Gunnar Heinsohn / 27.09.2022 / 12:00 / Foto: Kremlin.ru / 114 / Seite ausdrucken

Putins nukleare Vorsicht

Putin droht zwar gelegentlich mit dem Einsatz von Atomwaffen, doch wird er ihn wohl nicht befehlen. Nicht weil er Skrupel hätte, sondern weil er weiß, dass er dann nur noch verlieren kann.

Grausam bin ich und gefährlich, will Putin der Welt beweisen. Wie aber soll das gehen? Was seine Einsatzgruppen mit Folter, Verstümmelung und dann erst Ermordung in der Ukraine praktizieren, geht ohnehin als Putin-Methode in die Genozid-Annalen ein. Doch womit will er militärisch Eindruck machen? Mit iranischen Drohnen oder nordkoreanischen Patronen? Mit den fahrbaren Särgen seiner Panzerdivisionen? Mit 300.000 Zwangsrekrutierten, von denen nur sicher ist, dass sie die Heimat gegen ihn aufbringen?

Man stelle sich das Beben in der Bundesrepublik vor, wenn sie – auf ihre Bevölkerung umgerechnet – plötzlich 170.000 Jünglinge in Todesgefahr schicken würde. Schon ein kleines Kontingent von 1.400 Bundeswehrsoldaten Mali macht Berlin nervös. Oder man denke an die Proteste in den USA, wenn auf einen Schlag 730.000 Mann an die Front müssten. Solche Dimensionen kennen seit 1945 weder der Westen noch Russland. Im Zweiten Weltkrieg aber gab es auf 1.000 Alte noch 2.000 bis 3.000 Jünglinge und entsprechend viele Freiwillige. Heute sind es 600 bis 1000, denen es an lebenswerten Alternativen zu Sieg oder Heldentod nicht mangelt.

Mithin kann Putins Drohen mit Atomwaffen nicht überraschen. Allein sie verschaffen ihm wirklich Gehör. Und in der Tat lassen sich Gegner ohne eigene Massenvernichtungsmittel damit sehr wohl in Schach halten. Auch der Widerstand einer Macht mit nur wenigen Atomwaffen lässt sich mit einem taktischen Nuklearschlag brechen. Sie könnte zwar nuklear zurückschlagen, würde aber in der nächsten Runde durch strategische Waffen überwältigt und wird dann lieber aufgeben.

Das Schweigen über die rote Linie

Doch mit der NATO trifft Putin auf ein ganz anderes, ja einzigartiges Kaliber. Das liegt nicht daran, dass sie drei Atommächte umfasst, sondern daran, dass sie nicht-nuklear und dennoch massiv zurückschlagen kann. Sie würde gegen einen taktischen Nuklearangriff also bewusst ins Konventionelle deeskalieren und dennoch in wenigen Stunden Flotten, Flugplätze, Kommandozentralen oder Pipelines mit chirurgischen Schlägen ihrer Hightech-Waffen ausschalten können. Russland behielte das Stigma des nuklearen Erstschlägers und verlöre zusätzlich seine konventionelle Kriegsfähigkeit. Eine relativ kleine und doch ungeheuerliche Aktion, die auf dem Gefechtsfeld Vorteile bringt, aber einen Krieg kaum entscheidet, hätte sich als Bumerang erwiesen.

Putin – falls von den eigenen Leuten dann nicht längst beseitigt – könnte anschließend zwar mit gegenseitiger Auslöschung durch interkontinentale Nuklearraketen drohen. Er bekäme es aber mit nicht-suizidalen Kommandeuren sowie ihren Geliebten und Familien daheim zu tun. Die würden nach dem Verlust der konventionellen Macht Ruhe für einen Neubeginn vorziehen. Ohne sie aber kann die aufwendige Aktivierung der apokalyptischen Waffen nicht in Gang gesetzt werden. Entsprechende Bewegungen würden sofort bemerkt und nicht nur die NATO, sondern sämtliche Atommächte gegen Russland positionieren. Schließlich kann niemand aus einer teilweise unbewohnbaren Erde Vorteile ziehen. Bereits die Vorbereitung auch eines nur taktischen Atomschlags würde deshalb alle Atommächte gegen Putin einigen.

