Isaac Hayes: 50 Jahre „Black Moses“

Über einen Giganten des Soul und der Black Music, Galionsfigur der Black-Power-Bewegung, Ehren-König und Vater von 14 Kindern.

Isaac Hayes war ein Gigant des Soul und der Black Music, der mit seiner warmen, butterweichen Bassbariton-Stimme über eine unvergleichliche spirituelle Ausstrahlung verfügte. Seine Musik atmet das Flair eines Gospelgottesdienstes und vermag tief unter die Haut zu gehen und die Seele mit Samthandschuhen zu streicheln. Vielleicht ist Hayes auch die größte Plaudertasche der Musikgeschichte. Beispielsweise bei seiner über achtzehn Minuten langen Adaption des Jimmy-Webb-Klassikers „By The Time I Get To Phoenix“ kaut er einem erst einmal gute acht Minuten ein Ohr ab, bevor er endlich zu singen anfängt. Die Versionen von Johnny Rivers und Glen Campbell, die ihm als Vorlage dienten, dauerten dagegen keine drei Minuten. Überhaupt blähte er gerne mal charttauglich bemessene Popsongs auf epische Dimensionen auf und kleidete sie in bombastische orchestrale Gewänder.

Obgleich sich Hayes explizit mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung identifizierte und wegen seines Engagements zum Idol der Black Community wurde, woher auch sein Spitzname „Black Moses“ rührt, wäre ihm nie in den Sinn gekommen, alles „Weiße“ zu verdammen. Die populäre Musik ist ohnedies ein strahlendes Beispiel dafür, dass die von sogenannten antirassistischen Aktivisten apodiktisch behauptete Trennlinie zwischen Schwarz und Weiß längst überholt ist und der vermeintlich systemische Rassismus ein im Wesentlichen herbeigeredetes und künstlich am Leben gehaltenes Narrativ darstellt. So hatte selbst der Black-Power-Aktivist Hayes keinerlei Berührungsängste mit „weißer Musik“ und interpretierte auf seinen Alben regelmäßig Stücke des Songwriting-Duos Burt Bacharach & Hal David, wie auch einzelne Songs von Charlie Chalmers & Sandra Rhodes, Barry Mann & Cynthia Weil, Kay Rogers & Richard Ahlert oder von Countrysängern wie Kris Kristofferson oder Bands wie den Beatles und The Doors. Mit der Titulierung „Black Moses“ haderte Hayes jedoch anfänglich, da sie ihm als tiefgläubigen Christen wie ein Sakrileg vorkam. Aber letztlich ließ er sich von der Strahlkraft des Symbols, vor allem auch im Hinblick auf seine Rolle als Galionsfigur der Black-Power-Bewegung, überzeugen.

Isaac Lee Hayes Jr. wurde 1942 in Covington, Tennessee im Südosten der USA geboren und wuchs aufgrund des frühen Todes seiner Mutter bei seinen Großeltern auf. Noch als Schuljunge verdiente er sich nebenbei etwas Geld als Baumwollpflücker oder als Schuhputzer auf der legendären Beale Street in Memphis. Wie so viele Soulbrothers und -sisters seiner Generation unternahm er seine ersten musikalischen Gehversuche in einem Gospelchor. Später brachte er sich selbst das Klavierspielen bei und lernte im Schulorchester Saxophon. Als Mitglied verschiedener Tanzbands und Vokalgruppen begann er in Kneipen und Clubs aufzutreten und ging als Sieger bei diversen Talentwettbewerben hervor. Nach mehreren Anläufen gelang es ihm schließlich im Jahr 1964, bei dem legendären Soul-Label Stax Records unterzukommen, das in einem alten Kino im Stadtteil Soulsville der Musikstadt Memphis residierte.

An der Spitze der amerikanischen R&B-Charts

Stax war seinerzeit das Zuhause von Genre-Größen wie Otis Redding, Wilson Pickett, Eddie Floyd, Albert King, William Bell, die Staple Singers oder Rufus Thomas und seiner Tochter Carla. Bei der Studioband, wo gerade ein gewisser Booker T. Jones den Platz an der Orgel geräumt hatte, um aufs College zu gehen, stieg Hayes zunächst als Ersatz-Keyboarder ein. Schon bald konnte er auch sein Talent als Songwriter unter Beweis stellen und schrieb zusammen mit David Porter solche Soul-Klassiker wie „B-A-B-Y“ (Erstinterpretation von Carla Thomas) oder die großen Hits von Sam & Dave „Soul Man“, „Hold On! I'm Comin'“, „When Something Is Wrong With My Baby“ und „I Thank You“. Von letzterem gibt es übrigens auch eine schöne Bluesrock-Version von ZZ Top auf ihrem 1979er-Album „Degüello“ – um an dieser Stelle auch nochmal deren unlängst verstorbenen Bassisten Dusty Hill zu gedenken.

