Ulli Kulke / 22.11.2023 / 06:00 / Foto: Imago / 70 / Seite ausdrucken

Kein EU-Verbot von Glyphosat

Harte Zeiten dürften auf Cem Özdemir zukommen. Die EU hat ihm – und seiner grünen Partei – nicht wie erhofft den Gefallen getan, dem in der Landwirtschaft eingesetzten Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat europaweit die Zulassung zu entziehen. Seit rund 20 Jahren wird das harmlose Pflanzenschutzmittel durch die Ökoszene verteufelt.

Es geht immerhin um den Stoff, der bei den Aktivisten der Biolandwirtschaft ähnliche Beliebtheit genießt wie beim Teufel das Weihwasser. Die Zulassung wurde verlängert, und das gleich für zehn Jahre. Entzogen wurde nicht die Zulassung, weggezogen vielmehr der Boden für das feste Versprechen der Ampelkoalition, das Herbizid in Deutschland aus dem Verkehr zu ziehen. Eine Zusage, für die sich vor allem die Grünen im Koalitionsvertrag stark gemacht hatten. Zwar gäbe es – theoretisch – noch ein Hintertürchen, durch das Glyphosat womöglich doch noch den Bauern entrissen werden könnte: Für die Zulassung der einzelnen Produkte im Handel, in denen der Wirkstoff enthalten ist, sind die jeweiligen Behörden der Mitgliedsländer zuständig.

Doch nachdem nun durch den positiven Grundsatzbeschluss in Brüssel von dort die ersehnte Hilfestellung beim Glyphosat-Aus fehlt und die Landwirte in den anderen EU-Ländern das seit 50 Jahren bewährte Mittel weiterhin einsetzen dürften, wird es kaum möglich sein, dem deutschen Ackerbau hier durch Verbot einen immensen Wettbewerbsnachteil zuzumuten und das auch noch durch die Gerichtsinstanzen zu bringen.

Glyphosat wurde ein Mythos übergestülpt

Dennoch: Entsprechende Forderungen aus der Ökoszene und von Naturschützern werden auf Özdemir und auf die Bundesregierung absehbar als Dauerfeuer einprasseln. Grund ist die aberwitzig überhöhte Symbolkraft, die Sinnbildlichkeit, ja der Mythos, der dem verteufelten Stoff von der Umweltbewegung übergestülpt wurde im Kampf gegen den konventionellen Ackerbau, oder, wie es in der Frontberichterstattung der Bio-Krieger heißt: gegen die Agrochemie, die „Industrielle Landwirtschaft“, die Chemielobby.

Eines steht fest: Glyphosat ist der umstrittenste Stoff, der in der Landwirtschaft eingesetzt wird. Über keinen anderen finden in der Öffentlichkeit so leidenschaftliche und ausführliche Kontroversen statt. Allerdings: Irrtümlich, bisweilen auch mit voller Absicht, wird der Begriff „umstritten“ gleichgesetzt mit der Bedeutung „problematisch“ (oder auch gleich „giftig“). Der – eigentlich ja nur gefühlte – Mangel an Trennschärfe zwischen den Bezeichnungen wird dabei von interessierter Seite immer wieder mit Vorliebe ausgenutzt, und damit für den Sprachgebrauch auch wohlüberlegt gepflegt, gefestigt. „Umstritten“ – das reicht.

Der Begriff fehlt denn auch in keinem gedruckten oder gesprochenen Beitrag über das Unkrautvernichtungsmittel. Er gehört zu ihm wie das y und das ph. Aber ist der Einsatz des Stoffes, wie all dies offenbar insinuieren soll, auch tatsächlich problematisch, wirklich gefährlich, giftig? Gar krebserregend, wie es jetzt wieder lautstark durch den Blätterwald und den Äther rauscht? Ist er verantwortlich für den Artenschwund, gefährlich für Flora und Fauna? Oder steht das nur so in den Zeitungen, weil die Leute es lesen und die Redaktionen auf der sicheren Seite bleiben wollen?

Viele tausend Studien

Noch ein zweiter Superlativ gilt für Glyphosat: Er ist das wissenschaftlich und medizinisch mit Abstand am besten und sattsamsten erforschte Hilfsmittel für den Ackerbau. Viele tausend Studien, Kohortenstudien, Kontrollstudien, Metastudien, Monitorings, Analysen, Statistiken liegen dazu vor, über mögliche Toxizität, Neurotoxizität, Reproduktionstoxität, über Mutagenität, Kanzerogenität, Leberkrebs, Schilddrüsenadenome, über Konsequenzen auf die Artenvielfalt und die Insekten, über seine Verbreitungseigenschaften, seine Flüchtigkeit, Halbwertzeiten und hundert mal hundert weitere Fragestellungen, mindestens. Es wäre unmöglich, hier ein Querschnittsresümee dieser Arbeiten zu ziehen. Wer sich ins Einzelne hineinvertiefen will, dem sei der besonders ausführliche Eintrag zum Stichwort „Glyphosat“ im Internet-Lexikon „Wikipedia“ empfohlen, der ständig auf dem neuesten Stand gehalten wird. Und bei dem – besonders in Fällen wie diesem – die konträren Autoren einander wie Schießhunde kontrollieren und im Zweifel zupacken.

Die Diskussion um Glyphosat hält seit dem Millennium an, kocht immer wieder hoch bei anstehenden Verlängerungen seiner Zulassung, wie zuletzt in der EU 2016/17. Seither hat sich auf wissenschaftlicher Ebene wenig getan. In jene Zeit fiel auch die letzte große, eine der umfassendsten Forschungsarbeiten überhaupt zum Thema. Ein Zitat dazu sei deshalb dann doch aus Wikipedia angeführt:

„Eine im November 2017 publizierte umfassende prospektive Kohortenstudie von knapp 45.000 Glyphosatanwendern kam zu dem Ergebnis, dass kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Glyphosat und dem Auftreten solider Tumoren bzw. maligner Lymphome besteht. Nach Review der ECHA (Chemikalienagentur der EU) und EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) ist die Exposition von Glyphosat nicht mit dem Auftreten krebsbezogener Gesundheitsauswirkungen assoziiert.“

Die WHO ist sich selbst nicht einig

Die Glyphosat-Gegner sind um den Eindruck einer mehrheitlichen oder gar einmütigen Ablehnung des Stoffes aus dem umwelt- und medizinwissenschaftlichen Wissenschaftsbetrieb bemüht. Eher das Gegenteil ist indes der Fall. Auf Behördenebene werden sie allein von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation WHO unterstützt, deren Einstufung („wahrscheinlich krebserregend“) im Jahr 2015 deshalb so heftig einschlug in die Debatte, weil dies nach all den jahrzehntelangen gründlichen Forschungen die erste gewichtige Stimme war, die man für ein Verbot in Stellung bringen konnte. Gewichtig, weil es sich immerhin um eine UN-Instanz handelte.

Dass dann allerdings dieselbe WHO schon kurz darauf im Rahmen des gemeinsamen Ausschusses mit der UN-Partnerorganisation für Landwirtschaft, FAO, dem „Joint Meeting on Pestcide Residues“ (JMPR), zu dem Ergebnis kam, es sei unwahrscheinlich, dass Glyphosat bei der Nahrungsaufnahme ein gesundheitliches Risiko darstelle, und von einem Glyphosat-Verbot nichts wissen wollte – dies fiel in der allgemeinen öffentlichen Aufregung über die anstehende EU-Entscheidung über die weitere Zulassung weitgehend unter den Tisch, es interessierte kaum jemand.

Wie aber kam die unterschiedliche Einstufung zustande? Hat die Bauernlobby aus der FAO bei den gemeinsamen Beratungen die Gesundheitsverantwortlichen in der WHO über den Tisch gezogen? Keineswegs. Weder die kritische IARC der WHO noch das gemeinsame JMPR-Komitee mit der FAO haben eigene Untersuchungen angestellt. Der Unterschied in der Beurteilung resultiert weitgehend daraus, dass die IARC sich auf Studien berufen hatte, die allein eine theoretische Krebs-Gefahr durch Glyphosat konstatierten. Und sei diese auch durch unsinnig hohe Dosierungen in den Versuchen oder andere, dem menschlichen Verzehr meilenweit entfernte Bedingungen hervorgerufen. Während WHO und FAO bei ihren Empfehlungen sich an realen Bedingungen orientierten. 

