Zwölf Merkeljahre haben es geschafft, dass bei den allermeisten Journalisten Deutschlands bereits das Wort „Wind“, so es aus dem Munde der Kanzlerin kommt, die Frisur in Bewegung setzt. Egal wohin man schaut, überall kapriziert man sich auf die Äußerungen Seehofers, seine Ultimaten, seine Erpressungen, seine Wortbrüche. Merkels Beitrag zur Entfremdung? Für die meisten Journalisten nicht vorhanden. Nur Seehofer zündele „ohne Not“. Nur er bringe die Union ins Wanken, er setze alles auf’s Spiel, er isoliere Deutschland in Europa. Und während man genau zu kennen glaubt, was Merkel plane (ja was eigentlich?), schüttelt man über Seehofer nur den Kopf. „Politischer Selbstmord“ ist noch das freundlichste, was man ihm in den Kommentaren attestiert, die schrägste Klatsche ist mit „Seehofer droht mit der Einhaltung geltenden Rechts“ beschriftet und wird beherzt aber blind mit links geschlagen.
Der 2. Juli 2018 brachte anscheinend Klärung, wobei sich alle Beobachter verwundert die Augen reiben – die einen, weil sie kaum glauben können, wie erpressbar und offenkundig machtlos Merkel ist, die anderen, weil sie enttäuscht darüber sind, dass Seehofers Kopf noch auf seinen Schultern sitzt. War alles nur Theaterdonner? Oder ist der Showdown nur aufgeschoben? Verwirrend ist zudem, dass sich beide als Sieger präsentieren. Doch was, wenn das Stück, welches da in München und Berlin gegeben wurde, ein ganz anderes war, als im Programm steht?
„Die kleine Schwester“ heißt es oft despektierlich, wenn von der CSU im Zusammenhang mit der Union die Rede ist. Mit 430.000 Mitgliedern (2016) hat die CDU sich seit 1990 jedoch nahezu halbiert, während dieser Trend in der CSU (142.000 im Jahr 2016) nicht ganz so ausgeprägt ist. Abwärts geht es gleichwohl auch dort. Nach dem buchstäblichen Verdampfen der SPD in Richtung politische Bedeutungslosigkeit in den letzten Jahren ist die CSU in Deutschland de facto die letzte verbliebene Volkspartei, der jedoch durch die politische Umarmung der „großen Schwester“ in den letzten Jahren eine immer weiter links stehende Politik aufgedrückt wurde. Goutiert wird das von der bayrischen Wählerschaft keineswegs. Sieht man die Entwicklung in der Parteienlandschaft und projiziert sie in die Zukunft, sieht es für die klassischen konservativen Kräfte nicht gerade rosig aus.
Im Berliner Abklingbecken
Es ist also durchaus möglich, dass Seehofer, dessen politische Karriere sich im Berliner Abklingbecken ohnehin ihrem Ende nähert, mit seiner Aktion nichts anderes bezweckte, als mit der Ankündigung, die Axt an Merkels Richtlinienkompetenz zu legen, vor allem die Affen zu zählen, die immer noch auf diesem Baum sitzen und deshalb laut zu schreien begannen.
Doch wer bei der Ankündigung, für die Einhaltung geltenden Rechts zu sorgen, laut aufschreit, zählt zweifellos nicht zum konservativen Mobiliar, und so könnten die Karrieren von Merkelianern wie Altmaier, Laschet, Kauder und Kramp-Karrenbauer in etwa dieselbe Haltbarkeit besitzen wie die der angezählten Kanzlerin selbst, auch wenn letztere daran glaubt, sich durch ihren gut eingeübten Enteignungstrick nochmals gerettet zu haben. Ihre offenbar gewordene Unfähigkeit jedoch, in der EU Solidarität zu requirieren und diese deshalb teuer einkaufen zu müssen, spricht eine andere Sprache.
Die voreilige Meldung von Seehofers Rücktritt, die von den Agenturen so bereitwillig verbreitet worden war, wurde seltsamerweise aus einer laufenden (nicht öffentlichen) Sitzung durchgestochen. Und Seehofer hatte es nicht eilig, zu dementieren. Vermutlich wartete er auf die Wirkung dieser Ankündigung auf Merkel, die jedoch das tat, was sie immer tut: nichts. Keine Reaktion.
