Fabian Nicolay / 23.12.2023 / 06:00 / Foto: Fabian Nicolay / 62 / Seite ausdrucken

Im Verhörzimmer der Gedankenpolizei

Unsere Aufgabe als Medium ist, dem gesellschaftlichen Treiben möglichst früh den Spiegel vorzuhalten und die politische Gemengelage stetig zu dokumentieren. Später wird man wissen wollen, wie es in Deutschland zu einem solchen Versagen der Vernunft kommen konnte.

Man kann heute am Weltgeschehen verzweifeln. Auch an Deutschlands Entwicklung und seinen Politikern kann man verzweifeln. Und man kann ihr Handeln zumindest als dumm, aber auch als verschlagen, unverantwortlich und teils sogar kriminell bezeichnen. Wofür man sie gern zur Rechenschaft zöge.

Es sieht nicht gut aus für Deutschland und Europa, weil unser Land als ehemaliger Exportweltmeister zum sinkenden Stern geworden ist und den eitlen Weltrettungsanspruch nunmehr mit Führungspersonal aus der intellektuellen Bezirksliga rekrutiert. Dort geht es für die einen ums Dabeisein, für die anderen ums Rumkommandieren auf dem Platz.

Es gibt immer genügend Zeitgenossen, die damit zufrieden sind und glauben, dass die politischen Fehlentscheidungen der letzten Jahre keine krassen Verfehlungen, sondern progressive Ideen waren (zum Beispiel Energie-, Verkehrs- und Agrarwende, Lockdown, Schuldenbremse, Wärmepumpen), und dass politisches Versagen – wenn überhaupt – als krumme Machenschaften zu bezeichnen eher böswillige Unterstellungen von Verschwörungstheoretikern sind (sogar in solcher Häufung: Cum-Ex, Viruspanik, Maskenpflicht und mRNA-Impfung, „Graichen-Clan“).

Zu den Klimaklebern übergelaufen

Bislang fühlten sich solche „Optimisten“ frei und sicher, gut versorgt – weil man es ihnen medial eingepeitscht hat und sie daran glauben wollen, dass man sich beim Politmärchenerzähler No. 1 „unterhaken“ muss, um gemeinsam durch den Schlamassel zu kommen, den er größtenteils selbst zu verantworten hat.

Da einige von diesen „Optimisten“ obendrein Gewinnler eines Systems sind, das diejenigen bevorzugt, die widerspruchslos mitlaufen, haben sich nicht nur Wähler des linksgrünen Milieus von opportunen Subventionen und Heilsversprechen kaufen lassen – auch um die „No. 1“ herum haben sich schamlos inkompetente, rücktrittsresistente Politkarrieristen eingenistet und agieren so, als gehörte dem ganzen Politklüngel Staat und Steuergelder. Solche Impertinenz macht Wähler eigentlich rasend, der Kipppunkt des politischen Klimas in Deutschland rückt unausweichlich näher – könnte man meinen.

Die demokratische Mehrheit der Wähler hat seinerzeit ein Votum dafür abgegeben, jene Politik, die uns heute schadet, für vier Jahre als legitim zu erklären. Es könnte früher enden und zu Neuwahlen führen, wenn nicht die Regierungsbank und „No. 1“ zu den Klimaklebern übergelaufen wären: Sie haben sich dort festgeklebt, aus Überzeugung. Was Besseres kann Deutschland nicht bekommen, denken sie, und bleiben einfach sitzen. Nun sind sie halt da.

Frömmelei um die Rettung der Menschheit

Wir bekommen also, was der „Wählermehrheit“ einst versprochen wurde – plus eine irrwitzige Versagensdividende, die den sogenannten „Umständen“ geschuldet ist und irgendwann oder urplötzlich durch Wegfall von Regulation (siehe aktuell Dieselzuschüsse für Bauern, Abschaffung der E-Auto-Subventionen) oder in Form von zusätzlicher Regulation kompensiert werden muss (Steuererhöhungen, Erbschaftssteuerneuregelung, Grundsteuerreform, energetische Sanierungspflicht bei Immobilieneigentum, Regulation von Verbraucherverhalten und Konsumgütern).

In alles mischt sich der Staatsapparat dieser Karrieristen ein, flankiert von den Einflüsterern der NGOs, als gäbe es eine gesellschaftliche Notlage zu bewältigen, die sich in der Unfähigkeit der Bürger zur Einsicht manifestiert. Die fahren einfach zu viel Auto, dafür zu wenig Fahrrad, essen zu viel Fleisch und haben den Schuss nicht gehört: Verzicht ist angesagt im Namen derer, die da kommen und noch geboren werden. Also sollen wir abschwören und uns von übergeschnappten Gouvernanten maßregeln lassen, die in der Bezirksliga spielen, aber mit großer Delegation zur Champions League in Übersee jetten, um dort wichtig zu sein. (Luisa N. in Dubai).

