Ganz Deutschland diskutiert mal wieder. Aber was eigentlich? Eine etwas divenhafte Schauspielerin gibt einem weder unsympathischen noch unfähigen Journalisten ein Fernsehinterview. Sie erweist sich als ein wenig schnippisch, entsprechend erfüllt das Interview nicht die gängigen Stereotypen arglos-gefälligen Plauderns. Na und? Ist doch gut. Wie im Fußball, wünschen wir uns doch auch im Fernsehen ständig „Leute mit Ecken und Kanten“. Nichts anderes zeigt Katja Riemann hier. Sie mag den Moderator halt nicht, entsprechend kurz fallen ihre Antworten aus. Das ganze wirkt wie ein verunglücktes Date – und damit ausgesprochen lebensnah und authentisch. Ich finde die Schauspielerin in ihrer offenbaren Verletztheit sogar recht interessant. Ob das die routinehafte netzmediale Emotionsaufwallung namens Shitstorm rechtfertigt? Man fühlt sich an die ebenso gut eingeübte Hysterie aufgebrachter Moslems erinnert, wann immer irgendwer eine angeblich gefühlsbeleidigende Mohammed-Karikatur druckt. Fehlt nur, dass im Netz Videos mit brennenden Riemann- und NDR-Flaggen kursieren.
Wir leben in einer Welt des institutionalisierten Shitstorms. Die klassischen Publikumsmedien wirken als Verstärker und Materiallieferant. Hier noch ein „Freund“, der Stellung bezieht, da ein Intendant, der seinen Mann rechtfertigt. Wie präzise die Shitstorm-Automatismen mittlerweile greifen, das bekamen vor dem Traumduo Riemann/Baumgarten die Politiker Steinbrück und Brüderle zu spüren.
Interessant am Riemann-Case erscheint mir die gesellschaftliche Dünnhäutigkeit, die sich darin spiegelt. Die Toleranz für jegliche mediale Sperrigkeit liegt so niedrig wie nie. Natürlich stellt das momentane Internetinferno kein Problem für die Netzökonomie dar, sondern befeuert diese. Katja Riemann hingegen hat sich mit ihrem Auftritt ja ganz real geschadet. Sie wird nun in Medientrainings republikweit als Negativbeispiel herhalten. Besser wird das Fernsehen von diesen Trainings nicht, nur erwartbarer. Und die Shitstorm-Mechaniker müssen ihre Antennen noch schärfer stellen.