Stimme nicht zu. Bei JEDER Dienstleistung, die man primär ausübt um Geld zu verdienen und nicht aus reinem Spaß, ist eine gewisse Art von “Prostitution” dabei, und zwar bei Frauen wie bei Männern, die diese Tätigkeit ausüben. Oder glaubt Frau Sievers, dass es Spaß macht, Mülleimer zu leeren, die Kanalisation zu räumen oder in der Pflege die Fäkalien wegzuräumen (es gibt noch viele andere Beispiele)? Ich sehe den qualitativen Unterschied dieser Tätigkeiten zu Sexarbeit nicht wirklich und verstehe nicht, warum Sexarbeit im 21. Jahrhundert immer noch stigmatisiert werden sollte, wenn sie von Frauen freiwilllig als Einkommensquelle gewählt wird.
Liebe Frau Sievers, ich lese seit längerer Zeit ihre geistreichen Beiträge und bei fast allen Gedanken von ihnen kann ich nur nickend und lächelnd zustimmen. Ihr heutiger Artikel allerdings unterscheidet sich diametral von meinen 15 Jahren Berufserfahrung als Sexarbeiterin in Berlin. Ich kann ihnen versichern, dass für mich das einzige Ärgernis in diesem Job die neidischen, mobbenden Kolleginnen waren, die mich bestahlen, bei Gästen über mich hetzten oder sogar meine Kondome mit Nadeln perforierten. Es ist meiner Meinung nach für niemanden hilfreich natürliche menschliche Bedürfnisse und das älteste Gewerbe der Welt zum Bösen unter der Sonne zu erklären.
Als Lehrer kann ich bestätigen, dass sexuelle Verwahrlosung Realität geworden ist. Eine Schleifung der traditionellen Vorstellungen über Liebe, Sexualität und Ehe seit Ende der 60er Jahre und Pornografie via Internet haben eine Verwüstung hinterlassen, die wir Älteren uns oft gar nicht vorstellen können. Das fängt schon damit an, daß nicht nur das linksgrüne, selbstverliebte Großstadtmilieu, sondern auch biedere, ja spießbürgerliche Eltern keinerlei Probleme damit haben, schon ihren 14jährigen Kindern zu gestatten, mit dem Partner im gemeinsamen Bett zu übernachten (“Warum nicht? Hätte ich auch gern gemacht, wenn die Eltern es mir erlaubt hätten”). Diese gewollte Banalisierung der Sexualität, die in den Lehrplänen (“sexuelle Vielfalt erfahren und ausleben”) ihren Ausdruck findet, ist ein Verbrechen an den Kindern.
“Seit der Legalisierung der Prostitution im Jahr 2002 ist der Markt explodiert. Es gehen zehnmal soviel Männer zu Prostituierten wie vor diesem Zeitpunkt, etwa 1,2 Millionen täglich.” Gern hätte ich einen Beleg. Ich habe erheblich Zweifel, dass vorallem für den früheren Vergleichszeitraum belastbare Zahlen vorliegen. “sie zeigen eine sexuelle und psychische Verwahrlosung, die in der Geschichte der Menschheit bisher beispiellos ist.” Eine pure Behauptung, Durch die Geschichte der Sexualität im Allgemeinen und der Prostitution im Besonderen in keiner Weise gedeckt. Selbst der fromme und sittenstrenge Kirchenvater Augustinus hielt es im 5. Jahrhundert für illusorisch, Prostitution unterbinden zu können. Vielmehr wären die Folgen für die moralische Ordnung verheerender als der Nutzen: “Entfernt man die Prostitution aus den menschlichen Angelegenheiten, so werden alle Dinge mit Wollust befleckt.” Mir geht es hier nicht darum, Augustinus’ Aufassung zu stützen, sondern die Autorin auf das überaus dünne Eis hinzuweisen, auf dem sie sich mit ihrem historischen Urteil bewegt.
“Diese Entwicklungen sind mitnichten ein Indikator für Liberalität und sexuelle Befreiung – sie zeigen eine sexuelle und psychische Verwahrlosung, die in der Geschichte der Menschheit bisher beispiellos ist.” Danke für diesen Satz!
