Von Hannah Valentin.
Ein selbstständiger Krankenpfleger war bereit, mir ein positives Testergebnis zu registrieren, ohne die Verpackung des Teströhrchens auch nur geöffnet zu haben.
Gestern Abend, als ich rechtswidrig am Tresen meines Stammcafés stehend, die Maske lässig unterm Kinn tragend, an meinem lacken Zapfbier nippte, erhielt ich eine bedrohlich rot hinterlegte E-Mail von meiner Krankenkasse: „Sie wurden positiv auf CoVid-19 getestet. Isolieren Sie sich umgehend.“
Abgesehen von der recht späten Uhrzeit war nichts daran überraschend. Dies nicht etwa, weil ich krank wäre – ich bin im Gegenteil pumperlgsund und bestens gelaunt –, sondern weil ich es bewusst so terminiert habe, dass sich die nachfolgende Sieben-Tage-Quarantäne bestmöglich in den Rhythmus meiner Arbeits- und Freizeitaktivitäten einfügt. Dies war möglich, weil ein Bekannter eines Bekannten – ein selbstständiger Krankenpfleger – auf freundliche Anfrage gerne bereit ist, ein positives Testergebnis zu registrieren, ohne die Verpackung des Teströhrchens auch nur geöffnet zu haben.
Dies führt dann 11 Tage später direkt in den Genesenenstatus und damit zum begehrten Impfpass, der hierzulande volle sechs Monate gültig ist. Ohne riskante Impfung, ohne lästige Krankheit, selbst die Nasenhöhlenfolter blieb mir erspart, denn ich bin noch nicht einmal persönlich vorstellig geworden. Und all das für die übliche Gebühr von schlappen 25 Euro.
Geistig leicht verwirrt
An welchem Tag er die Eingabe machen soll, wurde ich gefragt. Nächsten Mittwoch bitte, so bleibt mir genügend Zeit, um vor Ort zu erledigende Büroarbeiten abzuschließen, nochmal ausgiebig mit Freunden auszugehen und mich einkaufstechnisch für eine Woche einzudecken. Wäre ich dabei nicht so entspannt gewesen und hätten sich mehr Konserven und weniger Alkohol im Einkaufswagen befunden, wäre es quasi eine Neuauflage der Hamstereinkäufe meiner Eltern im Schlagschatten der herannahenden Tschernobylwolke gewesen – eine meiner eindrücklichsten Kindheitserinnerungen. Auch damals durfte ich aus für mich unerfindlichen Gründen plötzlich nicht mehr raus.
Mein Mann, der qua Sippenhaft ebenfalls unter Hausarrest stehen wird, hatte dank meiner großzügigen Terminierung ausreichend Zeit, um einen kleinen Solotrip nach Katalonien zu planen. Dort drüben scheint die Situation ja inzwischen deutlich lockerer zu sein als hier in Frankreich, wurde uns gesagt. Sein San Miguel darf man sich beispielsweise problemlos im Stehen auf die Lampe gießen und im Camp Nou dicht an dicht mit hunderttausend weiteren Fußballfans für Barça fiebern. Nicht mal das Teilen von Tapas-Zahnstochern wird rechtlich geahndet, hörte ich. Welch paradiesische Zustände!
So bereiten wir nun seit einer Woche meinen Infiziertenstatus vor. Seitdem wurde mein Leben noch absurder, als es seit Wuhan sowieso schon geworden ist. Eine Freundin lud mich beispielsweise zum Essen für nächsten Dienstag ein. Beinahe hätte ich mich versprochen und gesagt „Je peux pas je serai positive!“ (Ich kann nicht kommen, ich werde positiv sein!). Stattdessen sagte ich dankend zu und nahm beschämt in Kauf, ihr kurzfristig absagen zu müssen.
Oder der Verein, in dem ich ehrenamtlich wochenends tätig bin, der händeringend Helfer für eine Veranstaltung nächsten Samstag sucht. Ich würde ja so gerne helfen, wollte ich sagen, aber ich werde Corona haben. Das heißt, theoretisch, unpraktischerweise. Hätte ich theoretischerweise praktisch Corona, hätte ich zwar auch nicht gekonnt, aber zumindest ein weniger schlechtes Gewissen. Versteht ihr was ich meine? Non? D'accord ... scheinbar bin ich geistig leicht verwirrt und sollte mich dringend testen lassen.
In 11 Tagen endlich wieder ein freier Mensch
So lehnte ich gestern sinnierend am Tresen, schon etwas benebelt vom dritten Zapfbier und sichtlich euphorisiert von der Aussicht, in 11 Tagen endlich wieder ein freier Mensch zu sein. Da wurde mir plötzlich bewusst, dass ich gerade mindestens vierfachen Rechtsbruch begehe: Erstens ein gefälschtes Testergebnis in Auftrag gegeben und damit Anstiftung zur Fälschung geleistet zu haben, zweitens mich mit einem positiven Testergebnis an einem öffentlichen Ort aufzuhalten, dessen Zutritt ich mir drittens mit einem fremden Impfpass erschlichen habe, und viertens mein Bier stehend am Tresen zu konsumieren.
Ob das Unterlassen der Handflächendesinfektion und das Begrüßen engerer Freunde mit Busserl mittlerweile als versuchter Totschlag eingestuft oder lediglich als erschwerende Umstände gewertet werden, darüber bin ich nicht auf dem Laufenden. Die gesundheitsrechtlichen Regelungen ändern sich hierzulande schneller, als Manu „merde“ sagen kann.
In der Übermütigkeit des Delinquenten, der den Bogen schon so weit überspannt hat, dass eh alles egal ist, entschließe ich mich, mir ein letztes Bierchen vor der Quarantäne zu genehmigen. Beim Bestellen fällt mir ein kleines Gemälde auf, eine Reproduktion des Portraits des Echevins, das schief zwischen Kaffeemaschine und Pastisflaschen hängend vor sich hinstaubt.
Den Blick des Cafébesitzers suchend frage ich ihn: „O, Antoine! Tu trouves pas qu'elle me ressemble?“ (Antoine! Findest Du nicht dass ich ihr ähnle?) „Qui donc? Jeanne d'Arc?“ (Wem denn? Jeanne D'Arc?) Den kahlen Kopf neigend, schaut er mich an und sagt: Oui, peut être un peu ... maintenant que tu le dis. (Ja, vielleicht ein bisschen... jetzt wo Du's sagst)
Auf diese aufmunternden Worte stürze ich freudig mein Bier herunter und schlendere nach Hause in die wohlverdiente Quarantäne.
Hannah Valentin schreibt unter Pseudonym. In den frühen 2010er Jahren hat sie sich gegen eine akademische Laufbahn als Historikerin entschieden. Stattdessen wanderte sie mit ihrem Ehemann nach Südfrankreich aus, absolvierte eine Handwerkslehre und machte sich selbstständig. Bestens integriert, denkt, spricht und träumt sie mittlerweile auf Französisch, schreibt aber immer noch am liebsten auf Deutsch.