Wer damals grün und links, aber auch „christlich“ gewählt hat, verschrieb sich nicht nur einer politischen Linie, sondern ist auch dem skepsisbefreiten Weg neuer Glaubensvarianten gefolgt: im Glauben an den Humanismus und die Verantwortung von (politischen) Eliten, an Gerechtigkeit und Moral, an das Kollektiv und seine „Gesundheit“, letztlich – und dies wirkt am stärksten – an den politisch stromlinienförmigen, „neuen Menschen“, dessen Frömmelei um die Rettung der Menschheit, des Klimas und der Erde allen anderen Idealen den Rang abgelaufen hat. Das hat Ähnlichkeit mit Mustern, deren Anfänge man früher noch als abzuwehrende erachtete.

Nähe und Nestwärme der medialen Lautsprecher

Vor allem hat der politische Zeitgeist dem Individualismus und der Freiheit der Vernunft einen Riegel vorgeschoben, mit dem eine institutionalisierte, geistige Kollektivenge und erneute Selbstübereignung in intellektuelle Gefängnisse betrieben wird, die zur Rückkehr von Unmündigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber Repressalien des Obrigkeitsstaates führen.

Bei Politikern, die stets an Taktik, Karriere und Bezüge denken, ist dies erwartbar, nicht aber bei Medien, die eigentlich die Aufgabe der Kontrolle übernehmen sollten. Sie sind hingegen zu Lautsprechern der Politik verkommen und überhören selbst die stärksten und schmerzhaftesten Rückkopplungsgeräusche, die nur entstehen, wenn Politiker permanent die geistige Nähe und Nestwärme ihrer medialen Lautsprecher suchen.

Spätestens seit der sogenannten „Pandemie“ wissen wir, wie mit Hilfe der meisten Medien Panikverstärkung, Propagandalüge und Gehorsamkeitsmobilisierung in Deutschland reüssieren konnten, die bis heute nachwirken und zur Wiedererstarkung eines Staatsgebildes führten, das dem Souverän seine hässliche, zynische Fratze zeigen darf. Der Obrigkeitsstaat, der – parteipolitisch geschickt – wie ein Sedativum in die Gewaltenteilung eingeträufelt wurde, ist bereits Realität. Betreutes Denken ist allerdings kein Ersatz für Demokratie und Rechtsstaat.

Ein ödes Einbahnstraßenverhältnis

Dass sich auch Liberale auf solches eingelassen haben, ist ein weiterer Beleg dafür, wie flächendeckend die Angst der Konformisten geworden ist, die Erkenntnisse der Aufklärung politisch zu verteidigen und deshalb von der Party der Bezirksliga ausgeschlossen zu werden. Die größte Gefahr, in die wir uns nun begeben haben, ist nicht der wirtschaftliche Abstieg, sondern der Verlust von kritischer Vernunft und Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung durch die Politbeauftragten selbst.

Eine „Elite“ von politischen Glaubensfanatikern und NGO-Bürokraten möchte die Gesellschaft auf das Niveau eines feudalen Abhängigkeitssystems herunterschrauben, so scheint es, wo Privilegierte und Untergebene ein ödes Einbahnstraßenverhältnis eingehen. Die Folgen der Klima- und Energiewende sind Vorboten dieser Segregation, die mit gesetzlich verankerter Wohlstandsspaltung noch nicht am Ende ihrer dissozialen Logik ist.

Es gibt zu viele Menschen in Deutschland, die erst auf die Nase fallen müssen, um zu verstehen, wie wenig besonnen und blauäugig ihre Zukunftsprojektionen und ihr Vertrauen in die Politik waren, wie viel Unvernünftiges sie dem Zeitgeist willfährig nachgeplappert und zugebilligt haben und wie fatal sich dies auf ihre kleine Lebenswelt auswirken wird.

Stimmungsmache gegen die Realisten

Diese Erkenntnis wird all denen nicht erspart bleiben, die glaubten, sich wegducken zu können. Sie müssen am eigenen Leib erfahren, was es heißt, instrumentalisiert worden zu sein. Dann werden sie vielleicht „mutiger“ und gehen auf die Straße wie die Bauern vergangene Woche, die mit ihren Treckern das Regierungsviertel in Berlin blockiert haben. Die Bauern wissen, wie man Blockade macht. Der Treckerkolonne kann man auch nicht mit Wasserwerfern und prügelnden Polizisten beikommen.