Eliminierung chemischer Hilfsmittel in der Landwirtschaft

Diese Vorliebe der IARC für rein theoretische Aussagen, völlig unabhängig von der benutzten Menge oder der Intensität, durchzieht grundsätzlich ihre Einstufung von möglicher Kanzerogenität. Deshalb kamen da auch Artikel des täglichen Verzehrs, wie Fleisch, Wurst oder auch Kaffee sowie Tätigkeiten wie Friseur- oder Schichtarbeit auf den Index. Kaffee wurde im Zuge der großen Glyphosat-Debatte 2016 wieder gestrichen. Womöglich, um der vielbeachteten Diskussion um das Herbizid nicht unnötig durch lächerliche Parallelbeispiele zu schaden?

Bei den Zulassungsbehörden jedenfalls herrscht weltweit große Einhelligkeit: Es wäre unverhältnismäßig, Glyphosat aus dem Verkehr zu ziehen. Darüber kann alle Skandalisierung der Brüsseler Verfügung hierzulande nicht hinwegtäuschen. Verantwortlich entscheiden heißt hierbei schließlich nicht nur, unrealistische Versuchsbedingungen in der Bewertung als solche kenntlich zu machen, sondern auch die Alternativen eines zu prüfenden Stoffes und deren Folgen abzuwägen.

Hierbei nämlich gelangt man zügig zu der Erkenntnis, dass Glyphosat nicht etwa wegen besonderer Giftigkeit im Zentrum der Debatte steht, sondern weil es das am weitesten verbreitete Mittel zur Unkrautbekämpfung ist. Eines, das unerwünschte Pflanzen vom Acker fernhält, die Tierwelt dagegen, auch Insekten, weitgehend unbehelligt lässt, sich in ihnen schon gar nicht anreichert. Ganz offensichtlich ist es als Hebel gedacht zur Eliminierung jeglicher chemischer Hilfsmittel in der Landwirtschaft. Denn wenn dieses erst einmal „geschafft“ ist, sind die Alternativen – durchweg erheblich „giftiger“ – argumentativ schon gar nicht mehr zu rechtfertigen.

Biolandbau darf Schwermetalle spritzen

Wer sich einmal die anderen zugelassenen Herbizide anschaut, die potenziellen Ersatzstoffe für Glyphosat, deren Gebrauch merkwürdigerweise nicht inkriminiert ist, wird sich vergleichsweise im Gruselkabinett wähnen: 2,4-D und MCPA etwa, das beim Entlaubungsmittel Agent Orange der USA im Vietnamkrieg zur Mixtur gehörte und das Nervensystem angreift; Eisen(II)-Sulfate, die den Magen-Darm-Trakt, die Leber und das Herz angreifen; Maleinsäurehydrazid, Metaldehyd – wohl bekomm’s! Nur nebenbei bemerkt: Selbst diese Stoffe, deren Gebrauch um ein Vielfaches verfänglicher ist, richten offenbar nicht ausreichend Schaden an, um ähnlich skandalisiert zu werden.

Richtig absurd wird es, wenn man vergleichsweise die im Biolandbau zugelassenen Stoffe für Pflanzenschutz ins Spiel bringt: Da ist zum Beispiel Kupfer, ein Schwermetall, das ausgebracht wird, um schädliche Pilze vom sprießenden Ökowein und anderen „chemiefreien“ Nahrungspflanzen fernzuhalten. Schon in geringsten Mengen vergiftet es Mikroorganismen und Weichtiere, reichert sich im Boden an, landet in Bächen und Flüssen, schädigt Fische. Ein Drittel allen Kupfers in der Landwirtschaft wird vom Biolandbau ausgebracht, obwohl er nur 10 Prozent der Fläche ausmacht. Zugelassen dafür ist Kupfer nicht etwa wegen besonderer Harmlosigkeit, sondern weil es nicht synthetisch hergestellt ist, ein Kriterium, das weder gesundheitlich noch ökologisch zu rechtfertigen ist. Das Ziel der Bio-Szene, die chemiefreie Landwirtschaft auf 100 Prozent ausdehnen, würde auf eine Verzehnfachung der heutigen Kupferausbringung hinauslaufen.

