Wolfgang Mayr, Gastautor / 18.03.2018 / 12:00 / Foto: Pixabay / 2 / Seite ausdrucken

Italien: Wer mit wem, gegen wen und wozu überhaupt?

Die Rechts-Allianz ist das stärkste Bündnis, die Cinque Stelle stärkste Partei im Parlament. Beiden fehlt derzeit ein Partner, um eine Regierung bilden zu können. Der geschlagene Partito Democratico will nicht, der geschäftsführende Parteichef Martina geht mit einer einstimmigen Entscheidung der Parteiführung in die Opposition.

Das Werbe-Vorspiel von Rechts und Cinque Stelle vor der PD-Entscheidung glich einem arroganten Macho-Gehabe. Lega-Chef Salvini strebte eine politische Ehe mit dem PD an, dieser dürfe aber keine Bedingungen stellen. Also eine Art islamische Hochzeit, Chef sagt, wo es lang geht.

Ähnlich agierte auch der Spitzen-Kandidat der Cinque Stelle, Luigi Di Maio. Er legte auf einen virtuellen Verhandlungstisch seine 10 Regierungspunkte hin, der PD sollte einfach zustimmen und unterschreiben. War wohl nur ein Schaulaufen. Der PD mag geschlagen und gedemütigt sein, am Ende ist er aber nicht.

Das Vorspiel zeigt doch deutlich, dass weder die Berlusconi-Allianz noch die Cinque Stelle an ernsthaften Gesprächen mit dem PD interessiert waren. Die beiden Sieger müssen sich bald handelseinig werden, am 23. März, bei der ersten Sitzung des Parlaments, stehen die Wahlen für die Präsidentschaft in der Kammer und im Senat an.

Suche nach parlamentarischen „Garanten“

Di Maio formulierte die Vorgaben. Eine Einigung über die Kandidaten für die Parlamentsspitzen zwischen der Berlusconi-Allianz und den Cinque Stelle sei keine Verpflichtung, auch eine Regierung zu bilden. Di Maio und seine Fraktionsvorsitzenden Giulia Grillo und Danilo Toninelli schlagen Kandidaten vor, die Garanten der parlamentarischen Arbeit sein sollen.

Berlusconi reihte sich inzwischen hinter Salvini ein, seine Lega ist im rechten Bündnis erste Kraft. Berlusconi unterstützt Salvini bei den Verhandlungen mit den Cinque Stelle. Berlusconi rät Salvini aber auch, den PD zu kontaktieren. Der Lega-Chef will aber mehr, nicht nur eine Einigung für die Parlamentsspitzen. Salvini strebt schon jetzt Vorgespräche mit den Cinque Stelle an, um eine Regierung formieren zu können. Recht harsch fiel die Reaktion seines Partners Berlusconi aus. Er habe die Tür geöffnet, um die Cinque Stelle zu verjagen. Während des Wahlkampfes beschimpfte Berlusconi seine Konkurrenten als eine üble Sekte.

Berlusconi wird unterstellt, die dem Bündnis fehlenden Stimmen anderswo holen zu wollen. Bei einem Treffen mit seinen Parlamentariern empfahl der ehemalige Ministerpräsident, Abgeordnete der Cinque Stelle abzuwerben, zu kaufen, schimpfen Kritiker.

Salvini und Di Maio?

Salvini wird nachgesagt, sich an Berlusconi vorbei mit Di Maio einigen zu wollen. Salvini formuliert seine Bedingungen für eine Zusammenarbeit: Abschaffung der Renten-Reform der Regierung Monti, die Absenkung der Steuern auf 15 Prozent, flat-tax heisst das im Lega italienisch, die Föderalisierung Italiens und den Abbau der Bürokratie.

Der starke Mann der Lega zieht aber auf halbem Weg sein Kooperationsangebot teilweise zurück: Er müsse nicht unbedingt regieren, er wolle auch nicht, wenn er die Versprechen an seine Wähler wegen notwendige Kompromisse nicht halten könne. Eines seiner Versprechen erläuterte Salvini auf einer Pressekonferenz in Brüssel: raus aus dem Euro und möglicherweise aus der EU. Die EU mit ihrem Euro habe Italien zerstört. Italienische Politiker suchen die Verantwortlichen für die italienische Misere nie bei sich, immer bei anderen. Salvini verdrängt offensichtlich, dass Berlusconi als Regierungschef und Umberto Bossi, Lega-Minister unter Berlusconi, EU-Politik mitgestaltet haben, mit ihren Kommissaren in Brüssel, mit Mario Draghi in der Europäischen Zentralbank.

