Industrienationen mit wachsendem Durchschnittsalter, aber ohne Rohstoffe sind mehr denn je auf den optimalen Einsatz ihrer kognitiven Kompetenz angewiesen. Die jährlich publizierte Erfinder-Rangliste zeigt, wie sie dabei abschneiden. 2017 kommen rund 48.000 Patentanmeldungen der global strengsten Auswahlkriterien (PCT-Patente) aus Japan. Deutschland sollte – bei zwei Dritteln der japanischen Bevölkerung (82 zu 126 Millionen) – für den Gleichstand rund 32.000 Anmeldungen vorweisen können. Real schafft es knapp 19.000.
Dass Europäer sich gleichwohl behaupten können, zeigt etwa die Schweiz. Mit einem Zehntel der deutschen Bevölkerung sollte sie für den Gleichstand mit Japan 3.200 Patentanmeldungen haben, liefert aber 4.500. Eine stärker leistungsorientierte Einwanderungspolitik bringt auch mehr Erfinder ins Land. Gleichwohl braucht Deutschland sich nicht zu verstecken. Neben der Schweiz muss es bei Patenten pro Einwohnermillion nur noch Schweden und die Niederlande an sich vorbeilassen.
Was die Gesamtmenge an Patenten indiziert, bestätigen auch die Unternehmen. Zu den fünfzig patentstärksten Einzelfirmen des Jahres 2017 gehören fünfzehn japanische, aber nur fünf deutsche, während man für den Gleichstand zehn benötigte.
In kinderarmen Gesellschaften empfiehlt sich naturgemäß der Umstieg auf Roboter. Für Deutschland mit einem Durchschnittsalter von 45,9 Jahren (2017) mag das weniger dringlich wirken als für Japan mit 47,3 Jahren. Deutschland gewinnt durch Millionen relativ junger Migranten sogar Abstand zum fernöstlichen Konkurrenten. Tokio hingegen akzeptiert 2017 nur 20 Asylanten. Dafür stammen 74 Prozent der 2016 global installierten 1,4 Millionen Industrierobotern (nur die neun größten Hersteller) von sechs Anbietern aus Japan. Die Schweiz und Schweden folgen – bei Durchschnittsaltern von 42 bzw. 41 Jahren – mit eindrucksvollen 18 Prozent für ABB. KUKA, in Augsburg beheimatet und seit 2016 in chinesischer Hand, fällt mit 5,8 Prozent deutlich zurück. Immerhin zieht Deutschland bei installierten Robotern auf 10.000 Arbeitskräfte mit Japan gleich. Eineinhalbmal beziehungsweise gut zweimal so hoch liegen allerdings Singapur und Südkorea. Die Schweiz liegt nicht einmal halb so hoch wie Deutschland, weil die roboterintensive Autoindustrie fehlt.
Kompetenz vor jugendlichen Sturm und Drang
Deutschland kann sein geringeres Alter womöglich auch in Zukunft nicht in einen technologischen Vorsprung verwandeln. Beim internationalen Mathematik-Schülervergleich TIMSS 2015 erreichen nämlich 322 von 1.000 japanischen Kindern die allhöchste Leistungsgruppe (entspricht einem sehr gut). In Deutschland dagegen sind es nur 53 von 1000. Mit gut bewähren sich unter 1.000 Kindern 422 japanische und 287 deutsche. Für die ökonomische Zukunft einschlägiger aber bleibt Japans sechsfache Überlegenheit bei den sehr Guten. Ihre Kompetenz ist unverzichtbare Voraussetzung für das Erarbeiten von künstlicher Intelligenz, die für immer mehr Industrien als Schlüsseltechnologie fungiert.
Es sind deshalb Kompetenzgründe, die Japans Zögern bei der Aufnahme von Migranten erklärt. Sie müssten aus der übrigen Welt ja durchweg die Besten gewinnen, wenn sie ihren hohen Durchschnitt nicht absenken wollen. Relativ sicher gehen würden sie nur mit ebenfalls exzellent abschneidenden Koreanern und Chinesen. Die aber kämpfen selbst mit einem wachsenden Durchschnittsalter, das momentan bei 42 beziehungsweise 37 Jahren liegt.
Während Berlin durch den unruhigen Nachwuchs aus Afrika und Nahost gegen die Vergreisung besser aufgestellt ist als Japan, präferiert Tokio Kompetenz vor jugendlichem Sturm und Drang. Die übrigen alternden Nationen werden aufmerksam registrieren, wer langfristig besser fährt.
Der Artikel erschien zuerst am 5. September 2018 in der Neuen Zürcher Zeitung