Den Namen des Regelwerks hätte ein Bürokratiekritiker nicht besser erfinden können: Marktstammdatenregisterverordnung! Die Kunst, einem Regelwerk einen Titel zu geben, bei dem möglichst niemand erahnen kann, worum es dabei genau geht, ist in Deutschland noch nicht verloren gegangen. Aber jeder wird einsehen, dass ein großes Werk zur Rettung der Menschheit wie die Energiewende auch anständig verwaltet werden muss.
Und um eine gute Verwaltung der Energiewende gewährleisten zu können, brauchen die Behörden natürlich alle Angaben über Stromerzeuger und Stromlieferanten. Eine solche energiewirtschaftliche Meldepflicht ist zwar mit zusätzlicher Arbeit verbunden, aber an der Notwendigkeit einer ordentlichen behördlichen Verwaltung gibt es hierzulande kaum Zweifel.
Während also Stromerzeuger und -lieferanten ihre neue Pflicht geräuschlos erfüllen werden, sind mit dieser Verordnung auch unzählige neue Stromlieferanten entstanden, die alle gar nicht wissen, dass sie Stromlieferanten sind. Der Begriff ist in der Verordnung klar definiert: „Jede natürliche oder juristische Person, die Strom an andere liefert“, ist ein Stromlieferant. Jeder, der beispielsweise einen Handwerker beschäftigt und diesem Handwerker den eigenen Strom für die Bohrmaschine zur Verfügung stellt, ist nach der Definition der Marktstammdatenregisterverordnung ein Stromlieferant und müsste sich streng genommen als solcher registrieren lassen.
Es gibt nämlich in dem Regelwerk weder eine Bagatellgrenze noch muss man mit Strom handeln, um Stromlieferant zu sein. Es ist vollkommen unerheblich, ob der Strom entgeltlich oder unentgeltlich abgegeben wird.
Kunden von Handwerkern und Bauunternehmen, insbesondere dann, wenn diese länger als nur einen Tag größere Arbeiten verrichten, werden zudem zwangsweise zu Stromlieferanten, denn die Dienstleister können sich ja im Regelfall keinen eigenen Strom für den Betrieb ihrer Maschinen mitbringen.
Völlig sinnfreier zusätzlicher Verwaltungsaufwand
Mag es auch vorerst äußerst unwahrscheinlich sein, dass ein kleiner Privathaushalt Probleme bekommt, wenn er sich für die Bohrmaschine bei einem Handwerkereinsatz in der Wohnung nicht als Stromlieferant registriert hat – für unzählige kleine und mittlere Betriebe wird das zu einem ernsten Problem, weil sie plötzlich vor einem völlig sinnfreien zusätzlichen Verwaltungsaufwand stehen. Denn Einsätze von Fremdfirmen, ob zur Wartung, für Bauarbeiten und Reparaturen oder andere Dienstleistungen, bei denen der Auftragnehmer an die Steckdose muss, gibt es zuhauf. Und jedes Mal wird man für eine kurze oder längere Zeit zum Stromlieferanten erklärt.
Firmen, die den Kantinenpächter am eigenen Stromnetz haben, sind dann ebenfalls registrierungspflichtig, oder auch, wer untervermietet und dem Untermieter Strom zum eigenverantwortlichen Verbrauch zur Verfügung stellt.
Wird man Stromlieferant, sobald ein Fremder seinen Stecker in die eigene Steckdose steckt? Ganz so schlimm ist es nicht, aber beinahe. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat ein Merkblatt zur Marktstammdatenregisterverordnung erarbeitet, damit Unternehmen erkennen können, wann sie Stromlieferanten sind. Grundlegende Fragen sind:
„Wer übt die tatsächliche Herrschaft über die elektrischen Verbrauchsgeräte aus? Konkret heißt das: Wem gehört eine Maschine? Wer hat Zugriff darauf? Wer bestimmt ihre Arbeitsweise eigenverantwortlich? Konkret heißt das: Wer entscheidet, wann die Maschine zu welchem Zweck eingesetzt wird?“
Das heißt, wenn der, dem der Stromzähler zugeordnet ist, nicht über den Einsatz des Geräts an seiner Steckdose entscheidet, ist er Stromlieferant. Die Bohrmaschine des Handwerkers gehört dem Auftraggeber nicht und er entscheidet auch nicht, wann sie in Betrieb gesetzt wird. Damit ist der Auftraggeber Stromlieferant. Aber gibt es denn keine Regelung, die wenigstens kleinere Dienstleistungen von der Registrierungspflicht entbindet? Auch hier hilft das DIHK-Merkblatt, wenngleich die Antwort nicht zufrieden stellt:
"Muss ich auch melden, wenn eine Fremdfirma nur einen Tag auf dem Betriebsgelände tätig ist? Im Prinzip ja. Die Bundesnetzagentur sieht keine Dauer für Letztverbräuche vor. Sie erkennt nur einen vorübergehenden geringfügigen Umfang (z. B. Putzfrau) von Dritten an, ohne dass dadurch eine Stromlieferung entsteht. Das 'geringfügig' wird im Übrigen nicht definiert. Eine eintägige Hochdruckreinigung eines Betriebsgeländes durch eine Fremdfirma kann daher bereits eine Meldepflicht auslösen."
