen Angriff auf einen SPD-Europaparlamentarier in Dresden rufen die Regierenden wieder zum „Kampf gegen rechts“, und die Innenministerin will mit „Maßnahmen“ reagieren. Die…/ mehr

Peter Grimm / 02.05.2024 / 12:00 / 29

Rauchfreie Wahlhilfe vom Tabakkonzern

Rauchfrei Rauchen mit Tabak-Lobbyisten, die mit dem Aufruf zum „richtigen“ Wählen die Demokratie retten wollen. Wenn man in den letzten Jahrzehnten Medien konsumierte, so gab…/ mehr

Peter Grimm / 01.05.2024 / 06:00 / 52

Durchsicht: Grenzen der Ausgrenzung

Die AfD solle nicht mehr zum städtischen Gedenken an NS-Verbrechen eingeladen werden, forderten die Grünen im Leipziger Stadtrat, und sorgten für eine interessante Debatte. / mehr

Peter Grimm / 26.04.2024 / 12:00 / 37

Keine Kästner-Lesung für „Freie Wähler“

Zweimal wollten die Freien Wähler in Dresden eine Lesung aus Erich Kästners „Die Schule der Diktatoren“ veranstalten. Beide Male wurde sie untersagt. Eine bittere Realsatire.…/ mehr

Peter Grimm / 23.04.2024 / 06:05 / 94

Anleitung zum vorbeugenden Machtentzug

Was tun, wenn die AfD Wahlen gewinnt? Das Votum des Wählers akzeptieren? Oder vielleicht doch schnell noch mit ein paar Gesetzen dafür sorgen, dass sie…/ mehr

Peter Grimm / 12.04.2024 / 06:15 / 136

Kein Drama beim Höcke-Duell

Dass Thüringens CDU-Chef Mario Voigt mit seinem AfD-Pendant Björn Höcke in ein TV-Duell ging, sorgte für Aufsehen und Protest. Heraus kam eine ganz normale Fernsehsendung,…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com