„Wir sind die Guten, nicht die Bösen“ ist nicht nur ein leicht infantiler Spruch von Anton Hofreiter, dieses Motto steht auch quer im Hirn jedes Greenpeace-Aktivisten geschrieben. Und weil gute Menschen nun mal nur Gutes tun können, umweht jede Aktion dieser NGO heute ein Hauch von Legitimität. Doch im Gegensatz zu früheren Zeiten, als Regierungen und Firmen sich noch in Opposition zu den Aktivisten befanden, als man bei Aktionen gegen Walfänger oder französische Atombombentests noch mit „Skin in the Game“ dabei war, scheint Greenpeace heute Mühe zu haben, sich an die Spitze eines Zeitgeistes zu setzen, der ohnehin und breit in die gewünschte Richtung strömt. Die Aktionen werden also wahnwitziger, abstrakter und kommen gleichzeitig jenen Menschen unangenehm nahe, die man vorgibt, retten zu wollen. Ein abgedrängtes Harpunenboot ruft bei Beobachtern weniger Empathie hervor als etwa ein Radfahrer, der sich in Berlin auf absichtsvoll ausgekippter gelber Farbe fast das Genick bricht.
Über die Greenpeace-Aktion vom 15.6.2021, als kurz vor dem EM-Spiel Frankreich –Deutschland ein Aktivist per Gleitschirm im Münchner Stadion landete und dabei zwei Menschen verletzte, ist viel geredet worden. Am meisten von Greenpeace selbst, wo man merkte, wie wenig Sympathie mit derlei gefährlichen Stunts zu gewinnen ist. Auch das trotzige und wiederholte Aufstampfen gegen den auserkorenen Gegner Volkswagen, einen Bösewicht, der sich nicht mal zur Wehr setzt wie ein Walfänger, sondern sich für jede Aktivistenklatsche noch brav bedankt, hat etwas Manisches, Ich-bezogenes.
Als sich die erste Empörung über den Luftangriff per Gleitschirm gelegt hatte und die ersten gestammelten Entschuldigungen eintrudelten, kam plötzlich eine andere Dimension ins Spiel: die der Terrorabwehr. Dass der Gleitschirmpilot nur durch die Aufschrift „Greenpeace“ auf seinem Fluggerät dem Abschuss entgangen war, ließ die Aktion im Nachhinein noch deutlicher als Quadratdummheit erscheinen. Eine Ausrede musste her, und die wurde von den Medien teils sehr bereitwillig aufgenommen. Schon am Tag nach dem Vorfall hieß es von Greenpeace erklärend: Es war ein Unfall. Es habe technische Probleme mit der Steuerung gegeben, die Landung sei somit eine Notlandung und nie so geplant gewesen. Der Pilot hätte lediglich einen großen Latexball ins Stadion abwerfen sollen und nicht selbst ins Stadion fliegen. Das kann man so glauben, doch ein aufmerksamer Achgut-Leser stellte sich die Frage, warum die offizielle Presseerklärung von Greenpeace vom 15.6. folgenden Wortlaut enthält:
„Kick Out Oil“ steht auf dem Gleitschirm, der kurz vor Anpfiff auf dem Spielfeld landete. Den gleichen Slogan trägt der ein Meter große Latexball, der durch das Stadiondach zum Mittelkreis schwebte.“
In diesem Text stehen beide Ereignisse, die Landung des Gleitschirms und des Balls, als gleichberechtigt, zusammenhängend, geplant und in der Vergangenheitsform beieinander. Wenn die Meldung tatsächlich nach der Aktion geschrieben wurde, wieso wird der „Unfall“ nicht erwähnt, wenn der Plan doch angeblich ein gänzlich anderer war? Wenn die Pressemeldung – und das ist wahrscheinlicher – schon zu einem früheren Zeitpunkt vorbereitet war, wieso enthält sie dann nicht eine Darstellung des angeblich geplanten Überfluges und berichtet stattdessen von einer Landung? Folglich ergibt entweder die Pressemeldung oder die Entschuldigung keinen Sinn. Dass es sich bei letzterer um eine glatte Lüge handeln könnte, mit der man sich aus der Verantwortung für eine völlig aus dem Ruder gelaufene, dumme Aktion stehlen möchte, kann natürlich nicht sein. Denn Greenpeace gehört bekanntlich zu den Guten, nicht zu den Bösen.