Compact bespricht gerade mein Buch. Ich will nicht behaupten, dass es große Literatur wäre, aber besser als das, was Sie durchaus zu Recht als ‘Befindlichkeitsliteratur’ bezeichnen, ist es auf jeden Fall.
Es ist immer noch vor acht, aber die Sonne strahlt herrlich. Der Wind über dem Rhein kommt von Osten und der Wärmesensor auf dem Balkon erzeugt eine einstellige Zahl im mittleren Bereich auf der Anzeige. Die Brücke flussaufwärts ist unnatürlich unbefahren und menschenleer. In der Dämmerung erklangen die Amseln vom Ufer her. Vor etlichen Jahren war ich für die amerikanische Armee tätig und verbrachte einmal während einer Nachtschicht, war es Herbst oder Frühling, Stunden im Freien auf einem Posten an einem stillen Waldrand, wo der durchs Gras mäandernde Igel den meisten Lärm machte und ein junger Fuchs einen reglos ansah, sobald man sich umdrehte, währenddessen am Feldrand weiter oben eine Katze in einer ballistischen Flugbahn auf etwas Kleines zustürzte. Doch wie sehr ich auch in die Baumwipfel und zu der Dachrinne hin lauschte, es kam nichts zurück! “Über allen Gipfeln - Ist Ruh’, - In allen Wipfeln - Spürest Du - Kaum einen Hauch; - Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur!” Vor morgen dämmerte es mir: Ich hörte keine einzige Amsel! Kurze Zeit später las ich in der Zeitung vom Usutu-Virus.
Ich kaufe fast keine Bücher mehr. Ob es mehr Leute gibt, die so sind? Wenn es keiner kauft außer als Verlegenheitsgeschenk an Weihnachte (Oh, schon wieder ein Klavier), wozu drucken? Wenn ich gute Sätze lesen will, mache ich einfach alte auf: Goethe, Garcia Marquez, di Lampedusa, Camus. Wird es wieder interessante Bücher von heute geben? Prognose: Ja. Damals starben die Leute, nicht immer an Viren oder Bakterien, aber häufig. Tuberkulose auszuweichen gehörte zu den größten Kunstwerken. Der Tod und die Angst davor inspirieren natürlich literarische Köpfe. Garcia Marquez lässt zwar den untreuen Doktor durch seinen “Prachtpapagei” sterben, doch die Heldin Fermina befindet sich am Ende in Quarantäne auf einem Boot., gelbe Choleraflagge. Jetzt kommt’s: Ich habe nie wieder ein so gutes Buch gelesen wie “Die Liebe in den Zeiten der Cholera”. Es hat mich für neuere Literatur zerstört. Deutsche können es schon lange kaum noch. Wer will über die regurgitierten Befindlichkeiten in diesem Land auch noch einen Roman lesen? Angeekelt habe ich Walser und den Nobelpreisträger weggelegt und die Szene zwischen Fermina Daza und Dr Juvenal Urbino, exzellenter Stall beide, hervorgeholt, wo sie wie zwei Proleten um die Seife streiten. Einmalig. Wenn man Placido Domingo inklusive seines übergriffigen Charmes betrachtet, weiß man, dass der Deutsche es nicht können kann. Er kann’s auch nicht, weil er nicht in Sizilien lebt oder von Balkonen eine Arie schmettert. Tut mir leid. Das Buch von Claude Cueni werde ich besorgen. Aber der ist Schweizer. Was der Deutsche kann, ist Biographie. Wenn CV sich nicht verabschieden sollte, wird das ein weites Feld. PS. Ich habe alle de Winter-Bücher. Die kann man immer wieder lesen. Tragikomisch außer “Das Recht auf Rückkehr”. Ach jetzt weiß ich was ich heute machen kann: Zionoco. Bissl lachen.
“Aber wieso wird seit 2015 so wenig geschrieben? Kaum etwas hat so viel Veränderungen in Deutschland bewirkt. Was für ein Stoff!” Der Schein trügt, es WIRD ja darüber geschrieben. Aber das sind eben keine Bücher, mit denen man sich unbehelligt auf eine Buchmesse stellen darf oder die im Schaufenster des Buchladens Ihres Vertrauens angepriesen werden. Sie gelten als “Bückware”, werden, nach vorsichtigem Umsehen, unter dem Ladentisch hervorgezogen oder selbst auf Anfrage von Kunden gar nicht bestellt.
Es geht nicht darum, ob wir/Sie schreiben dürfen. Wer kann uns tatsächlich hindern? Schreiben Sie, sprechen Sie, veröffentlichen Sie im Internet. Bleiben Sie mutig! Die Freiheit zu sprechen, ist unser Recht als Mensch. Wir müssen niemanden erst um Erlaubnis bitten. “Es bleibet dabei, die Gedanken sind frei!”
Vor einem Vierteljahrhundert hat man an deutschen Schulen im Biologie-Unterricht den Schülern noch beigebracht dass In einem Ökosystem Arten durchaus koexistieren können, niemals aber dauerhaft Rassen. Ich hab die alten Unterlagen neulich beim aussortieren wiederentdeckt. Aber die Geschichte die sich die Menschen heute bevorzugt am Lagerfeuer erzählen ist, dass der Rassebegriff auf Menschen nicht anwendbar ist. Ich hoffe sehr, dass das stimmt.
Lieber Herr Björkson, wie recht Sie haben. Aber zum Glück kann man sich die Klassiker besorgen, die man noch nicht gelesen hat. Es sind eine ganze Menge. Und es gibt die Selfpublishingportale. Es macht etwas Mühe dort etwas Passendes zu finden, aber ich fand schon einige zeitgenössische Romane von unbekannten Kollegen, von denen ich sehr angetan war. Ja, Kollegen. Auch ich habe Romane geschrieben und bei dem großen A veröffentlicht. Aber sind diese unbekannten Geschichten, die in der Mehrzahl noch nicht mal richtig lektoriert wurden, auch wirklich lesenswert? Das muss man halt selbst heraus finden. Aber es ist eine spannende Sache. Wie Sie wissen, trennt sich schon nach den ersten paar Seiten die Spreu vom Weizen. Es gibt sie also, die Romane mit den Geschichten unserer Zeit. Wer suchet, der findet.
Ich konnte mir gerade übertrieben teuer das letzte verfügbare, nicht moralinsauer umgeschriebene und dadurch unverfälschte Exemplar der “Aufzeichnungen eines Scharfrichters” über amazon sichern. Ansonsten steht da noch einiges ungelesen im Regal und auch der Bücherschrank des lokalen Groß-Supermarktes ist ständig gut gefüllt. Ach so… muß was neues sein, oder? Und seit ‘15 kommt kaum noch was? Tja, wundert mich nicht - Politische Korrektheit tötet die Kunst und am Ende auch das Leben!
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