Manfred Haferburg / 02.04.2023 / 10:00 / Foto: Achgut.com / 44 / Seite ausdrucken

Haferburgs großer Kernkraft-Countdown (2)

Noch 14 Tage Kernkraft in Deutschland: Einladung zum „Selber den Abschaltknopf drücken“. Unser Autor Manfred Haferburg nimmt auf seine Weise Abschied.

Am 21. März 2023 habe ich folgende E-Mail an den ehemaligen Umweltminister Dr. Norbert Röttgen geschrieben, der mir gegenüber aus seiner ablehnenden Haltung zur Kernenergie nie ein Hehl gemacht hat. Kurz nachdem sich die Nuklearkatastrophe von Fukushima ereignet hatte, stellte Merkel ihre Sicht des verbleibenden Sicherheitsrisikos von Kernkraftwerken und somit ihre Atompolitik infrage und verkündete im Einklang mit ihrem Umweltminister Röttgen den Atomausstieg, der mit überwältigender Mehrheit im Bundestag im Juni 2011 beschlossen wurde. Die sofortige Abschaltung von acht Altanlagen wurde damit Bestandteil der Energiewende. Röttgen, der aufgrund seines guten Verhältnisses zu Merkel als „Muttis Klügster“ bezeichnet wurde, war als Umweltminister mit dem Kernkraftausstieg betraut, bis die Kanzlerin ihn 2012 völlig überraschend entließ, weil er in ihren Augen für „schwarz-grün“ stand. 

Der Brief

Sehr geehrter Herr Dr. Röttgen,

leider haben wir beide in der letzten Zeit wenig miteinander kommuniziert. Dabei haben wir uns in den letzten Jahren doch so demokratisch über den Kernenergieausstieg auseinandergesetzt. Ich habe versucht, mit der Physik und der Ökonomie zu argumentieren, und Sie haben den Ausstieg leidenschaftlich vertreten.

Doch nun, in zwei Wochen, haben Sie unsere kleine Debatte um die Kernenergie gewonnen. Sie haben recht behalten. Die letzten drei Kernkraftwerke Deutschlands werden am 15. April verschrottet.

Ich muss neidlos zugeben, dass Ihr Sieg endgültig und vollständig ist. Nach diesem Datum wird es, so wie Ihre Große Koalition es im Atomgesetz festgelegt hat, in Deutschland keine kommerzielle Stromerzeugung aus Kernenergie mehr geben. Das ist endgültig. Und spätestens in drei Jahren wird eine Umkehr auch nicht mehr möglich sein, selbst wenn es eine gegenteilige politische Entscheidung geben sollte. Das Personal wird weg sein – schon heute ist die halbe Mannschaft in den Schweizer KKW deutsch – die Behörde wird verlernt haben, eine Atom-Aufsicht zu führen, die Hersteller, Zulieferer und Kontraktfirmen werden sich neu orientiert haben. Eine Rückbesinnung würde Jahrzehnte dauern.

Ihr Sieg ist also vollständig und wohlverdient. Da muss ich Ihnen wohl als Entschuldigung für meinen hartnäckigen Widerspruch eine kleine Kompensation anbieten: Sie können selbst den Abschaltknopf drücken. 

Ich könnte das für Sie organisieren. Sie können selbst den Abschaltknopf auf einer der drei Anlagen drücken. Er ist auf der Leitwarte am Hauptfahrpult in der Mitte unter einer roten Klappe angebracht. Kein Problem, ihn zu finden – die Anlagen sind nahezu baugleich. Sie klappen den roten Kunststoffdeckel hoch, drücken fest und kurz auf den darunter liegenden roten Knopf und dann fallen die Abschaltstäbe in den Reaktorkern und sie können sehen, wie die Leistungsanzeige dann von 1.000 MW (statt 1.450 MW, die Anlagen sind ja im Streckbetrieb) schnell auf null fällt. Alle notwendigen Schalthandlungen erfolgen danach vollautomatisch. 

Ich habe noch ein paar gute Beziehungen und kann das eigenhändige Abschalten für Sie organisieren. Falls noch weitere Spitzen-Kollegen der CDU oder befreundete führende Kollegen von den Grünen – Ihren künftigen Koalitionspartnern – dazu Lust haben, es sind ja noch drei Anlagen. Ich kann auch die Presse dazubitten, damit Ihr Anti-Kernkraft-Engagement gebührend in den Medien gewürdigt wird. 

Beim Selbstabschalten können Sie nichts falsch machen. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, das höchstausgebildete Leitpersonal wird Ihnen über die Schulter schauen und Sie können fragen, falls Sie bei der historischen Schalthandlung unsicher sind.

