Vera Lengsfeld / 06.10.2020 / 12:00 / Foto: Michael Thaidigsmann / 136 / Seite ausdrucken

Joschka Fischers große Corona-Transformation

Vor wenigen Tagen habe ich noch auf ein Interview in der Sendung „Hard Talk“ verwiesen, das der EU-Wirtschaftskommissar Gentiloni der BBC gegeben hatte. Mehrmals sprach Gentiloni davon, dass es nach Corona keine Rückkehr zur Normalität geben würde, sondern das Ziel wäre, die entstandene Lage zu nutzen, um in Europa eine andere Gesellschaft zu etablieren: grüner, nachhaltiger, inklusiver.

Das erinnert an einen Gastkommentar des ehemaligen grünen Außenministers Joschka Fischer im „Handelsblatt“ von Ende Juli, auf das mich ein Leser aufmerksam machte. Fischer beginnt mit der Behauptung, dass es ein Fehler wäre „die Folgen dieser abrupten Vollbremsung der Weltwirtschaft (durch die Lockdowns und andere Corona-Maßnahmen) nur aus kurzfristig pragmatischer Perspektive zu analysieren“. 

Er will lieber den Blick auf „die mit der Pandemie einhergehenden Machtverschiebungen im globalen politischen und wirtschaftlichen System“ richten. Und dann lässt er die Katze aus dem Sack: 

„Rückblickend wird diese Krise im Jahr 2020 vielleicht einmal als der Beginn der ‚Großen Transformation‘ der globalen Industriegesellschaft hin zu einer Gesellschaft der Nachhaltigkeit und der Verantwortungsübernahme der Menschen für ihr Tun bezeichnet werden, soweit sie sich in Industriegesellschaften organisieren.“ Bisher würden wir „die Natur eben nur bis zu einem bestimmten, durch kurzfristige menschliche Interessen definierten Punkt“ kontrollieren. 

Um das gleich klarzustellen: Nein, das tun wir nicht. Wir wirken auf die Natur ein, zerstören sie teilweise, aber wir kontrollieren sie nicht. Jede zeitweilige Veränderung wird sofort zurückgeholt, sobald der menschliche Einfluss nachlässt. Das weiß jeder, der schon einmal die Rückeroberung eines ökologisch völlig ruinierten Truppenübungsplatzes durch die Natur beobachtet hat. Die Natur kontrollieren zu können, gehört zu den verhängnisvollsten Irrtümern ahnungsloser Politiker, wie sie nur in langen Friedenszeiten hervorgebracht werden können. 

Nach Fischer wäre „die Lektion der Covid-19-Krise“, dass „von der menschlichen Zivilisation ein sehr viel weiterer Verantwortungshorizont verlangt“ wird. Subjektiv hätte „die Menschheit“ das zwar schon erkannt, sie wäre aber noch nicht bereit, „die verantwortlichen Konsequenzen zu ziehen und die Große Transformation einzuleiten“. 

Wie die „Große Transformation“ aussehen soll, kann man aus Fischers Ausführungen nicht erkennen, auf jeden Fall scheint sie aber eine umfassende Kontrolle zu bedeuten. Diese Kontrolle ist in den Corona-Maßnahmen bereits angelegt. Aus mündigen Bürgern wurden verängstigte Maskenträger, die bemüht sind, den politisch geforderten Abstand zu ihren Mitmenschen einzuhalten. 

Kultur, Freizeit und Reisen sind bereits heftig reglementiert, private Feiern politischen Restriktionen unterworfen. Kein Ende abzusehen. Geherrscht wird mit der durch Dauer-Panikmache geschürten Angst. Wenn der Prototyp des neuen Zeitalters so aussieht, ist nichts Gutes zu erwarten.

Dieses neue Zeitalter in der Geschichte der Menschheit hat laut Fischer bereits einen Namen: das „Anthropozän“. Der Begriff tauchte im Jahr 2000 erstmals auf, und wurde allmählich geläufig, als Klimforscher und -aktivisten damit eine neue Ära als Nachfolge des „Holozän“ ausriefen.

Fischer: „Das heißt, die Macht der menschlichen industriellen Zivilisation rund um den Globus ist so gewaltig, dass deren beabsichtigte und nicht beabsichtigte Folgen den Fortgang der Erdgeschichte bestimmen werden.“

Dann holt Fischer die längst widerlegte Legende des Club of Rome von der Endlichkeit „scheinbar unerschöpflichen natürlichen Ressourcen“, die „dahinschmelzen“ würden. Außerdem würde menschliches Handeln „die globale Atmosphäre in atemberaubender Geschwindigkeit“ aufheizen. 