Zurück zum Glyphosat und seinen Gegnern. Da es aufgrund der besonderen Eigenschaften schwerfällt, die Auswirkungen des Stoffes auf die Tierwelt, auch auf Insekten und Kleinlebewesen, auf den unmittelbaren Kontakt zurückzuführen, wird über Bande argumentiert: Die Vernichtung unerwünschter Nebengewächse auf dem Acker führe zu Monokulturen, heißt es deshalb, auf denen kein Gras wachse und sich deshalb auch keine Insekten oder Vögel tummelten. Das stimmt insoweit, als seit Jahrzehnten allseits Einigkeit darüber herrscht, dass vor allem die Landwirtschaft den Lebensraum der heimischen Wildfauna gefährdet, die Artenvielfalt. Unberechtigt ist allerdings der dabei meist mitschwingende Unterton, dies gelte allein für die konventionelle Landwirtschaft. Warum sollte das auch so sein?

Natürlich ist auch die Gentechnik im Visier

Als ob der Öko-Landmann sein Unkraut schätzen und päppeln würde, nur weil er es liebevoll „Ackerwildkraut“ nennt. Nein, auch er will es mit Stumpf und Stiel heraushaben, entfernt es mühevoll händisch. Oder, meist, mit dem Pflug, was wiederum die Erosion fördert, die Mikrofauna schädigt, auch noch eigentlich doch verpönte Traktorfahrten kostet. Und was die Wildtiere aufs Ganze gesehen schon rein rechnerisch stärker in Mitleidenschaft zöge: Da der Biolandbau einen um – mindestens – ein Drittel geringeren Ertrag pro Hektar abwirft, müsste, um dasselbe Ergebnis zu erzielen, die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Deutschland um eben dieses Verhältnis anwachsen. Um so mehr litte der Artenschutz, um so weniger bliebe als Ausgleichsfläche, als Ackerrandstreifen übrig.

Natürlich spielt auch hier wieder die Gentechnik mit in die Debatte hinein, die die Ökoszene mit Glyphosat gleich mit erledigen will, noch bevor sie überhaupt in der Nahrungsproduktion zum Einsatz kommt. Die Gentechnologie hängt tatsächlich mit dem Einsatz dieses speziellen Herbizides zusammen: In den USA, wo Glyphosat von Monsanto entwickelt wurde und in dem Mittel „Roundup“ zum Einsatz kommt, beseitigt es nach dem Ausbringen ausschließlich das unerwünschte Unkraut, nicht aber die Nutzpflanzen wie etwa den Mais. Weil der durch gentechnische Eingriffe dagegen gewappnet ist.

Dieser Zusammenhang wird immer wieder auch als in Deutschland gegeben insinuiert, bewusst oder vom Hörensagen in Unkenntnis der Tatsache, dass Gentechnik in der Landwirtschaft hierzulande nach wie vor verboten ist. In Deutschland wird Glyphosat deshalb einige Zeit vor der Aussaat gespritzt, beseitigt frühzeitig unerwünschte Nebengewächse – und hat durch seine kurze Halbwertzeit auf die später gedeihenden Nutzpflanzen keine schädlichen Auswirkungen mehr. Auch dies ist ein Zeichen für die Treffsicherheit seiner eingebauten Eigenschaften.

Die Debatte um das gebräuchlichste Pflanzenschutzmittel – „Schutz“ bezogen auf die Nutzpflanzen, auf die kommt es schließlich an – wird weiter anhalten. Außer den bereits genannten Instanzen sind daran eine ganze Reihe weiterer Behörden beteiligt, auch in verantwortlicher Position. So zum Beispiel das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das für die deutsche Haltung ausschlaggebend ist und durchgehend grünes Licht gab. Oder auch das Umweltbundesamt, das sich kritischer gibt, seine Skepsis allerdings auf den Verlust von Wildkräutern stützt, den ja letztlich wie beschrieben auch die Biolandwirtschaft betreiben muss.

Aussicht auf baldige Befriedung der Debatte besteht erst mal nicht, dafür kocht sie auch nach dem Brüsseler Entscheid weiterhin zu hoch. Verdächtigungen, Unterstellungen spielen seit langem mit hinein, von beiden Seiten. Gegner werfen den Befürwortern wie auch den Zulassungsbehörden vor, sie verwendeten für ihr Urteil auch wissenschaftliche Studien, die vom Hersteller Monsanto selbst erstellt wurden. Dazu sind sie allerdings verpflichtet, wie auch umgekehrt der Konzern, seine Erhebungen zur Verfügung zu stellen.