Sollten Sie sich entscheiden, mein Angebot nicht anzunehmen und den Abend lieber bei Ihrer Familie zu Hause zu verbringen und zur Feier des Tages mit ein paar gleichgesinnten Freunden eine gut gekühlte Flasche Champagner zu genießen, dann wird der Abschaltvorgang etwa zwei Stunden dauern. Die Operatoren werden auf den Leitwarten manuell per Knopfdruck die Generatorleistung 10 MW pro Minute absenken. Die automatische Leistungsregelung des Reaktors wird im gleichen Maße die Regelstabgruppen in den Reaktorkern einfahren, so dass die Reaktorleistung mit sinkt. Nach zwei Stunden erfolgt dann die letzte Netztrennung des großen 1.450 Megawatt-Generators. Die Fahrschicht wird dann damit beginnen, das Kraftwerk zwecks kommender Verschrottung kaltzufahren. Schon am 16. April werden keine Dampfschwaden mehr am Kühlturm sichtbar sein.

Es ist davon auszugehen, dass auch in der Nacht vom 15. zum 16. April die Sonne nicht scheinen wird, so dass Solarstrom als Ersatz nicht zur Verfügung stehen wird. Weiterhin ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch der Wind in der Nacht vom 15. April nicht um 22:00 Uhr gerade in dem Moment auffrischen wird, um die nunmehr fehlenden 3.000 Megawatt passend auszugleichen. Doch keine Sorge, Herr Dr. Röttgen, das Licht bei Ihrer kleinen Champagnerparty wird nicht ausgehen. Der Lastverteiler wird parallel zum Herunterfahren der drei großen Kernkraftwerke exakt dieselbe Leistung an Kohlekraftwerken oder vielleicht auch Gaskraftwerken hochfahren lassen, beziehungsweise dieselbe Leistung aus Frankreich an Kernkraftstrom oder aus Polen an Kohlestrom importieren. Ab dem 15. April 2023 wird dieser Ersatz der heruntergefahrenen Kernkraftwerksleistung durch Kohle oder Import verstetigt. Da ist es an der Zeit, gleich noch ein weiteres Gläschen Schampus zu erheben. 

Bitte antworten Sie mir schnell, denn ich muss meine Beziehungen spielen lassen, damit es organisiert werden kann. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute.

Herzlichst Ihr

Manfred Haferburg

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netiquette:

Dr. Wolfgang Monninger / 02.04.2023

Die Idee, Rötgen den Abschaltknopf drücken zu lassen, ist genial.

Klaus Keller / 02.04.2023

Außer der Reihe: Ein Realitätsverlust anderer Art erleben die Grünen gerade in Darmstadt. Zitat faz: Kolmer (OB Grüne) gegen Benz in der Stichwahl +++ 114.000 Wahlberechtigte +++ Wenige hundert Stimmen können entscheiden+++ Kolmer sieht große Chance auf Sieg+++ Ergebnis stand 18:57 Kolmer (grüne) 44,95 %  Benz (spd) 55,05 %, Wahlbeteiligung 38,2%—- Die Darmstädter wollen es wohl doch nicht mehr so grün wie seit 2011. Die spd stellte den OB von 1950 bis 2011

Uwe Samsel / 02.04.2023

Herr Röttgen kümmert sich lieber ums Fremde. Also z. B. um die Ukraine. Aber auch das nur, um den USA und der NATO zu “gefallen”.

Heiko Loeber / 02.04.2023

Reaktorkuppeln sind sexistisch!

Michael Hinz / 02.04.2023

#Wenn sich ein schwaches Volk nicht für Politik interessiert, verschwindet nicht die Politik, sondern nur das schwache Volk.#

marco spaziani / 02.04.2023

wenn es nur nicht so traurig wäre

Dieter Grimm / 02.04.2023

So unvorstellbar idiotisch die Entscheidungen des Vergesslichen und seinem Panoptikum auch sind. Aber das Kind muss erst an die Ofentür fassen damit es die Gefahr und den Schmerz für das ganze Leben lernt. Ich hoffe und bete, dass es in naher Zukunft zu einem Blackout kommt. Mit all seinen Facetten wie Plünderungen, Mord und Totschlag. Denn danach wird es eine Zeitenwende geben. Ich glaube das die Grünen Satanisten aller Einheitsbreiparteien sich auf Monate hinaus vor der Bevölkerung verstecken müssen um nicht am nächsten Laternenpfahl gelyncht zu werden. Wollen wir hoffen das es bald passiert denn je schneller der grausame Blackout vorbei ist umso schneller werden wir von allen grünen,verblendeten, bildungsfernen und inkompetenten Anhängern der Weltuntergangssekte befreit.

Arndt Schuster / 02.04.2023

Ich würde noch einen Schritt weitergehen: Die Politiker, allen voran Frau Merkel, die dafür verantwortlich sind, dass mit den KKW Milliarden an Werten so einfach mal vernichtet worden sind bzw. werden, müsste man wegen böswilliger Zerstörung von systemrelevanter Inftastruktur vor Gericht stellen. Es ist nur noch grotesk, dass stattdessen Frau Merkel am 17.4. die höchste Auszeichnung der Bundesrepublik erhalten soll.

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