Wegen der „seit etwa 1950 dramatisch gewachsenen Anzahl der Menschen“ wäre die  „Alternative, die sich vor der Menschheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts auftut…“, Verantwortung zu übernehmen, „das heißt, aus schlichtem Selbsterhaltungsinteresse heraus den Mut und die Weitsicht zur Großen Transformation aufzubringen“. 

Und wenn die Menschheit dennoch nicht zur „Großen Transformation“ bereit sein sollte, droht Fischer, dass sie dann „sehenden Auges auf die Rückkehr der apokalyptischen Reiter, die man mit der industriell-wissenschaftlichen Moderne für immer überwunden glaubte“, erwarten müsste. Mit Covid-19 sei der erste von ihnen bereits wieder aufgetaucht. Für alle nicht Bibelfesten: 

In der Offenbarung des Johannes, treten vier “apokalyptische Reiter” auf: Der weiße, der rote, der schwarze und der fahle. 

Es heißt da in Offenbarung 6, 2 zum ersten Reiter: “Und ich sah und siehe, ein weißes Pferd. Und der darauf saß, hatte einen Bogen, und ihm wurde eine Krone gegeben, und er zog aus sieghaft und um zu siegen.” Ein weißer Reiter also, der dennoch in die Apokalypse führt. Zudem wird ihm eine “Krone” gegeben. Und Corona heißt gerade – Krone. Warum weist der ehemalige Bundesaußenminister und Vize-Kanzler, der nicht mit seinem Glauben aufgefallen ist, ausgerechnet auf diesen ersten Reiter hin?

Weiter in seinem Text: „Bei Covid-19 haben wir gelernt, auf den wissenschaftlichen Rat zu hören. Warum tun wir dies nicht auch bei noch sehr viel gefährlicheren Entwicklungen, die heute schon unsere Wirklichkeit bestimmen, wie der Erderwärmung und der Klimakrise?”

Auch dazu eine Klarstellung: Erstens haben die Regierungen in Sachen Corona nur sehr eingeschränkt auf wissenschaftlichen Rat gehört. Jene Wissenschaftler und Experten , die nicht die gewünschten Panik-Szenarien unterstützt haben – die sich am Ende fast alle als unzutreffend erwiesen –, wurden ignoriert oder als „Coronaleugner“ stigmatisiert. So wie in der Klimafrage Skeptiker der Doktrin von der alleine menschengemachten Erderwärmung nicht gehört werden und in die Schublade der „Klimaleugner“ gesteckt werden.

Wieso soll so ein äußerst eingeschränktes Verständnis vom wissenschaftlichen Rat zukunftsweisend sein? Laut Fischer sollen die entwickeltsten unter den Industriegesellschaften bei der Transformation zu einer Verantwortungsgesellschaft an erster Stelle gefragt sein; denn sie verfügen über das Know-how und das notwendige Kapital, sie setzen die Entwicklungstrends für die Zukunft. Wirklich? Die westliche Gesellschaft, die gerade dabei ist, durch die großen und kleinen Fischers dieser Welt dekonstruiert zu werden, soll die Führung übernehmen? Wohin? In die totale Dekonstruktion?

Zum Schluss kommt noch ein bisschen Allmachtsphantasie:

„Für das alte Europa bietet sich eine unverhoffte Chance, wenn es nicht auf die Konkurrenz der Supermächte setzt, sondern den Mut hat, eine Führungsrolle bei dieser Großen Transformation anzustreben.“

Jedoch: Europa hat seine Bürger nicht gefragt, ob sie eine nicht näher definierte „Große Transformation“ überhaupt wollen. Sie soll offenbar durchgeführt werden, egal, was dabei am Ende rauskommt. Die Geschichte lehrt aber, dass die großen Menschheitsbeglückungs-Experimente zu Elend und Tod geführt haben, auch ganz ohne apokalyptische Reiter. Wenn die Corona-Politik dazu dienen soll, die „Große Transformation“ herbeizuführen, ist sie gefährlicher als jedes Virus.

Foto: Michael Thaidigsmann CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Alexander Schilling / 06.10.2020

Wen wunderts, dass ausgerechnet er der Stadt und dem Erdkreis eine ‘Große Transformation’ verordnen will, der sich selbst, zeitlebens auf der Seite des Wahren, Schönen und Guten, wohl nur dahingehend groß transformiert hat, dass ihm heute die Bereitschaft eher zuzutrauen ist, an der Seite der Polizei deren Gewaltmonopol zu teilen, als es lautstark gegen sie in Anspruch zu nehmen…

Burkhart Berthold / 06.10.2020

Wenn es Trump schafft, können alle Joschka dieser Welt einpacken.

