Die oft auch wenig subtile Absurdität der staatlichen Maßnahmen gegen Corona ist weitgehend schon bis zum Überdruss diskutiert, fast karikaturhaft deutlich in ihrer Surrealität werden diese aber in konkreten Situationen. Dazu eine Geschichte: Vor mehr als einer Woche verstarb mein Vetter, nicht an Corona, sondern, wie man so schön sagt, nach langem und schwerem Leiden an unheilbarem Krebs.
Mein Bruder nahm an der Beerdigung teil, in Vertretung des Rests meiner Familie. Mehrere ältere Herren aus meinem Heimatort beschlossen, gemeinsam zum Wohnort der Familie meines Vetters zu fahren: alte Schulkameraden, Kollegen, verbunden durch eine gemeinsame Kindheit in einem kleinen Bauerndorf. Einem „alten Kameraden“ die letzte Ehre zu erweisen, ist einfach üblich und Brauch.
In der Kirche, in der die Totenmesse stattfand, angekommen, entrollte sich nun ein völlig fremdartiges Szenario. Der indische Gemeindepfarrer, der nach Aussage meines Bruders des Deutschen eher nicht so mächtig war, wies die Trauernden ein. Alle aus einem Haushalt durften zusammensitzen, der Rest der Gemeinde wurde im vorgeschriebenen Abstand auf die Bänke verteilt, der Klingelbeutel, ein zentrales Requisit eines katholischen Gottesdienstes, durfte nicht durchgehen wegen Infektionsgefahr, auf ein Körbchen am Eingang wurde verwiesen. Dann galt für alle Maskenpflicht. Der Gemeindegesang, der ohnehin eher schütter zu nennen war, wurde durch die Masken nicht verbessert, die Worte des Priesters waren kaum verständlich, mein Bruder litt an Atemnot, alles ging so schnell wie möglich, und beim Verlassen der Kirche riss sich jeder die Maske runter, um sie am Grab wieder aufzusetzen.
Sogar die meist mit dem körperlichen Ausdruck ihrer Gefühle zurückhaltenden Nordschwaben umarmen doch gelegentlich am Grab weinende Angehörige. Das ging nun gar nicht. Abstand war das eherne Gebot, und jeder war fast froh, dem Geschehen, das mein Bruder als zutiefst „surreal“ bezeichnete, zu entfliehen. Ich versuche, dem Coronageschehen eher eine humoristische Seite abzugewinnen, aber der Ablauf, den ich mir wie einen Film vorstellen konnte, hatte für mich etwas Würdeloses.
Mein Vetter war Maurerpolier, also einer von denen, die die Fundamente unserer Gesellschaft im wortwörtlichen Sinne aufgebaut haben. Gelegentlich wurde da auch ein Architektenunsinn buchstäblich auf eigene Verantwortung ausgeputzt. Diesen Abgang hat er sicherlich nicht verdient, zumal der Verdacht nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Fortsetzung seltsamer Maßnahmen vielleicht eher einem unterirdischen Geplänkel von Söder gegen Laschet um die Kanzlerschaft geschuldet ist als medizinischen Notwendigkeiten. Mein Bruder betont, dass an seinem Arbeitsplatz von Abstand und dergleichen keine Rede sein kann. Leider liegen Schraube und Mutter oft nahe beieinander.
Nach zwei Wochen war die Frau tot
Normalerweise gibt es nach der „Leich“ den „Leichenschmaus“. Angehörige, Nachbarn und Freunde des Verstorbenen treffen sich im nächstgelegenen Wirtshaus. Ich erinnere mich noch an den Leichenschmaus zur Beerdigung meines Großvaters vor bald 50 Jahren. Ein Rosenkranz wurde gebetet, dann kam Brätstrudelsuppe und Schweinebraten mit Spätzle, und in der Folge sprachen zumindest die Männer dem Biere kräftig zu. Das Ganze endete eher fröhlich, mit Geschichten aus dem Leben des Verstorbenen, die es ja reichlich gab.
Jetzt nichts davon.
Mein Bruder fuhr mit seiner Truppe nach Hause. Dort angekommen, beschloss man, doch noch im engsten Kreise eine Halbe oder mehrere (das traditionelle Volksfestbier war wegen Corona nun in Flaschen abgefüllt worden und musste entsorgt werden) zu heben. Die Teilnehmer der Runde waren alle aus Berufen, die man heutzutage als „Helden“ bezeichnet: Installateure, Metzger, kleine Angestellte, eben die Schicht, die in diesem Lande den Laden am Laufen hält.
Die erste verblüffende Feststellung meines Bruders war, dass außer ihm keiner mehr arbeitete. Gründe waren entweder massive körperliche Malaisen oder die klare Aussage, dass man für den Staat keine Lust mehr hätte, Steuern zu erwirtschaften. Es würde auch so reichen. Obwohl von den Anwesenden sicher keiner mehr als die lokale Hauptschule besucht hatte und sicher keine Alternativmedien liest, war die Kritik an den Coronamaßnahmen einhellig. Der Staat würde sie wie kleine Kinder behandeln (ein Eindruck, den das intellektuelle Niveau der Ansprachen unserer Kanzlerin durchaus nahelegen könnte). Man wäre doch nicht im Kindergarten. Dann kamen Geschichten: Die einer Frau, die während Corona mit erheblichen Schmerzen im Unterleib ins Krankenhaus ging. Diagnostiziert wurde ein Problem mit der Bauchspeicheldrüse. Sie bekam Medikamente. Operieren sei momentan nicht möglich. Die Schmerzen hielten an. Wieder Medikamente. Nach zwei Wochen war die Frau tot.
Auf dem Land, wo sich das alles abspielte, gibt es einen funktionierenden Buschfunk. Diese Geschichten machen die Runde, erreichen unter Umständen tausende von Mitbürgern und verstärken deren Skepsis gegen die Obrigkeit.
Ich würde sagen, die leichte Panik, die ich aus den medialen Äußerungen zu den laufenden Coronademos höre, ist berechtigt. Ich glaube, je plumper man versucht, die Bevölkerung zu indoktrinieren, desto mehr hat man das Volk eigentlich schon verloren. Wer man ist, ist hoffentlich klar. Schon wird über „Lastenausgleich“ gesprochen, und die Kanzlerin hat vor einigen Tagen Steuererhöhungen „Stand heute“ negiert. „Nachtigall, ick hör dir trapsen!“ würde der Berliner da sagen.
Hubert Geißler stammt aus Bayern und war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte.