Gastautor / 28.08.2018 / 06:14 / Foto: Pixabay / 65 / Seite ausdrucken

Im Feuer von Rostock-Lichtenhagen

Von Jürgen Podzkiewitz.

Während ich spätabends gemütlich vor dem Computer sitze, war es am vergangenen Wochenende vor exakt 26 Jahren um die gleiche Zeit doch eher ungemütlich für mich. Rostock-Lichtenhagen, Sonnenblumenhaus. Überall Rauch, Feuerschein, der durch die Fenster drang, Gejohle des entfesselten Pöbels vor dem Haus. Vietnamesen rannten hektisch und panisch durch die Flure. Sie hatten Angst um ihre Familien. Einer von Ihnen hatte eine Axt gefunden. Wir, das ZDF-Fernsehteam, versuchten in dieser Prähandyzeit, über ein monströses Funktelefon Hilfe herbeizurufen. Ich war der Kameramann, meine damalige Freundin moderierte im Fernsehen das Geschehen, ohne zu wissen, dass ich ebenfalls im Haus festsaß. 

Am Anfang war ich etwas panisch, ich bin weiß Gott kein Held. Wir waren es alle nicht. Mein erster Gedanke: „Bevor ich verbrenne, springe ich aus dem Fenster“. Zwei Zigaretten später war die Angst vergangen. Ein Plattenbau brennt nicht lichterloh, es ist alles aus Beton und ein Tod durch Rauchvergiftung hat weit weniger Schrecken als ein Tod durch verbrennen.

Wir hatten versucht, aufs Dach zu kommen, doch eine Stahlgittertür mit zwei Schlössern hatte unsere Flucht verhindert. Keiner hatte den Schlüssel. Im fünften Stock gab es eine Verbindungstür zur Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge (ZAST), die war mit Brettern vernagelt. Jetzt kam die gefundene Axt zum Einsatz. Die Tür zersplitterte unter der Wucht der Axthiebe. Wir rannten hoch, um aufs Dach zu kommen und saßen in der Falle. Es gab nämlich nur in jedem zweiten Haus einen Weg auf das Dach, in der ZAST gab es einen solchen Weg nicht.

Frauen und Kinder zuerst. Wir waren gerettet

Zurück durch den dichten Rauch ins Nachbarhaus der Vietnamesen. Ich hätte da ganz viel Spannendes drehen können, aber ich hatte nur noch 10 Minuten Tape und nur einen Akku für die Kamera. Trotzdem gingen meine Bilder um die ganze Welt. Im obersten Stockwerk war es den Vietnamesen in der Zwischenzeit gelungen, das obere Schloss der Stahlgittertür zu knacken, die auf das Dach führte. Wir hängten uns an die Tür, und es gelang uns, sie aufzubiegen. Durch einen schmalen Schlitz gelangten wir so auf das Dach, Frauen und Kinder zuerst. Wir waren gerettet.

Wir drehten noch etwa eine Stunde weiter, dann fuhren wir in unser Hotel und feierten unseren ersten Geburtstag. Seitdem haben wir uns jedes Jahr getroffen, nicht nur das Team, sondern auch Vietnamesen und der damalige Ausländerbeauftragte von Rostock. Natürlich war die Freude immer groß, sich wiederzusehen. 2017 war der 25. Jahrestag und Rostock feierte den Anlass eine ganze Woche lang. Wir waren alle eingeladen, doch ich konnte und wollte nicht und schrieb den anderen folgenden, wie ich finde, harmlosen, aber offenen Brief.

Liebe Freunde, 

leider ist es mir nicht möglich, nach Rostock zu kommen. Habe nicht nur die Kinder an der Backe, sondern muss auch arbeiten und zu guter letzt bauen wir gerade ein Haus. Es geht wirklich nicht. Muss auch ehrlich gestehen, dass ich der Flüchtlingsproblematik mittlerweile sehr kritisch gegenüberstehe, und um die wird es in Rostock ganz sicher vorwiegend gehen. Ich kann Euch auch in wenigen Zeilen erklären, was mich stört. 

Es wurden hunderttausende Menschen ins Land gelassen, mit genügend Geld, um Schlepper zu bezahlen, von denen nur ein geringer Teil wirklich Anspruch auf Asyl hat. Dies hat mittlerweile in Deutschland zu erheblichen Sicherheitsproblemen geführt. Man klopft sich gegenseitig auf die Schulter, feiert sich selbst und freut sich ob der humanitären Großleistung, während das Land mit Kriminalitätsproblemen und Terrorismus kämpft, die man dafür gerne verdrängt. Das ist verlogen und in meinen Augen falsch. 