Die CSU hatte mit der Verbreitung des Rücktrittsgerüchts die Lage genau soweit eskalieren lassen, wie es zu diesem Zeitpunkt nötig war. Zum Beispiel, um die Grünen signalisieren zu lassen, sie würden nur zu gern die Lücke füllen, die die CSU hinterlassen würde. Es war die herausgelockte Prophezeiung, dass, wer Merkel unterstützt, am Ende die Grünen auch offiziell an die Macht bringen wird.
Für Konservative ein echter Albtraum – und nicht nur für diese! Hier blitzte eine dystopische Zukunft für etwa eine Stunde auf, in der die Rest-CDU nach dem Abgang der CSU brav die Migrations-, Mobilitäts-, und Energiewendeträume der Grünen exekutiert. Inclusive einer „europäischen Lösung“, in der wir nicht von Obergrenzen, sondern von Planerfüllung bei gigantischen Umsiedlungsprogrammen sprechen würden und nach kurzer Zeit in einem Land lebten, das sich so schnell verändert, wie Frau Göring-Eckardt sich das immer gewünscht hat.
Warum der 13. Juli ein wichtiges Datum ist
Doch Seehofer zog den Vorhang wieder zu. Ich glaube, er hatte in Wirklichkeit nie die Absicht, zurückzutreten. Plan „A“ war und ist es, diejenigen in der CDU ausfindig zu machen, die in der Nach-Merkel-Zeit die Führung übernehmen können. Wer das sein kann? Fragen Sie sich einfach, wer sich in den letzten Tagen nicht empört zur Causa Seehofer geäußert hat, dann haben Sie eine gute Übersicht.
Und Plan „B“? Der könnte so aussehen, dass Seehofer seinen Rauswurf weiter provoziert. Merkel hat jedoch sehr genau registriert, dass ihr nicht einmal ihre eigene Partei bedingungslos folgen würde, sollte es nach einem Rauswurf Seehofers zu einem Bruch der Union kommen. Der CDU läuft jedoch gerade die Zeit davon, im Fall des Bruchs mit den Bayern selbst dort antreten zu können – das Wahlgesetz des Freistaates sieht eine 90-Tage-Frist für die Anmeldung von Parteien zur Landtagswahl vor.
Das bedeutet, dass am Freitag, dem 13. Juli 2018, die letzte Chance endet, die CDU in Bayern noch halbwegs in Stellung zu bringen. Es ist deshalb anzunehmen, dass es für Merkel in der Schlussphase des bayrischen Wahlkampfes, also nach dem 13. Juli, nicht mehr gemütlich werden kann. Die CSU wird versuchen, sich so weit wie nur möglich von ihr abzusetzen, um ihre Chancen zu verbessern, und die Kanzlerin wird versuchen, dies zu ignorieren.
Ihr Rücktritt? Schwer vorstellbar. Da Merkels Motto lautet „Es ist besser, nicht zu regieren als keine Kanzlerin zu sein“, werden wir wahrscheinlich auch weiter beobachten können, wie sie ein ums andere mal laviert, ankündigt, fordert und erklärt, ohne dass dies in Bayern, Europa oder der Welt auch nur noch einen Karussellbremser interessieren würde. Und während man in Bayern weiter hofft, dass es in der CDU einen Aufstand des konservativen Restbestands gibt und endlich jemand das Messer zum politischen Muttimord ergreift, wird das Verständnis in unseren Medien mehr und mehr dem Mitleid Platz machen.
Ich bin jedenfalls gespannt, wie sich der Streit, der sich als letzte Chance auf einen friedlichen Wechsel hin zu einer konservativeren Politik erweisen könnte, entwickeln wird. Mein Mitleid mit dem derzeit herrschenden uckermärkischen Krautjunkertum der zitternden Hand hält sich jedoch jetzt schon in Grenzen. Aber ich schreibe meine Texte ja auch nicht für die Tagesschau oder das Heute-Journal. Ex bavaria lux!
Dieser Beitrag erschein auch auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.