Manfred Haferburg / 09.05.2020 / 06:28 / Foto: Cezary p / 103 / Seite ausdrucken

Gestern, 8. Mai – Schmierentheater in Paris

Ich dachte eigentlich, dass ich der DDR entkommen bin. Seit sieben Wochen sitze ich, wie alle Franzosen, in rigide überwachter Wohn-Haft. Wir haben einmal am Tage Hofgang – mit Passierschein. Polizisten kontrollieren sogar Einkaufstaschen, um sicherzustellen, dass wirklich nur „lebensnotwendiges“ eingekauft wurde. „Was lebensnotwendig ist, legt der Beamte individuell fest“ – so der französische Innenminister Castaner. Tampons oder Schwangerschaftstests gehören nach Meinung mancher Ordnungshüter nicht dazu und kosten 135 Euro Strafe – der Ehemann hatte sie in der Einkaufstasche. „Wenn Madame so etwas wirklich braucht, muss sie es selbst holen“ – so der Polizist. 

Die Versuchung, einen Corona-Ordnungsstaat zu errichten, ist für manche einfach zu groß. In Südfrankreich findet ein Polizist, dass eine Frau eine „schlechte Haltung“ zeigt, weil sie sechs Flaschen Cola im Einkaufswagen hat – „Betreiben Sie eine Gaststätte?“ – und droht ihr bei Wiederholung „Ihres Verstoßes gegen die Corona-Maßnahmen eine Strafe von 135 Euro“ an. 

Ist ja auch wirklich sträflicher Leichtsinn, statt Rotwein diese Zuckerbrühe zu trinken. Der Durchschnittsfranzose hat schon in den letzten sechs Wochen 2,7 kg zugelegt – so eine Umfrage.

Viele Franzosen nehmen die unsinnigen Maßnahmen des „Confinements“ leise murrend hin – nicht jeder Franzose lebt in einem Élysée-Palast mit eigenem Park. Die Franzosen wurden bestochen, denn sie dürfen bei Lohnfortzahlung zu Hause bleiben. Aber niemand versteht mehr, warum Parks verbarrikadiert und Wälder verboten sind, warum man nicht auf Feldwegen oder am Strand spazieren gehen darf. Bis zum 11. Mai ist der erlaubte Bewegungsradius ein Kilometer von der Wohnung. Und niemand versteht, warum in den „guten Vierteln“ streng kontrolliert wird – es wurden bereits fast 800.000 Geldstrafen verhängt – während in den „sensiblen Vierteln“ die Polizei wegsehen soll.

Offenbar sind einige gleicher als die anderen Gleichen

Natürlich sind auch alle Veranstaltungen verboten. Kein Theater, keine Oper, kein Ballett, kein Museum, keine politischen Demonstrationen, schon gar nicht in gelben Westen. 

Doch nun kam der 8. Mai. Das ist ein wichtiger Feiertag, an dem die Franzosen vom Joch des deutschen Faschismus erlöst wurden. Frankreich begeht das normalerweise mit einer Militärparade und einer opulenten Zeremonie am Triumphbogen. Trotz Corona sind im Land der égalité offenbar einige gleicher als die anderen Gleichen. Seit Tagen bereiteten sich kleinere Gruppen von Militärs auf den großen Tag vor und zelebrierten auf dem hermetisch abgesperrten Rondell unter dem Arc mit Polizeischutz ihr Fahnenschwenken und Trompete blasen – Confinement hin oder her. 

Am 8. Mai 2020 lief die französische Coronakratie zu ungeahnter Form auf. Anlässlich des großen Tages zelebrierte die französische Regierung ein Schmierentheater der Dritten Art. Die Politikelite und die obersten Militärs traten an, um Macron beim Anzünden der ewigen Flamme unter dem Triumphbogen zu huldigen. 

Die ehemaligen Präsidenten Sarkozy und Hollande plauderten freundschaftlich miteinander, zwei Dutzend Generäle, die Oberbürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, der Premier-Minister Edouard Phillipe, die Verteidigungsministerin Florence Parly und einige andere Politik-Adabeis warteten geduldig, bis der Konvoi mit dem Präsidenten über die gespenstisch menschenleere Champs-Elysées herbeidefilierte. Neun Motorräder umringten den Peugeot 5008 des Präsidenten, gefolgt von einem halben Dutzend Vans mit der Personenschutz-Entourage. Dazu muss man wissen, dass der Elysée-Palast gerade mal 600 Meter vom Arc entfernt ist.

Vier Choristen des Armeemusikkorps intonierten die Nationalhymne, währen Macron einen Kranz niederlegen ließ und sich ins goldene Buch des Triumphbogens eintrug. Demonstrativ desinfizierte sich der Präsident nach seiner Unterschrift die Hände aus einer bereitstehenden Flasche – der Gipfel der Lächerlichkeit. Die Politiker standen im Ein-Meter-Spalier, im Bemühen, die eigenen Vorschriften möglichst publikumswirksam einzuhalten. Klappte leider nicht immer. Sarkozy steckte den Kopf kichernd mit einem De Gaulle-Enkel zusammen, auch die Generäle zeigten ihre vertraute Nähe. Da wäre normalerweise jeder Dorfpolizist eingeschritten.

