Rainer Bonhorst / 17.07.2018 / 12:00 / 16 / Seite ausdrucken

Ich bin ein Kroate

Ein bisschen WM-Nachlese darf noch sein. Um es kurz und klassisch zu sagen: Ich bin ein Kroate. Ganz früher war ich mal Franzose, wegen Jean-Paul Sartre und Juliette Greco. Dann wurde ich Engländer und Amerikaner, wegen des angelsächsischen Laissez faire. Oder, um es englisch zu sagen: „We cross this bridge when we get there.“ Was die wunderbare Brexit-Schluderei erklärt. Oder, um es amerikanisch zu sagen: „Don't fix it if it ain't broken.“ Was eine pragmatische Einstellung im Vergleich zur deutschen Perfektionshuberei beschreibt. Aber jetzt bin ich Kroate. 

Was ist schon Weltmeister. Der Titel sei den Franzosen gegönnt. Aber für mich ist diesmal Weltmeisterschafts-Zweiter die wahre Krönung. Belgier zu sein könnte ich mir fußballerisch auch vorstellen. Belgien gegen Kroatien – das wäre ein Endspiel gewesen. David gegen David und all die Goliaths schon zu Hause. So waren die beiden halt Zweiter und Dritter. Meinen Glückwunsch haben sie.

Sollen die Franzosen ruhig jubeln. Soll Emmanuel Macron ruhig den Luftsprung der Saison machen. Wer vier Tore schießt, darf das auch. Aber den Schönheitspreis haben nicht seine Leute, sondern die Kroaten und die Belgier gewonnen. Und den Fairness-Preis haben die Franzosen schon gar nicht gewonnen.

Ich finde, Schwalben sind im Fußball das Ekligste überhaupt. Schlimmer als die meisten Fouls. Schwalben sind gezielter Betrug. Und Antoine Griezmann hat mit seiner Schwalbe vor dem kroatischen Strafraum den Gaunerpreis des Wettbewerbs verdient. Die kackbraune Schwalbe. Sollte von Zeigler in seiner wunderbaren Welt des Fußballs überreicht werden. Schade, dass so eine sportliche Gaunerei mit einem Tor belohnt statt mit einer gelben, besser: mit einer roten Karte bestraft wird.

Der exaktest gezogenen Scheitel des Wettbewerbs

Über den Elfmeter will ich gar nichts sagen. Oder doch was. Und zwar dies: Das war keine Hand, sondern bestenfalls ein Händchen. Aber so ist das im Fußball: Manchmal hat man kein Glück und dann kommt das Pech noch dazu. Oder ein Schiedsrichter, der zwar den exaktest gezogenen Scheitel des Wettbewerbs trägt, aber im Zweifel zugusten der Blauen schielt. Vielleicht nicht mit Absicht, aber Käse war es trotzdem.

Die tapferen rot-weiß Gescheckten haben einfach schöner gespielt. Kroatische Eleganz gegen französischen Mauerbau. Den Belgiern ist es auch schon so gegangen. Und die haben es dann auch klipp und klar gesagt: „Lieber wie wir verlieren als wie die Franzosen gewinnen.“ Na ja, ist vielleicht nicht die schlaueste Haltung, aber die sympathischste.

Und was die Rolle der Staatspräsidenten angeht. Macron mag besser im Zeug gewesen sein, aber die kroatische Kolinda Grabar-Kitarovic (ein Name wie ein Gedicht!) hat den Freundlichkeitspreis verdient. Sie hat nach dem Endspiel im Regen wahrscheinlich mehr Männer umarmt als in ihrem ganzen Leben zuvor im Trockenen. Sogar den Argentinier Nestor Pitana, der ihre Männer mit seiner Pfeife so schlecht bedient hat, hat sie geherzt. Das ist wahre kroatische Freundlichkeit.

Aber was soll's. Wer die Tore schießt, hat recht und gewinnt. Mal sehen, ob sich die Deutschen für’s nächste Mal den französischen Mauerfußball aneignen, der eigentlich von den diesmal abwesenden Italienern erfunden worden ist. Vielleicht gewinnen wir dann auch wieder. Der Sieg gehört den Abgebrühten. 

Aber sollte es so kommen, dann werde ich wieder sagen: Ich bin ein Kroate. Oder ein Belgier. Oder ein Senegalese.    