Die wirklich bedürftigen Familien oder Frauen mit Kindern hängen mangels Geld für einen Schlepper weiterhin in elenden libanesischen, jordanischen und türkischen Flüchtlingslagern. Um die kümmert sich keiner. Die Gelder wurden sogar noch reduziert, sie sind ja weit weg und die Medien ducken sich weg. 

Die Familienväter dort haben, im Gegensatz zu denen die hier zu uns ohne Familien kamen, Verantwortung gezeigt und haben ihre Angehörigen nicht im Stich gelassen. Man hätte mit den Milliarden, die jetzt für Wirtschaftsflüchtlinge in Deutschland ausgegeben werden, dort problemlos ALLE unterstützen und ihnen dort ein menschenwürdiges Leben ermöglichen können, hätte zusätzlich noch Verfolgte, Waisen, Witwen mit Kindern und Familien einfach einfliegen lassen können. 

Es gibt also keinen Grund, auf die deutsche Vorgehensweise stolz zu sein. Sie ist zutiefst inhuman, denn sie belohnt das Recht des Stärkeren und lässt die Schwachen im Stich. Nur so ist es zu einer Spaltung der Gesellschaft gekommen, die die Rechten stärkt. Und unsere Regierung tut alles, um den Riss noch zu verstärken.

Mittlerweile kann man in Deutschland nicht mal mehr darüber diskutieren, ohne gleich in die rechte Ecke gestellt zu werden. Auch dazu schweigt die Presse, man hat gar keine Lust mehr zu differenzieren, sondern fällt bei jedem, der auch nur „aber“ sagt, gleich das Naziurteil. 

Liebe Freunde, ihr wisst, dass ich kein Nazi bin und nie einer sein werde, aber dennoch kommt immer wieder der Vorwurf in Diskussionen. Habt viel Spaß in Rostock. Ich freue mich aufs nächste Mal, wenn wir wieder unter uns sind.

Mit ganz lieben Grüßen
Jürgen

Keine Mail. Nichts. Totenstille.

Eisiges, Mediales Schweigen. Nicht einer hat geantwortet. Nicht einer hat Fragen gestellt. Nicht einer wollte diskutieren. Im 26. Jahr erhielt ich keine Einladung mehr. Keine Mail. Nichts. Totenstille. Ich existiere anscheinend nicht mehr, bin für sie ein Paria, sonst müsste ich jetzt schon wieder auf dem Weg nach Rostock sein. Man wird ausgestoßen, weil man die Wahrheit schreibt. 

Freunde, die man seit mindestens 25 Jahren kennt, hätte ich völlig anders behandelt. Ich wäre auf sie zugegangen. Jeder wahre Freund verdient es, gehört zu werden, bevor man ihn verurteilt. Ich habe auch einen von ihnen nicht verurteilt, als Stasivorwürfe aufkamen. Es war mir egal, es war mein Freund.

Liebe Freunde, damals wurden wir mit Preisen überhäuft und gefeiert, weil wir rein zufällig in diesem Haus mit den Vietnamesen eingesperrt waren. Das war unsere ganze Leistung. Wir waren keine Helden. Aber mit Preisen ist es wie mit Bomben und Granaten: Es trifft meistens die Unschuldigen, in diesem Falle uns. Feiert Euch dafür ruhig weiter. Viel Spaß dabei.

 

Zum Autor: Jürgen Podzkiewitz, Jahrgang 1954, ist ein deutscher Filmemacher und Regisseur. 1992 war er bei den Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen mit den ZDF-Journalisten Dietmar Schumann und Thomas Euting und über 100 Vietnamesen im dortigen Sonnenblumenhaus eingeschlossen und drehte die dramatischen Bilder ihrer Flucht aus dem brennenden Haus – Bilder, die um die Welt gingen. Das ZDF-Team wurde dafür unter anderem mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte ausgezeichnet.

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Leserpost

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Daniel Gildenhorn / 28.08.2018

Lieber Jürgen, im Grunde ist es doch eine biblische Geschichte, oder? Die Menschen gehen lieber konform mit dem Mainstream. So war es zu den Jesu-Zeiten. So war es im 3. Reich. So ist es jetzt auch nicht anders. Wissenschaftlich belegt ist es noch in den 60-er im berühmten Milgram-Experiment. Die Tatsache, dass aktuell wieder die Rückgradlosen die Oberhand gewonnen haben, dass die vorherrschende Meinung solches Verhalten (nicht das von Ihnen, sonmdern das von den Angeschriebenen) animiert und sogar belohnt, ist eine Schande. Ihr Fall ist leider ein Puzzle in einem mehrdimensionalen Mosaik der Lüge, Verbeugung und der Vorteilnahme. Mit Ihren einfachen aber immer noch ehrlichen und aufrichtigen Sätzen haben Sie die Lage treffend beschrieben. Es ist schon längst an der Zeit, sich zu entscheiden, ob man sein eigenes Spiegelbild auch in 5 Jahren noch ertragen wird. Vieles spricht dafür, daß nicht mal jeder eine Möglichkeit dafür haben wird. Es wird todernst auf den deutschen Straßen. Leben Sie wohl! Sie gehören für mich auf jeden Fall zu dem richtigen Kern dieses wunderbaren Landes.