Unsere Aufgabe als Medium ist, dem gesellschaftlichen Treiben möglichst früh den Spiegel vorzuhalten und die politische Gemengelage stetig zu dokumentieren. Später wird man wissen wollen, wie es in Deutschland zu einem solchen Versagen der Vernunft kommen konnte.

Wenn wir heute die fortdauernden, logischen Einbrüche der Wirklichkeit in das Habeck/Scholz’sche Wolkenkuckucksheim beschreiben und gesellschaftliche Regressionen durch ungeregelte Einwanderung von Antisemiten, durch energiepolitische Armutsverschärfung, durch Pandemie-Inszenierungen und staatlich geförderte Zensurnetzwerke anprangern, versuchen wir, gegen das allgegenwärtige „Framing“ anzuschreiben. Täglich wird die Realität hinterm Berg gehalten, um Stimmung gegen die Realisten und Wahrheitssuchenden zu machen. Das können wir belegen.

Alte Texte wegkratzen und neue darüberschreiben

Bei Achgut.com müssen wir uns jedoch eingestehen, dass wir selbst zu den Suchenden gehören. Denn wer glaubt, im Besitz der Wahrheit zu sein, ist auf dem besten Weg in den Irrtum. Wir leben (wieder) in Zeiten von Denkverboten und kollektiv organisierten Imperativen. Neben dem alltäglichen Vergessen aus Pragmatismus gibt es eine zunehmende freiwillige Zensur, die „Schere im Kopf“, die dort schneidet, wo einst das Sagbare und die uneingeschränkt kritische Meinungsfreiheit eine logische Einheit bildeten. Dieser Konsens wurde aufgekündigt und ist einem haltungsorientierten Opportunismus gewichen.

So kann die Erzählung von Geschichte im allgegenwärtigen Verhörzimmer der Gedankenpolizei vorauseilend „zurechtgeschnitten“ und „eingerahmt“ werden. Dabei spielen die Öffentlich-Rechtlichen Medien eine unrühmliche Rolle. Heute wandelt selbst die Gedankenpolizei der freidrehenden „Faktenchecker“ des Öfteren im Terrain von Fakenews (nicht zu vergessen ihre Fakenews-Dienstleistungen während der „Pandemie“), sie hatten und haben den Zeitgeist auf ihrer Seite. Der Staat fördert dies und erzeugt institutionalisierte Abhängigkeiten von politischen Organen, was abgeschafft gehört.

Es ist wie beim Investiturstreit im Mittelalter: Wer die Geschichte und ihre Urkunden unter Kontrolle hat, behält die Macht. Also müssen die emsigen Mönche des Klimaklerus, der Energiewende, der Coronaimpfung, des Kampfes gegen Rechts und aller anderen Weltverbesserungen an ihren Schreibpulten die alten Texte wegkratzen und neue darüberschreiben. Sie machen das so lange, bis alle Varianten dieser „Realitäten“ an den Geschehnissen zerschellen. Dann allerdings, ist zu befürchten, werden wir bei vielem von vorn anfangen müssen.

In eigener Sache:

Ich melde mich nun für einen längeren Zeitraum als Newsletter-Autor ab, um anderen Aufgaben bei Achgut.com nachzugehen. Diese werden mich voll in Anspruch nehmen, denn wir haben einiges vor und viele neue Ideen. Ich werde mich weiter als Herausgeber auf der Achse des Guten zu Wort melden, allerdings nicht mehr so regelmäßig wie in den vergangenen zwei Jahren. Danke, dass Sie mir bei über 100 Newsletter-Kolumnen die Treue gehalten haben, ich habe mich über jeden Kommentar als gedankliche Inspiration gefreut, den Widerspruch selbstverständlich eingeschlossen.

Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und alles Gute für das nächste Jahr!

Ihr Fabian Nicolay

 

Dieser Text erschien zuerst im wöchentlichen Newsletter von Achgut.com (jeweils am Freitag), den Sie hier kostenlos bestellen können.

 

Fabian Nicolay ist Gesellschafter und Herausgeber von Achgut.com.