Auch Studentenwohnheim und WG sind Stromlieferanten
Dazu kommt dann, dass auch jede Änderung gemeldet werden muss, also auch die Beendigung der Stromlieferung. Das heißt, wenn der Handwerker seine Bohrmaschine nach getaner Arbeit wieder einpackt und somit auch die Stromlieferung an ihn endet, ist wieder eine Meldung fällig.
Die Merkblatt-Prosa des DIHK bei der Schilderung einiger weiterer Beispielfälle macht die Absurdität der Vorschrift, die ja eigentlich der Organisation der Energiewende dienen soll, hinreichend deutlich:
"Fall 4: Studentenwohnheim
In diesem Fall ist der Betreiber des Wohnheims Stromlieferant und unterliegt der Meldepflicht. Die Studenten üben die Herrschaft über ihre Verbrauchseinrichtungen wie z. B. Laptops aus und bestimmen ihren Einsatz. Zudem tragen sie das wirtschaftliche Risiko.
Fall 5: Hotel/Krankenhaus
In diesem Fall handelt es sich nicht um einen Letztverbrauch, da die Einrichtung weiterhin die Herrschaft über die Verbrauchsgeräte ausübt (Föhn/Beatmungsgerät, etc.). Daher besteht keine Meldepflicht des Betreibers, so lange keine Fremdfirmen bzw. verbundene Unternehmen beliefert werden.
Fall 6: WG
a) Ein Hauptmieter: In diesem Fall bestimmt der Untermieter in seinem Zimmer eigenverantwortlich über seine Geräte und deren Einsatz. Zudem trägt er das wirtschaftliche Risiko. Daher ist davon auszugehen, dass der Hauptmieter Lieferant ist und sich registrieren muss.
b) Gleichberechtigte Mieter: In diesem Fall werden z. B. die Küchengeräte gemeinschaftlich genutzt, so dass nicht von einem Letztverbrauch jedes einzelnen Mieters auszugehen ist. Eine Meldepflicht besteht folglich nicht.
Fall 7: Unentgeltliches Laden eines E-Autos beim Nachbarn
In diesem Fall wird der Nachbar zum Stromlieferant und muss sich registrieren, wenn es sich beim Ladevorgang nicht um geringfügige Strommengen handelt. Der Halter des E-Autos ist Letztverbraucher im Sinne der Bundesnetzagentur, weil er die Herrschaft über sein Auto ausübt, seine Nutzung selbst bestimmt und auch das wirtschaftliche Risiko trägt.
Fall 8: Getränkeautomat in einer Firma
Seinen Stromverbrauch sieht die Bundesnetzagentur nicht als Letztverbrauch an. Er begründet also keine Meldepflicht. Ein Automat kann z. B. die Arbeitsweise der Verbrauchsgeräte nicht eigenständig bestimmen."
Willkürliche Gefälligkeiten der Obrigkeit
Auch wenn vieles unklar bleibt, so ist doch eines klar geregelt: Eine fehlende Meldung stellt nach der Marktstammdatenregisterverordnung eine Ordnungswidrigkeit dar und ist bußgeldbewehrt.
Allerdings muss man im heutigen Deutschland auch nicht mehr jedes Gesetz so ernst nehmen. Die WELT berichtete dieser Tage, dass sich DIHK und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) mit einem Protestschreiben an das Bundeswirtschaftsministerium gewandt haben, in dem sie u.a. eine klar festgelegte Bagatellgrenze forderten, um nicht unzählige Unternehmen und vielleicht auch Privatpersonen in die Abläufe der Bürokratie für Stromlieferanten zu zwingen.
Statt eine Verordnung sinnvollerweise zu ändern, kündigt die Bundesnetzagentur auf WELT-Nachfrage an, das Regelwerk nicht buchstabengenau exekutieren zu wollen. Bei „reinen Weiterverteilern“, die Strom aus dem Netz beziehen „und diesen dann anderen zum Verbrauch weitergeben, z. B. bei Studenten im Wohngemeinschaften oder bei der Versorgung einer Werks-Kantine, liegt zwar rechtlich betrachtet eine Stromlieferung vor, aber es ist kein energiewirtschaftlicher Anknüpfungspunkt erkennbar, der eine Registrierung im Marktstammdatenregister erforderlich macht“, hieß es von der Behörde. „In diesen Fällen verzichtet die Bundesnetzagentur auf die Durchsetzung der Registrierung als Stromlieferant im Marktstammdatenregister.“ Das klingt eher nach willkürlichen Gefälligkeiten der Obrigkeit als nach einem rechtsstaatlichen Procedere, aber Deutschland verändert sich ja bekanntlich derzeit ohnehin.
Die amtlich angekündigte Rücksicht kann allerdings auch damit zu tun haben, dass zwar nach Verordnung jetzt schon registriert werden müsste, aber die Verwaltung dazu technisch noch nicht in der Lage ist. Das eigentlich für den 1. Juli 2017 geplante Online-Verfahren zur Registrierung sei noch nicht einsatzbereit. Man rechne für Sommer 2018 mit dem Start des Webportals.
Der Beitrag erschien auch auf sichtplatz.de