Stefan Zorn / 28.08.2018

Diese Schilderungen vermitteln ein Gefühl dafür, wie sich jüdische Mitbürger vor 80 Jahren gefühlt haben müssen, als sie plötzlich im LebensmittelGeschäft nicht mehr bedient wurden und Nachbarn sie nicht mehr grüßten…

Stefan Zorn / 28.08.2018

Viel plastischer kann man die gegenwärtige “Lage” nicht beschreiben. Bleibt die Frage, wie man die Inhaber und Gestalter der vorherrschenden Meinungshoheit wirksam bekämpfen kann.

Marla Arbogast / 28.08.2018

Verzweifelte und enttäuschte Bürger werden immer mit den wenigen wirklich Rechtsradikalen in einen Topf geworfen. Die Politik versucht auf diese Weise, den friedlichen Protest zu diskreditieren. Mit Hilfe einseitiger Medien gelingt das schon lange Zeit, befeuert aber letztendlich nur die Wut anständiger Menschen und spaltet das Volk. Wie kann man nur so verantwortungslos handeln?

Andreas Günther / 28.08.2018

Ja,  man kennt das. Diese Leute sind es nicht wert, daß man ihnen nachtrauert. Aber die Enttäuschung im ersten Augenblick… mit so etwas hatte man nicht gerechnet… man hätte es vielleicht ahnen können und schon vorher selbst die Verbindung beenden sollen. Letzteres nagt zunächst ein wenig, weil es die anderen waren, die die Freundschaft gekündigt haben. Aber dann schüttelt man sich, lächelt, denn ein Leben in der Wahrheit - zumindest der Versuch - ist tausendmal wertvoller als Geselligkeit unter falschen Vorzeichen.

Monique Basson / 28.08.2018

„Tage der Schande“ titelt die BILD. Fragt sich nur, für wen? Diese Eruption ist das Ergebnis von Ignoranz, Schlechtleistung und Volksspaltung, verantwortlich dafür ist eine Person. Ich befürchte, es ist erst der Anfang. Wird der Kardinalfehler nicht korrigiert, reguliert es sonst die Straße.

Oliver Förstl / 28.08.2018

Wer den Schmerz der Bevölkerung konsequent ignoriert und versucht, immer wieder die Opfer-Täter-Rolle zu vertauschen, der wird zwangsläufig selbst großen Schmerz erfahren. Die Zeit ist gekommen.

Hartmut Laun / 28.08.2018

Alles bekannt aus Tierexperimente mit Ratten, genannt Dichtestress. Zu Lichtenhagen sei zu bemerken, das die Menschen dort, nach der Wende in der DDR, ohnehin extrem verunsichert waren wie es mit ihnen persönlich weitergehen wird, familiär, beruflich und im Alter. Und ausgerechnet in dieser Zeit quartierte die sozialistische Stadtverwaltung in den Innenhöfen der DDR-Plattenbauten hunderte Personen, überwiegen Zigeuner, dort ein. Dort wo dann, wie es deren Lebensart nun mal ist, bis tief in die Nacht Alkohol konsumiert, gestritten, gezankt, gefeiert wurde, mit Wein, Weib und Gesang, während die anderen in den Wohnungen ihren Nachtschlaf brauchten um am nächsten Tag wieder ausgeruht zur Arbeit zu erscheinen. Die Fäkalien überall, die Massendiebstähle in den Wohnungen und Geschäften, eine(r) verrichtet hinten im Laden ihre Notdurft, das Personal rennt hin und vorne wurde der dann unbewachte Laden ausgeräumt. Ja, so lustig ging es da zu, nur weil eine Stadtverwaltung meinte einem sozialistischen Menschen würde es niemals in den Sinn kommen sich gegen Fremde zu wehren. Von oben zitiert: “Die Menschen dort waren nach der Wende in der DDR ohnehin extrem verunsichert”. Und genau diesen Zuständen nähert sich das Neue Deutschland mit der Merkel-Wende unaufhaltsam an, nur in viel größeren Dimensionen und damit auch mit viel größeren Folgen als in Lichtenhagen. Flieht schnell und weit.

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