Antonio Tajani, Präsident des Europaparlaments, sollte bei einem Berlusconi-Wahlsieg als Ministerpräsident von Brüssel nach Rom wechseln. Forza Italia mag zwar mit der Lega verbündet sein, habe aber andere Werte als die Lega, verwende eine andere Sprache, stehe für Stabilität. Eine umständliche Botschaft an die Lega, dass Forza Italia an der EU festhält?

Cinque Stelle pro Euro und EU

Sind der Euro und die EU also die rote Linie zwischen den Siegern? Möchtegern-Ministerpräsident der Cinque Stelle, Di Maio, ließ wissen, dass er für den Euro und für die EU ist. Brüssel müsse sich aber auf unbequeme italienische Partner einstellen und einlassen. Das Italien der Cinque Stelle wird sich laut Di Maio nicht an die Euro-Kriterien halten. Bevor Schulden abgebaut werden, will Di Maio Geld zurückholen, das schlecht investiert wurde. Wie er das machen will, lässt er offen.

Schlecht investiertes Geld? Eine Cinque Stelle-Regierung wird kein Geld an Bürger verschenken, die nichtstuend auf ihrem Sofa sitzen und auf staatliche Unterstützung warten. Eine klare Ansage von Di Maio. Im Wahlkampf versprach er Arbeitslosen ein bedingungsloses Grundeinkommen bis zu ihrem Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt. Schon gleich nach der Wahl verlangten Bürger in verschiedenen Gemeinden im südlichen Italien, dass ihnen die versprochenen 1.000 Euro ausbezahlt werden.

Trotz des überzeugenden Sieges herrscht Stillstand im Land. Die Sieger wissen nicht, was sie mit ihrem Sieg anstellen sollen, was sie miteinander gestalten könnten, ob sie es überhaupt gemeinsam können.

Innerhalb der Cinque Stelle sorgt Gründer Beppe Grillo derweil für Zoff. In Rom organisierte er mit Bürgermeisterin Raggi den Widerstand gegen eine Olympia-Bewerbung, in Turin hingegen drückte er mit seiner Bürgermeisterin Chiara Appendino die Bewerbung durch. Die jüngste Sitzung des Stadtrates platzte, weil ein Teil der Räte der Cinque Stelle aus Protest den Ratssaal verließ.

Will Grillo gar keine Regierung?

Di Maio lässt sich vom Turiner Zoff nicht beeindrucken. Ihm wird es gelingen, kündigte er an, schneller eine italienische Regierung zu bilden als Angela Merkel. Wenn nicht, auch wurscht, so die Botschaft von Beppe Grillo. In seinem Buch „siamo in guerra“, wir sind im Krieg, verweist Grillo auf den Fall Belgien. Mehrere Monate war das Land ohne Regierung, die Wirtschaft gesundete, das Bruttoinlandsprodukt wuchs. Für Grillo das Beispiel einer Selbstregierung der Bürger ohne Parteienherrschaft. Regierungsloses Belgien, ein Modell für Italien?

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Leserpost

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Helmut Bühler / 18.03.2018

In einem Punkt hat der Kasper Grillo ja recht: keine Regierung ist für manche Länder die beste Regierung. Dazu gehört zweifellos Italien - aber auch für Deutschland gilt: besser nicht regieren als falsch regieren. Vier Jahre Stillstand wäre nur die zweitschlechteste Variante gewesen.

Karla Kuhn / 18.03.2018

Es ist ja schon sehr vermessen Italien mit Belgien zu vergleichen. Gab es überhaupt schon mal eine funktionierende Regierung in Italien ? Und Grillo nehme ich wirklich nicht ernst. Wichtig ist, für mich jedenfalls,  daß durch diese Wahl Macron seine Pläne im Moment nicht realisieren kann.

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