Obwohl das Tragen von genau denen, die es nicht tun, strengstens gefordert wird, trug keiner der Offiziellen eine Maske. Die Masken sind wohl eher fürs einfache Volk als Unterwerfungsgeste gedacht – der Geßlerhut lässt grüßen. Die einzigen Maskenträger bei der Zeremonie waren die bedauernswerten Journalisten und ihre Techniker. 

Zu guter Letzt donnerten noch neun Mirage-Jets über die Großköpfe hinweg, die Trikolore in Rauchschwaden an den Himmel applizierend. Macron hatte die Franzosen gebeten, anlässlich des achten Mai ihre Fenster mit der Nationalflagge zu schmücken. Ich konnte keine einzige entdecken.                                                                    

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Frances Johnson / 09.05.2020

Wir haben doch jetzt in drei Schlachthöfen Cluster. Die Leut, oft Billigarbeiter aus dem Osten,  arbeiten den ganzen Tag drin, dann gehen sie in ihre sehr beengten Quartiere. Von Erdbeerpflückern oder Spargelstechern, die ja draußen arbeiten, ist so etwas bislang nicht bekannt. Und das schreibe ich, weil ich es absurd finde, Menschen nicht spazierengehen oder wandern zu lassen, erst recht an Küsten. Wenn etwas die Resistenz stärkt, dann frische Luft, insbesondere am Meer. Ebenso absurd ist, dass die Leute jetzt durch das Rumsitzen zunehmen, im Schnitt 2,7 kg, schreiben Sie. Adipositas soll einer der Hauptrisikofaktoren sein. Eugentlich ist das auch klar. Bei Adipösen sitzt wird das Zwerchfell mit der Lunge eingeengt, nach oben geschoben. Es könnte also ein mechanisches Problem sein, das zu unangenehmen Verläufen hinzu kommt. Das französische Vorgehen strotzt noch mehr vor Unkenntnis und Absurditäten. Sollen die Leute krank werden?

Siegfried Ulrich / 09.05.2020

@Wilfried Cremer: Vielleicht ist die Unterwerfung unter die Corona-Regeln ja nur die Generalprobe für die Unterwerfung unter die Islam-Regeln?

Jürgen Dannenberg / 09.05.2020

Macron wird das den Sessel kosten, da bin ich mir zu 90% sicher, und zwar an Madam Le Pen. Unsere hiesige Madam, sie kann Dank der alten Leute weiter vor sich dilettieren, und keiner fällt ihr in den Arm. Fast keine, bis auf Achgut und Tichy, sowie ein paar unentwegte Blooger. Die eine Partei(AfD), die gegen Merkel ist, wird halt eisern totgeschwiegen.

Anke Müller / 09.05.2020

Heiner Bargel, inzwischen bestimmen sie nicht nur, was “das Wohl des Volkes” aus ihrer Sicht ist, sondern wer das Volk überhaupt ist! “Artikel 4 der Verfassung der DDR: “Alle Macht dient dem Wohle des Volkes.” Praktische Umsetzung: Was das Wohl des Volkes ist, bestimmen die Mächtigen” Vielleicht wird irgendwann von irgendwem geklärt werden können, wie wir erneut in eine solche Misere hinein rutschen konnten. An den schlafenden Micheln alleine kann es nicht liegen. Es scheinen ungeahnte Kräfte zu walten.

RMPetersen / 09.05.2020

Mich erstaunt, dass das französische Volk diese Schikanen mit sich machen lassen. Sind also nicht nur Deutsche obrigkeitshörig. Oder ist das Einsicht?

E. Albert / 09.05.2020

Nunja, was passiert, wenn man die Franzosen zu lange drangsaliert, ist hinlänglich bekannt. Soll er nur so weiter machen, der Monsieur Macron…die machen das glatt nochmal, davon bin ich ziemlich überzeugt. Die lassen sich nicht so dauerhaft verscheissern, wie der deutsche Michel…Man muss sich nur die Hymne anhören, dann weiß man Bescheid. -” [...] Tremblez, tyrans, et vous perfides / L’opprobre de tous les partis /Tremblez! vos projets parricides / Vont enfin recevoir leurs prix! / Tout est soldat pour vous combattre [...]” - Na dann…“Aux armes, citoyens, formez vos bataillons, marchons, marchons!”

Alexander Mazurek / 09.05.2020

Liberté, egalité, fraternité - Marchons, marchons! Qu’un sang impur abreuve nos sillons! La République de Macron en marche ...

Silvia Orlandi / 09.05.2020

Allons enfants ...singen und die gelben Westen raushängen. In D: Einigkeit, und Recht und Freiheit. Oder : Die Gedanken sind frei…

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