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Andreas Mamminger / 17.07.2018

Vielen Dank für den Artikel! Für mich ist Kroatien der wahre Gewinner es Endspieles, ganz besonders aber die in der Tat sehr sympathische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic. Ihr war die Begeisterung und der Stolz auf ihr Land und ihre Mannschaft anzusehen. Ach, wie sehr geht das hier in Deutschland ab! Man bewegt sich zwischem verkrampften Bemühen, demonstrativer protestantischer Nüchternheit bis zur völligen Verleugnung jeglicher Zugehörigkeit in allen Spielarten… Die kroatische Präsidentin zeigte ihre Freude, sie wirkte dabei sehr persönlich und “echt”, bei Macron werde ich das Gefühl nicht los, daß er alles kalkuliert und inszeniert. Und Putin, mei, der zieht sein Ding durch und zeigt dabei vor aller Welt, daß er nochmal über einen Benimmkurs nachdenken sollte…

Matthias Hofmann / 17.07.2018

Ein sehr leichtfertiger Umgang mit der eigenen Identität, wie ich finde. Multikulti wegen eines Fußballspiels. Aber gut; schließlich waren “Wir” ja auch schon mal Papst.  Und nein, ich gehe zum Lachen nicht in den Keller.

Harald Weiler / 17.07.2018

Ich bin ein Kroate. Jedenfalls habe ich das Los Kroatien beim Sweepstake gezogen, das hier im Buero veranstaltet wurde. Schon bei der Verlosung haben meine englischen Kollegen vom Dark Horse Croatia gesprochen. Aus meinen drei britischen Pfund Einsatz wurden zwanzig. Der zweite Platz ist auch nicht schlecht. Derbleckt habe ich die Briten nicht nach dem verlorenen Spiel gegen die Kroaten, wie sie mich derbleckt haben nach dem Ausscheiden des deutschen Zombie-Teams. Ich habe ihnen aber mitgeteilt, dass der Ball 1966 nicht drin war.

Rolf Lindner / 17.07.2018

Sagen sollte man es noch deutlicher: Multikulturelle Fußballlegionäre haben mit Betrug, der Hilfe des Schiedsrichters und fieser Spielweise gegen eine leidenschaftlich für ihre Nation kämpfende Mannschaft gewonnen. Ein ekliger Sieg mit fatalem Ausgang für das Ansehen des Fußballs. Das kann auch nicht im Sinne Russlands gewesen sein, dass die Weltmeisterschaft 2018 derartig befleckt zu Ende ging. Vielleicht war das sogar so gewollt von einer FIFA, die Reportern sogar den Kameraschwenk auf schöne Frauen madig machen will. Die Kroaten können sicher sein, dass sie die Weltmeister der Herzen sind.

Frank Stricker / 17.07.2018

Zustimmung Herr Bonhorst, die kroatische Präsidentin hatte ihr Herzblut nach außen getragen und wirkte ausgesprochen symphatisch und authentisch. Man stelle sich dagegen Angela Merkel im XXXXL Trikot vor, wie sie ungelenk Ball und Gegner abknutscht………..Bei der Vorstellung sollten wir froh sein , dass die “Mannschaft” schon in der Vorrunde kläglich ausgeschieden ist……...

Helge-Rainer Decke / 17.07.2018

Herr Bonhorst, was Sie auch immer sind, oder sein möchten, ist für das sogenannte Bildungsbürgertum eine Fußnote. Gleichwohl, wir hoffen, Sie finden „A la recherche du temps perdu“ ( Proust) irgendwann eine Identität in die Sie dauerhaft hineinschlüpfen können. Deo volente. NS, als alter, noch immer aktiver Fußballer, darf ich Ihnen versichern, die französische Elf hat nicht gemauert und die Mannschaft setzte sich, sehr zum Verdruss der sogenannten Völkischen, multikulturell zusammen. Vive la france allez les bleus.☝️

Rainer Nicolaisen / 17.07.2018

Auch im Fußball: Wer hat (ist), der wird hofiert: Bayern München in der Bundesliga, Real Madrid im Europapokal, Frankreich in der WM ( vielleicht auch, weil sie so schön afrikanisch aussahen?..)      Auf wildes, forderndes Gestikulieren eingehen : Was ist das für ein Schiedsrichter! Überhaupt: Die ganzen Handelfmeter haben mehr als nur ein Gschmäckle.

Klaus Peter / 17.07.2018

Dieser argentinische Schiri hätte sich vorher ein paar Spiele mit Atletico Madrid ansehen sollen oder bestimmte Spielausschnitte. Gerne auch auf Youtube. In Spanien fällt keiner mehr auf Griezmann’s Masche rein. Wird ihn sehr viele Sympathien kosten, aber als Trostpreis darf er sich jetzt Weltmeister nennen.

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