Andreas Rochow / 06.10.2020

@ Sabine Schönfelder - Sie haben so recht und ihre Worte beschreiben den größenwahnsinnigen, gottlob gescheiterten Selbstvermarkter und Schwadroneur präzise. Die Natur hat ihn dafür mit dem Habitus einer Krähe versehen - ein böses Omen.

Peter Bernhardt / 06.10.2020

@K.Bucher, der European Council on Foreign Relations ist eine Denkfabrik, die Analysen zu Themen europäischer Außenpolitik bereitstellt und es sich zum Ziel gesetzt hat, als Fürsprecher einer kohärenteren und stärkeren europäischen Außen- und Sicherheitspolitik aufzutreten. Gründer: Mark Leonard, Gründung: 2. Oktober 2007, Geschäftsführer: Mark Leonard, Leiter: Mark Leonard, Zentrale: London, Vereinigtes Königreich, Geschäftsart: Denkfabrik

Gert Köppe / 06.10.2020

Im Mittelalter hätte man solchen Permanent-Dummschwätzern noch die Zunge abgeschnitten. Heute werden solche nutzlosen Typen Honorarprofessor. Scheint ganz so als hätte es in bestimmten Kreisen schon längst eine Transformation gegeben, oder soll ich besser sagen eine fundamentale Verblödung? Der Joschi ist das lebende, zugleich auch abschreckende, Beispiel einer Leistungslosen Grünen Bilderbuch-Karriere. Vom arbeitsscheuen Steinewerfer ohne Studium zum schwafelnden Nobel-Klasse-Sesselfurzer mit Maßanzug. @Rudhart M.H.: Danke für die hervorragende Beschreibung. Ihre Worte gehen runter wie Öl. Für jeden Ihrer Sätze den Daumen hoch.

Karla Kuhn / 06.10.2020

Roland Hübner “..... und früher steinigte er nur Polizisten, jetzt steinigt er den ganze “bösen kapitalistischen Westen”  Der “steinigt” gar niemand mehr, Fischer ist ein alter Mann, der sich wahrscheinlich zu Wort meldet, um ja nicht vergessen zu werden, Seine zig Diäten und Ehefrauen (5) kann man an seinem-für mich- verlebtem, altem Gesicht sehen. Vielleicht fühlt er schon das Ende nahen ??  Wer weiß ?

Martin Landvoigt / 06.10.2020

Die ‘Große Transformation’ hört sich nicht zufällig an wie der ‘Große Sprung nach vorn’ - wer es nicht weiß, kann in der chinesischen Geschichte nachschlagen. Sie entspringt dem selben Geist linker Allmachtsphantasie - und wird ebenso grandios in Hungersnöten und Verelendung scheitern. Es sei denn, der Souverän kann dem Einhalt gebieten. Dummerweise bin ich weniger von der Mündigkeit, sondern von der Manipulierbarkeit des Volkes überzeugt.

d. michael kubina / 06.10.2020

Das ist der uralte Wahn aller Weltveränderungsideologien, anfangen könnte man mit der Arche-Noa-Geschichte, ja eigentlich bei Adam und Eva: Das menschliche Tun ist derart verwerflich, dass es nahezu unabwendbar eine Weltkatastrophe nach sich ziehen wird. Abwendbar sei diese nur noch durch eine radikale Umkehr aller Menschen, und jene, die sich dieser Umkehr widersetzen, sind der Verbannung preisgegeben, ja es sei moralisch geboten, sie zu vernichten. Vor hundert Jahren formulierte Rosa-Luxemburg das Menetekel: “Sozialismus oder Untergang in der Barbarei”. Fischer präsentiert uns eine Neuauflage seiner Jugendideologie. Er ist ein gemeingefährlicher Unverbesserlicher. Nur sein Machtgier hatte ihn zum “Realo” gemacht. PS: “gemeingefährlich” habe ich hier geschrieben, nur um zu zeigen, wie schnell man selbst einem solchen totalitären Entweder-Oder-Wahn verfallen kann, wenn man etwa meint, man müsse solchen totalitären Ideologien bzw. Ideologen radikal entgegentreten, da nur so eine Katastrophe abzuwenden sei, eben deren Sieg. Muss man nicht, sondern argumentieren, aufklären und Macht anstreben.

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