Eine der schwersten Wissenschafts-Betrügereien

Auf der anderen Seite lassen sich Wissenschaftler von Greenpeace bezahlen für kritische Studien, legen Papiere gegen Glyphosat und Gentechnik vor, die in Presse, Funk und Fernsehen – vor allem auch in Deutschland – große Wellen schlagen, obwohl sie von anderen Forschern schon kurz darauf nach Strich und Faden zerpflückt werden. Wie etwa bei Gilles-Éric Séralini und seinen Versuchsratten, die er direkt mit Glyphosat fütterte, und haarsträubenden wissenschaftlichen Unzulänglichkeiten, nicht nur versehentliche. Seralinis Papier sahen wegen des großen Echos manche schon als das Todesurteil für Gentechnik und Agro-Chemie, bevor die publizierende Zeitschrift Food and Chemical Toxicology sich gezwungen sah, es kleinlaut wieder zurückzuziehen. Der Wissenschafts-Journalist Volker Stollorz hat die „Seralini-Affäre“ für die Diskussions-Plattform der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, „Gegenworte“, trefflich eingeordnet. Als drei Journalisten die Affäre als „eine der schwersten Wissenschafts-Betrügereien der letzten zehn Jahre“ bezeichneten, verklagte Seralini sie auf Unterlassung und Schadenersatz. Das Gericht sprach die Journalisten frei.

Ganz so einfach ist es nicht, Kritiker der großen Hatz auf Glyphosat mundtot zu machen. Als der Autor dieser Zeilen vor Jahren einen Beitrag in der Welt über den Stoff veröffentlicht hatte, wurde wegen der Überschrift „Ein harmloses Herbizid soll geopfert werden“ der Presserat eingeschaltet mit dem Antrag, eine Rüge zu erteilen. Der Rat wies das Ansinnen zurück.

Bleiben noch die zahlreichen Prozesse in den USA, bei denen der Chemiekonzern Bayer verurteilt wurde zu Schadensersatz in dreistelliger Millionenhöhe, nachdem er den amerikanischen Pharmakonzern Monsanto übernommen hatte. Die Kläger hatten geltend gemacht, dass sie an Krebs erkrankt seien, nachdem sie dem glyphosathaltigen, von Monsanto entwickelten Pflanzenschutzmittel „Roundup“ ausgesetzt gewesen waren. Können die Urteile ein indirektes Indiz sein für die tatsächliche Kanzerogenität? Überraschend zwar, aber völlig zu Recht, flossen sie kaum in die wissenschaftliche Debatte ein.

Allzu bekannt schließlich sind die ganz eigenen Gesetze, nach denen US-Gerichte aus rätselhaften Logiken Schadenersatz zusprechen, und dies auch noch in phantastischen Höhen. Allerdings scheint der Einfluss auch umgekehrt nicht zu laufen: Auf harte wissenschaftliche Beweise für die Verursachung der Krankheiten konnten sich die Kläger schließlich nicht berufen. Und auch wenn gerade wieder die Jury eines Gerichtes in Missouri den Konzern erstinstanzlich dazu verdonnerte, drei Klägern 1,5 Milliarden Dollar zu bezahlen – in letzter Zeit gab es dann auch Urteile zugunsten von Bayer, zudem wurden ursprünglich ähnlich horrende Summen an Schadensersatz auf einen Bruchteil zusammengestrichen.

Bayer selbst scheint optimistisch zu bleiben, was die künftige Beurteilung der gesundheitlichen Auswirkungen von Glyphosat angeht. Seine milliardenschweren Verluste durch die Gerichtsentscheidungen haben den Konzern nicht daran denken lassen, die Produktion von „Roundup“ einzustellen, die derzeitige Krise des Konzerns ist anderen Problemen geschuldet. Von daher also darf Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir keine Unterstützung erwarten, keinen Schub in dem Gegenwind, dem er nun, nach der weiteren Zulassung aus Brüssel, in der weiteren Diskussion über Glyphosat ausgesetzt sein wird.

 

Ulli Kulke ist Journalist und Buchautor. Zu seinen journalistischen Stationen zählen unter anderem die „taz“, „mare“, „Welt“ und „Welt am Sonntag“, er schrieb Reportagen und Essays für „Zeit-Magazin“ und „SZ-Magazin“, auch Titelgeschichten für „National Geographic“, und veröffentlichte mehrere Bücher zu historischen Themen.

