Rainer Bonhorst / 12.08.2012 / 20:28 / 0 / Seite ausdrucken

Gore Vidal, ein Amerikaner

Der Tod des amerikanischen Schriftstellers Gore Vidal wurde in Deutschland so wenig bemerkt wie sein Leben und sein Werk. Er war einfach zu amerikanisch. Über seinen deutschen Misserfolg sagte (oder schrieb) er einmal: “The Germans don’t get it.” Was die Germans nicht begriffen, war die Arbeit und Gestalt eines Mannes, der in keine Schublade passte. Und schon gar nicht in eines unserer Amerika-Klischees.

Er war ein provokanter, streckenweise verdrehter, zuletzt absurder Linker und ein bisweilen arroganter Ostküsten-Aristokrat. Ein Salonbolschewist, dessen große Romane sich in keiner Zeile mit den unterdrückten Massen befassen. Er war professioneller Talk-Show-Gast und unermüdlicher name dropper (und entfernter Kennedy-Verwandter); er schrieb Krimis (als Cameron Kay), Drehbücher (Ben Hur) und Broadway-Stücke, darunter eine Neubearbeitung des Dürrenmatt-Stücks “Romulus der Große”. Klar, was ihn daran reizte: der letzte, schwache Kaiser des untergehenden Roms als “Romulus der Große”. Die gegen den Strich gestellte Perspektive also.

Gore war ein gefeierter Essayist und ein zu wenig gefeierter Autor historischer Romane von einiger Größe, Weite und Tiefe.

Vidal hat die ganze Geschichte der USA in seinen Romanen nacherzählt, von der Unabhängigkeit bis Hollywood. Darin erscheint kein Sklave, kein Cowboy, kein Indianer, kein ums Überleben kämpfender Pionier und kein von Kapitalisten unterdrückter Arbeiter. Dieser seltsame Linke erzählt Amerika aus der Perspektive der Herrschenden, des Establishments, der Politik, dies aber so ironisch und entlarvend, dass nie ein Zweifel besteht: Hier schreibt der Insider als Außenseiter.

Einer seiner ersten Helden ist nicht die Ikone Washington sondern der verfemte Vizepräsident Aaron Burr, der seinen Rivalen Alexander Hamilton im Duell tötet. Das alte Washington nennt eine seiner Heldinnen staunend “Afrika”. Die Hinterzimmer-Arrangements der alten Politik, schildert er so, dass moderne Wahlmanipulationen im Vergleich wie Kinderspiele wirken. Auf fast jeder Seite enttäuscht er mit seiner Skepsis Sozialisten und verärgert er Konservative.

Vidals erster historischer Roman spielt nicht in Amerika sondern im alten Rom. Dort ist sein Held Kaiser Julian, der Apostat, der den alten römischen Göttern gegen das inzwischen dominierende Christentum wieder zu Macht und Ansehen verhelfen wollte. Ein römischer Don Quijote und klassischer Vidal-Held.
Sein Roman “Creation”, auf deutsch ziemlich blöd als “Ich, Cyrus Spitama” angeboten, ist eine Art Anti-Herodot: Die Perserkriege aus persischem Blickwinkel, also als “Griechenkriege” geschildert: zivilisierte Perser gegen lügnerische und opportunistische griechischen Barbaren. Der Titelheld schaut aber auch nach Osten, wo er, obgleich glühender Anhänger Zarathustras, indische und chinesische Weisheit aufsaugt, bewundert und belächelt.

Nicht zu vergessen: Gore Vidals früher, bekennerischer Schwulen-Roman (“The City and the Pillar”), 1948 erschienen, bestaunt und verdammt, als Schwulsein noch ins Gefängnis führte.

Vidal schrieb flüssig, ja süffig über große Themen, wodurch sich der Ruf des TV-Plauderers, nicht highbrow sondern nur middlebrow zu sein, verfestigte. Vielleicht war er tatsächlich nur middle, aber für mich waren seine Augenbrauen hoch genug. Und was seine elegant-einfache Art zu schreiben angeht: Auf die Frage, welche Worte er auf seinem Grabstein haben möchte, sagte er: “Er schrieb gute Sätze”. Verdient hätte er diesen Satz, was auch immer nun tatsächlich auf seinem Grabstein steht. 

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