Der Kreml-Chef dürfte das ahnen, falls es ihm China und Indien als mitbetroffene Nuklearmächte am 16. September im usbekischen Samarkand nicht ausdrücklich klargemacht haben. Deshalb übergeht er in der Mobilisierungsrede wohlweislich seine Vernichtungsdrohungen aus dem Februar 2022 und inszeniert stattdessen eine Reaktion auf westliche Warnungen danach. Gegen die habe er eigene „Zerstörungsmittel mit überlegenen Komponenten“, mit denen er nicht bluffe. Sein Bluff besteht jedoch im Schweigen darüber, dass die NATO ihm ausdrücklich eine rote Linie gegen Atomwaffeneinsatz gezogen hat, auf deren Überschreitung sie reagieren wird. Und eben dafür reicht ihre vielfache konventionelle Überlegenheit. Putin und sein Militär sind extrem vorsichtig, weil sie der weltweit einzigen Macht gegenüberstehen, die beim – zu Recht gefürchteten – nuklearen Hochschaukeln nicht mitmachen muss und trotzdem siegen kann.

 

Gunnar Heinsohn (*1943) hat von 1993 bis 2009 an der Universität Bremen Europas erstes Institut für vergleichende Völkermordforschung geleitet. 2011 hat er am NATO Defense College (NDC Rom) das Fach Kriegsdemographie eingeführt und bis 2020 gelehrt.

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PALLA Manfred / 27.09.2022

+ + + und Russland hatte doch schon am 15. Februar 2013 (Asterix “Deunde” war ja für abends erwartet)  m o r g e n s den “überraschenden Besuch” des “Meteor(s) von Tscheljabinsk” (googeln), der die K R A F T (Energie) von ca. “30”-Hiro-Atombomben freigesetzt hat, auf seiner “250”-Kilometer-ATMO-Surf-Tour !!! - Ich hatte noch abends zuvor “extra” z w e i Piccolo im “SuMa” besorgt und dabei erwähnt, “falls ES uns morgen doch noch trifft” !?!? - vielleicht kann Ich auch MEHR, als n u r VOR-AHNEN ?!?!?  ;-)  ;-)  ;-)

Sam Lowry / 27.09.2022

@W. Renner: Ich sehe das anders, darf aber jeder so denken, wie er/sie/es/that/they denkt und sich gerade fühlt… woher wissen Sie, was die Japaner damals wussten?

Gerd Kistner / 27.09.2022

Was jetzt passiert wurde bereits vor 15 Jahren von Brzezinski skizziert (Die einzige Weltmacht), cui bono ist also die entscheidende Frage in diesem NATO – Rußland Krieg ( es ist kein Ukraine – Rußland – Krieg). Wenn die westliche Verteidigungs – und Wertegemeinschaft (durch Mediokratie substituierte Demokratie, die Freiheit des sozialen Absturzes bei Ungehorsam, ideologisierte Naturwissenschaft anstelle Wissenschaftsfreiheit, eine politisierte, schieläugige Justitia mit Muskeldystrophie statt echte Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit, die Würde des lebensfähigen Kindes selbst noch in der 38. Schwangerschaftswoche auf Wunsch der sich selbst verwirklichenden Mutter getötet zu werden, …) den bisherigen Kurs beibehält, wird es einen Atomkrieg geben, der keine Sieger kennt. Taktische Atomwaffen in der Ukraine sind dabei nebensächlich, erstmals werden auch nordamerikanische Städte vernichtet werden. Der europäische Teil Rußlands wird eine Wüste sein. Herr Heinsohn schließt das aus, weil die leitenden Offiziere nicht suizidal seien. So kann man sich irren, aber im Interesse meiner Enkel will ich hoffen, dass Ihre Träume in Erfüllung gehen, Herr Heinsohn. Wie wäre es übrigens, wenn die Bewohnen des Donbass in einem international kontrollierten Referendum selbstbestimmt über ihr Schicksal entscheiden dürften?