Foto: Imago

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Leserpost

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Klaus Keller / 22.11.2023

Zur Einstufung des Krebsrisikos: Es gehört in die gleiche Risikogruppe wie Schichtdienst. Frauen haben durch Nachtdienste ein erhöhtes Brustkrebsrisiko. Bis das Auswirkungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen hat wird es noch eine Weile dauern. Die Umsetzung eines Nachtarbeitsverbots wäre schwierig. Ggf kommen Krankenkassen ja auf die Idee wegen des erhöhten Risikos höhere Beiträge zu verlangen.

Klaus Keller / 22.11.2023

Ggf kommen die Anwälte auf die banale Idee das nicht nur der Krebs selbst eine Schadenersatzpflicht begründet sondern schon die Angst davor, wenn man Round-Up mal benutzt haben sollte. Die Richter in den USA fügen in ihrem Urteil dann noch gerne Strafschadenersatzforderungen hinzu. Im Aktuellen Fall liegt der weit über dem Schadenersatzforderungen für die Kläger. Bayer wäre nicht das erste Unternehme das auf diesem Wege in der Pleite landet. Ggf wird man beide Unternehmensteile ( Pharma / Saatgut+ Pflanzenschutz) von einander trennen. PS Man kann die Anwendung auch strenger regulieren. zB Befähigungsnachweise der Anwender verlangen oder jedes Ausbringen genehmigungspflichtig machen.

Gus Schiller / 22.11.2023

Unerwünschte Pflanzen können auch durch jäten entfernt werden. Nötiges Personal strömt täglich ausweislos nach Buntland. Am Abend gibt es pro 20 kg “Unkraut” ein Fladenbrot und eine Flasche Wasser statt BG und freies Logis.

Fred Burig / 22.11.2023

Ja wollt ihr denn alle ewig leben? MfG

Sam Lowry / 22.11.2023

p.s.: Nachdem die Hauptverkehrsroute Mainz-Koblenz (dazwischen gibt es keine einzige Brücke) jetzt für x Monate an meinem Haus vorbeiführt und ich wegen Rauchens das Fenster meist auf Kippe habe, versuche ich jetzt mal, mittels Partikel-Filter (REWE 12,99) den Partikelmesser (Baumarkt 10 Euro) wenigstens im gelben Bereich zu halten. Mein Vorschlag, hier jetzt wenigstens eine 30-Zone einzurichten, wurde bekanntlich von den Fachleuten “alternativlos” (O-Ton) abgelehnt. Man könne hier zudem ja gar nicht schneller fahren. Letzter Versuch ist nun, dass sie das doch als Geldeinnahmequelle betrachten können…

Sam Lowry / 22.11.2023

Welche besondere Kompetenz können all unsere Minister eigentlich vorweisen? Ich frage für einen, der Frank Rosin´s Speisekarte gelesen hat…

finn waidjuk / 22.11.2023

Der LD50-Wert für Glyphosat liegt zwischen 5g/kgKG (Ratte) und 10 g/kgKG (Maus). D.h., man kann sich damit tatsächlich umbringen, wenn man es denn unbedingt will. Das kann man aber auch mit Kochsalz, das ist erstens billiger und man braucht auch weniger davon (LD50-Wert: 3g/kgKG). Falls Sie während Ihres Suizides aber gesund bleiben wollen, so empfehle ich Paracetamol (LD50-Wert: 2g/kgKG) und wenn Sie darüberhinaus nicht soviel Medikamente schlucken wollen, Aspirin (LD50-Wert: 0,2gkgKG). Wieviel unnütze und langweilige Diskussionen würden einem erspart bleiben, wenn der Mensch ein intelligentes Wesen wäre.

Dr. Horst Käsmacher / 22.11.2023

Wikipedie: “Es wirkt nicht-selektiv gegen Pflanzen, dies bedeutet, dass alle damit behandelten Pflanzen absterben. Ausnahmen bilden Nutzpflanzen, die gentechnisch so verändert worden sind, dass sie eine Herbizidresistenz gegenüber Glyphosat besitzen.” Das haben Sie in Ihrem Artikel verschwiegen.

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