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Leserpost

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Kristin Obertreis / 23.12.2023

Schade, dass Sie sich zurückziehen, doch wenn Sie wichtigere Aufgaben zu erfüllen haben, muss man damit leben. Ihr Beitrag reizt mich, Hannah Arendt zu zitieren, ich glaube, was sie 1975, im Jahr ihres Todes, zu Joachim Fest sagte, ist heute gültiger denn je. Sie kam auf die linke Studentenbewegung zu sprechen, (deren “Marsch durch die Institutionen”  inzwischen äußerst erfolgreich war), die sie jetzt äußerst kritisch bewertete im Gegensatz zu früheren Jahren. Mit klarem Blick sah sie, dass es sich bei dieser Bewegung um eine Ersatzreligion handelt. “Wir sprachen über den dogmatischen Anspruch der Weltdeutung, den sie mit geradezu religiösem Eifer geltend machten, sie führten sich auf wie der erschiene Gott, der an die Stelle des vertriebenen Christengottes getreten sei. Warum nur, fragte Hannah Arendt, habe Europa, jedenfalls aufs Ganze gesehen, den alten Gott in die Flucht geschlagen, wenn es sich, gleichsam im Handumdrehen, einem sowohl schrecklicherem als auch sichtlich fehlerhafteren Weltenlenker in die Arme werfe? Als gläubiger Christ würde sie fragen, ob die modernen Ideologien die Rache des vertriebenen Gottes seien” (Joachim Fest: Begegnungen, S. 211). Amen, kann ich jedenfalls heute morgen, nur noch hinzufügen. Und natürlich war Hannah Arendt kein “gläubiger Christ”, sondern Jüdin.

Klaus Biskaborn / 23.12.2023

Super Artikel, Chapeau! Viel Erfolg für die neuen Aufgaben!

Wilfried Cremer / 23.12.2023

Lieber Herr Nicolay, ein Wort zu Scholz: Der hat gesagt, nur “keine eigene Erinnerung” zu haben. Das erinnert an die siamesischen Geschwister, die am Kopf verbunden sind, wobei der eine sagt, er könne zusätzlich auch mit den Augen seines Bruders sehen. Scholz verleugnet seine guten Augen, so wie Hitler seine Schwester.

Heiko Stadler / 23.12.2023

Immer wieder hört man den Einwand: “... aber etwa 25% wählen doch SPD oder Grüne”. Warum wohl? Weil die Steuergeld-Räuberbande, die sogenannte “Regierung”, einen riesigen Wasserkopf an Bürokraten geschaffen hat, der fürs Zeitabsitzen mit unserem abgepressten Steuergeld bestens versorgt wird. Rot-grün-wählende Steuergeld-Schmarotzer sitzen in künstlich geschaffenen und personell aufgeblähten Behörden, Institutionen, Unbildungseinrichtungen, Propaganda-Medien, Klimakirchen und gemeinunnützigen GmbHs. Es handelt sich bereits um ein Millionenheer von unproduktiven Steuergeld-Empfängern, die durch eine 180-Grad-Wende hin zu einer rechtsstaatlichen Regierung in ihrer Existenz gefährdet wären. Das erklärt den Hass der Steuergeld-Empfänger auf die AfD und die Forderung, die AfD zu verbieten. Schließlich wollen sie ja weiterhin ihr Luxusleben von der Beute der Leistungsträger führen.

Andreas Mertens / 23.12.2023

Wir sollten in D-Land nicht alles so schwarz sehen. Auch nach dem 30jährigen Krieg ging es wieder bergauf. Ok, ca. 1/3 aller die vorher dabei waren sind nachher nicht mehr dabei. Das dürfte bei einem flächendeckenden = langanhaltenden Blackout auch nicht anders sein. Ganze Städte und hunderte Ortschaften verschwanden für immer von der Landkarte, das dürfte bei der bekannten demographischen, energetischen und wirtschaftlichen Katastrophe in der wir gerade stecken auch nicht anders sein. Das Land war danach frakturierter als je zuvor und für Jahrhunderte Spielball seiner umliegenden Mächte ... aber was erzähl ich ihnen hier. Trotzdem ging es irgendwann wieder bergauf und dann auch gleich direkt in den nächsten Irrsinn. Geschichte wiederholt sich nicht, nur der Wahnsinn.  Und wir ... mittenddrin anstatt nur dabei.

A.Schröder / 23.12.2023

Deutschland befindet sich in einem Zustand wie 1933, nur mit einem grünlichem Anstrich. Blockwärter auf allen Ebenen versetzen sich in den Dienst. Für die Propaganda zuständige Medien sind schon lange rekrutiert, haben williges Personal nachgeordert. Der staatliche Mob jagd für die Stimmungsmache jeden Tag eine Neue Sau durchs Dorf. Das Volk ist eingelullt vom Traum auf drei eigen Pflanzen.

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