Jochen Lindt / 27.09.2022

Ich war bei der Bundeswehr, aber wenn heute 1400 deutsche Soldaten irgendwo in Mali fielen, dann kratzte mich das nicht. Warum auch? Erstens haben sie da nichts verloren, zweitens wären sie für Bärbock/Scholz und deren dümmliche Ideologien gefallen, und drittens hätten sie ihre eigentliche Pflicht - Landesverteidigung, Verteidigung des DEUTSCHEN Volkes - verletzt. Also was solls.  PS:  Hätten wir eine 300.000 Mann starke Wehrpflicht-Bundeswehr, dann wäre Putin auch nicht in der Ukraine einmarschiert. Dies nur am Rande.

Peter Woller / 27.09.2022

Toll, jetzt um 22.50 Uhr wurde hier Leserbrief Nummer 109 geschaltet. Woher wissen Sie, dass keine Atombombe gezündet wird? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Oder wollen Sie hier noch ein schönes Wohlfühl-Leben genießen, mit einer schönen Frau, Pizza, Rotwein? Menschen neigen in Extrem-Situationen immer auch zu irrationalen Entscheidungen, selbst wenn es sie selbst und anderen das Leben kostet.

W. Renner / 27.09.2022

@Sam Lawry, nein hätte man nicht! Die Japaner wussten genau wie aufwändig die Herstellung der Bombe war, arbeiteten die Achsenmächte doch auch daran. Also wussten Sie auch dass mehr als ein oder 2 nicht vorhanden sein können. Ebenso Widerspricht ihrer Theorie alleine schon die Tatsache, dass Japan nicht mal nach Hiroshima kapituliert hat, sondern erst nach Nagasaki. Also wegen einem Warnschuss garantiert nicht! Weiterhin machen sie sich mal mit der Schlacht von Quadalkanal vertraut. Aus deren Verlauf wird jedem, der halbwegs seine Sinne beisammen hat klar, dass die konventionelle Eroberung des Japanischen Festlands keine Option war. Das Ende mit Schrecken hat viele Tote gekostet, aber mit Sicherheit noch viel grösseren Blutzoll verhindert.

Albert Schultheis / 27.09.2022

Der gute Herr Heinsohn mit seinen Reproduktionsraten wieder! “Doch mit der NATO trifft Putin auf ein ganz anderes, ja einzigartiges Kaliber.” - Wie einzigartig das Kaliber der USA bzw der NATO ist, konnten wir in Vietnam, im Irak und gerade eben in Afghanistan erleben. Jedesmal haben die Amis die Schlappen verloren, in Saigon und Kabul sogar vor barfüßigen Vietcong bzw zotteligen Mopedkriegern! Die Amis haben 45 die Atombombe eingesetzt, weil sie der Meinung waren, sie wollten im Pazifikkrieg nicht noch mehr amerikanische Söhne opfern. Wieso sollte Putin nicht zum gleichen Kalkül rekurrieren? Deutschland, der Westen, die USA schicken ihm immer mehr NATO-Waffen auf den Hals. 2, 3 taktische Bomben weit im Westen der Ukraine reichen aus, dem Spuk ein Ende zu bereiten! Damit ist der Krieg, das Sterben russischer Söhne vorbei. Und der dämliche Joe wird es nicht wagen, Russland atomar anzugreifen, denn dann wären sofort Warschau und Berlin kaputt, wenn nicht gar Washington. Was die Massaker Putins betrifft, Herr Heinsohn, wissen Sie genauso wenig wie ich, wer die angerichtet oder inszeniert hat. Sie wissen ja offensichtlich genauestens Bescheid über die Stimmung in Russland, über die Stimmung in der Ukraine wissen Sie nichts. Was geschieht dort mit den Kriegsdienstverweigerern, mit den Deserteuren, was geschieht dort mit den vermeintlichen Verrätern, den ethnischen Russen? Was geschieht mit denen, die Selenskyj für einen korrupten Nazi halten? Ich vermute, man schickt sie alle in Ent-Liberalisierungslager.

Nathalie Nev / 27.09.2022

@Lydia Casselmann. Ja, hatte ich, wuerde ich auch ein zweites Mal wieder lesen und noch mehr nachdenken, der Text hat viel Inhalt und Niveau, wie man es in Deutschland von Politikern nicht kennt. Meine Hochachtung geht auch an den Uebersetzer fuer den inhaltlich anspruchsvollen Text.

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