Das „Black Moses“ betitelte fünfte Studioalbum von Isaac Hayes erschien Anfang November des Jahres 1971 und stand zehn Wochen später an der Spitze der amerikanischen R&B-Charts. Das Original-Cover des Doppelalbums ließ sich viermal zur Form eines kreuzförmigen Posters aufklappen, das Hayes in einem biblisch anmutenden Kaftan und wie zum Gebet ausgebreiteten Armen zeigt. Für das Innencover hat sich Hayes mit nacktem Oberkörper und einer fetten, grobgliedrigen Goldkette ablichten lassen, was in der Musikpresse als doppeldeutiges Symbol für Black Pride wie auch für die Befreiung von den Ketten der Sklaverei interpretiert wurde. Wie auch immer. Jedenfalls beginnt das Album mit einer fünfminütigen, locker-flockigen Version des Jackson 5-Hits „Never Can Say Goodbye“, gefolgt von dem tollen Bacharach/David-Cover „(They Long To Be) Close To You“, mit dem die Carpenters erst im Jahr zuvor ihren großen Durchbruch erzielt hatten – und das Hayes in seiner groovig-souligen Interpretation auf knapp neun Minuten ausgedehnt hat.

Der Höhepunkt des Albums ist für mich jedoch das Medley auf der zweiten Plattenseite, das mit „Ike's Rap II“ beginnt und dann in das wunderschön-melancholische „Help Me Love“ einmündet. Es handelt von jemanden, der eine schwierige Kindheit hatte und sein Leben lang nie Liebe erfahren durfte, aber erkannt hat, dass nur die Liebe ihn erlösen kann. Dieses Stück beweist einmal mehr, dass sich wahre Schönheit nur in Verbindung mit einer gewissen Melancholie entfalten kann. So wie die schönste Blume zum Wachsen und Gedeihen viel Sonne, aber auch Regen braucht. Und weil's gar so schön war, setzt der Messias von Soulsville mit seiner göttlichen Bombastversion des Curtis Mayfield-Klassikers „Need To Belong To Someone“ noch eins obendrauf. Also, wem's da nicht ganz kuschelwarm ums Herz wird, der hat keins. Das musikalische Thema von „Ike's Rap II“ sollte sich übrigens gut zwanzig Jahre später besonderer Beliebtheit bei britischen Trip-Hoppern erfreuen. So verwendeten Portishead ein Sample davon für ihr Stück „Glory Box“ von ihrem Debüt-Album „Dummy“ von 1994 und Tricky gleich im Jahr darauf für sein „Hell Is Around The Corner“ von seinem Erstling „Maxinquaye“.

„Shaft"-Soundtrack bringt Oscar, Grammy, Golden Globe

Ein paar Monate vor „Black Moses“ erschien der Soundtrack zu dem Blaxploitation-Gangsterfilm „Shaft“, zu dem Isaac Hayes die Musik gemacht hatte und der zum größten Erfolg seiner gesamten Karriere wurde. Das Titelstück „Theme from Shaft“ bescherte ihm den weltweiten Durchbruch und landete wie auch das Soundtrack-Doppelalbum auf Platz 1 der amerikanischen Billboard-Charts. Beide erlangten zudem Goldstatus. Darüber hinaus bekam Hayes für „Theme from Shaft“ im Jahr darauf als erster Afroamerikaner den Oscar für den besten Filmsong sowie den Grammy und den Golden Globe für die beste Filmmusik. So geballt sollte es für ihn allerdings nie wieder kommen. „Black Moses“ schaffte es demgegenüber nur noch auf Platz 10 der regulären Billboard-Albumcharts, aber erhielt immerhin einen Grammy für die beste Instrumentaldarbietung. Als Stax Records 1977 Konkurs ging, verlor Hayes nicht nur einen beträchtlichen Teil seines Vermögens, sondern auch die Urheberrechte an einem Großteil seiner Musik. In der Folgezeit versuchte er diesen Verlust mitunter als Schauspieler zu kompensieren, indem er Nebenrollen in erfolgreichen TV-Serien wie „Detektiv Rockford“, „Miami Vice“ oder „Das A-Team“ sowie in Kino-Blockbustern wie etwa John Carpenters „Die Klapperschlange“ annahm.