Wenn Frauen „Sex nicht anders als als Dienst am Mann kennenlernen“ und sie „von klein auf lernen, sich über ihren sexuellen Wert für Männer zu definieren und wenn die Erregung des Mannes „zu ihrer eigenen Sexualität“ geworden ist, dann ist doch zu vermuten, dass es sich hier nicht um eine Allgemeingültigkeit handelt, sondern eher, dass betreffende Frauen in ihrer Kindheit von vermutlich erwachsenen Personen zu deren eigenen sexuellen Befiedigung „benutzt“ worden sind. Kinder, auch Jungen, können so vorzeitig „sexualisiert“ werden ohne genau zu verstehen, was vor sich geht. Erlebnisse dieser Art können prägend sein und in einem ständigem Wiederholungszwang des nicht Verarbeiteten münden. Die Prostitution bietet sich dazu an.
Bei allem Verständnis über die Empörung muss man doch feststellen, dass diese Art “sexueller Verwahrlosung” in der Geschichte keineswegs einzigartig ist. Sie mag häufiger herrschende Schichten betroffen haben und im wesentlichen Ausdruck der männlichen Herrschaftsausübung über Frauen gewesen sein, aber gegeben hat es diesen Umgang mit Sexualität immer (wieder). Unser heutiges Verhältnis zur Prostitution hat sicherlich auch etwas mit der Entwertung von Sex zu tun, der Entheiligung des Geschlechtsakts weg von der fast sakramentalen Handlung mit dem Ziel der Zeugung hin zum kurzfristigen Vergnügen, das dank Empfängnisverhütung für die Frau nicht lebenslange Folgen haben muss. Wenn man sieht, wie beiläufig junge Leute über Sex kommunizieren, wie sie sich im “Tindergarten” treffen und sporadische Beziehungen zum Alltag gehören, wird klar, dass sexuelle Bindungen heute viel loser und unverbindlicher sind als früher. Das hat insbesondere Frauen enorm genützt. Wieviel davon wollen wir erhalten, was hat zuviele negative Folgen? Wir dürfen aus Empörung über negative Begleiterscheinungen jedenfalls nicht in Prüderie verfallen. Man wird davon ausgehen müssen, dass es Prostitution auch bei strengen Verboten weiter geben wird. Es geht also eher darum, wie sie stattfindet als darum ob. Für unsere Gesellschaft wird es für die Zukunft generell ein schmaler Grat zwischen der echten sexuellen Selbstbestimmung der Frauen auf der einen und der Restriktion durch feministische und muslimische Prüderie auf der anderen Seite, die beide im Gewand der Befreiung daherkommen.
Sehr geehrte Frau Sievers , ich freue mich sehr darüber , endlich einmal wieder einen Artikel gegen die populäre Banalisierung der Prostitution zu lesen. Sie wäre ja auch nur ein Beruf wie andere , jeder der für Geld arbeiten ginge prostituierte sich schließlich auch und so weiter. Eltern die das in Ordnung fänden , wenn ihre Tochter anschaffen ginge. Tatsächlich ? Selbstverständlich ist jedem vernünftigen Menschen bewußt , daß es immer Prostitution gegeben hat und wohl auch immer geben wird. Natürlich müssen Frauen , die dieser Tätigkeit nachgehen möglichst gut geschützt werden. Dennoch sollten Frauen im Leben andere Ziele haben , sollte es kein “Lifestyle” sein , sich zu prostituieren. Aber genau das ist das derzeitige Signal : Es ist in Ordnung. Es ist ganz gewöhnliche Arbeit , Sex-Arbeit halt. Sollen das auch meine Kinder denken ? Das Prostitutionsgesetz ist mal wieder eines jener Gesetze die Teil sind von jener Kraft , die stets das Gute will und stets das Böse schafft. Natürlich sind nun alle Frauen des Gewerbes selbstbewußt und selbstbestimmt. Der Zwang und die Ausbeutung durch Banden , Zuhälter , Mafia und Clans wurde ja “Par Ordre Du Mufti” aufgehoben. Die Gesetzgebung sollte nicht Einladend und Auffordernd sein , sie sollte den Zugang zur Prostitution erschweren. Es wird Zeit , daß die Gesellschaft die Diskussion darüber noch einmal aufnimmt. Das Deutschland zum Laufhaus Europas geworden ist , muß zum Nachdenken anregen. Es ist ein Trauerspiel.
Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.