Daneben arbeitete er als Radio-DJ und brachte sich als Gastmusiker bei Aufnahmesessions von verschiedenen Musikerkollegen ein. Sogar zum „König“ wurde er gekrönt, und zwar 1992 als Ehrung für sein humanitäres Engagement im westafrikanischen Ghana, wo ihm der Titel Nene Katey Ocansey I des Ada-Distrikts verliehen wurde. Dagegen konnte seine Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame im Jahr 2002 wohl nicht ganz mithalten. Der jüngeren Generation wurde er durch die Stimme der Figur des Kochs Jerome „Chef“ McElroy in der amerikanischen Animationsserie „South Park“ bekannt, die er von Beginn der Sendung im Jahr 1997 bis 2006 sprach. Aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Church of Scientology, der er zwischenzeitlich beigetreten war, verwarf er sich jedoch mit den Machern der Sendung und kündigte, nachdem diese in einer Folge Scientology kritisiert hatten. Etwa zur selben Zeit erlitt er einen Schlaganfall, den er als eigentlichen Grund für seinen Rückzug von „South Park“ ausgab.

Isaac Hayes war in seinem Leben viermal verheiratet und zeugte vierzehn Kinder, die ihm wiederum vierzehn Enkel und drei Urenkel schenkten. Das nenne ich mal eine effektive biologische Reproduktionsrate. Im Jahr 2008 spielte er sich selbst in dem Film „Soul Men“; einer Musikkomödie über die Geschichte des Stax-Labels, deren Veröffentlichung er jedoch nicht mehr erleben sollte. Infolge eines weiteren Schlaganfalls starb Hayes am 10. August 2008 in seinem Haus in der Nähe von Memphis. Zehn Tage später hätte er seinen 66. Geburtstag feiern können. 2010 wurde zur Anerkennung seiner Lebensleistung ein Abschnitt der Interstate 40 in Tennessee im Rahmen einer öffentlichen Zeremonie auf Isaac Hayes Memorial Highway getauft. Systemischer Rassismus sieht anders aus!

 

YouTube-Link zum „Medley: Ike's Rap II / Help Me Love“

YouTube-Link zum Curtis Mayfield-Cover „Need To Belong To Someone“

Und als kleines Zuckerli eine Live-Aufnahme von „Theme from Shaft“ anlässlich Hayes' Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame im Jahr 2002

Foto: Jambalaya/Tulane University yearbook via Wikimedia Commons

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Günter Fuchs / 06.11.2021

Wieder mal eine hervorragende Rezension von Ihnen Herr Scheuerlein dieses mal über den US-amerikanischen Rhythm & Blues (R & B) Musiker und Songschreiber Isaac Hayes! Hayes als Musiker war nie mein Fall, seiner Version von “Need To Belong To Someone” würde ich immer die Originalversion von Curtis Mayfield und seinen “Impressions” vorziehen (einfach ein genialer Song und zeitloser R & B-Klassiker von 1966)! Aber seine Fähigkeiten als Songschreiber (kongenial mit David Porter) sind unbestritten! Alleine das Klasse-Album “Double Dynamite” von Sam & Dave aus dem Jahre 1966 ist mit 5-Songs aus der Feder von Hayes & Porter bestückt! Sam & Dave waren wohl die eifrigsten und besten Interpreten der Songs von Hayes und Porter! Die US-amerikanische R & B-Szene (einschließlich der Sub-Genres wie Doo-Wop, Soul und Gospel) ist so vielseitig und mit so vielen großartigen Künstlern besetzt, dass sich weitere Rezensionen über dieses Musik-Genre förmlich anbieten! Bitte in diesem Sinne weitermachen! 

Rolf Menzen / 06.11.2021

Und was ist mit Mr. Dynamite James Brown?

Ulla Schneider / 06.11.2021

Ach ja, ich war gerade wieder 28 ! Danke für die links dazu.

Sabine Lotus / 06.11.2021

Herzchen an H@rr Luhmann für den Plattentip. Allen anderen lege ich noch einmal die “Chocolate salty balls” aus seinem Southparkleben ans Herz. Unverzichtbar in jedem Autoradiostereoreisemix.

Lutz Herrmann / 06.11.2021

Chocolate Salty Balls.

Claudius Pappe / 06.11.2021

Black Power ...weiter hab ich nicht gelesen…................................................ Nächste Woche : Herbert Grönemeyer mit 4630 Bochum ?

Arne Borg / 06.11.2021

Ich sage nur: Live at the Sahara Tahoe

Sabine Schönfelder / 06.11.2021

He is so gorgeous!!  „Theme from Shaft“ anlässlich Hayes‘ Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame von 2002 sehe ich immer wieder gerne. Er ist so eine coole Socke, ein optisches Leckerchen, und geballte Lebenslust. Seine Stimmlage erfüllt bei uns Frauen sämtliche Vorstellungen von erotischer Männlichkeit. Ein Hayes reicht, um uns evolutionäre Ausrutscher, lächerliche Spielarten aus Gottes großen evolutionären Versuchslabor à la Lauterbach und Helge Braun vergessen zu lassen. Seine Stimme ist tief und warm, seine Arrangements virtuos und prickelnd. Danke für die schöne Reminiszenz!

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