Also ich habe in einer anderen Biografie gelesen, dass der schlicht ein neurologisches Problem hatte, mit dem er heute in die geschlossene Psychiatrie käme. Es stand allerdings nicht da, wie das herausgefunden wurde, ob durch Obduktion etwa. Das weiss vielleicht der Prof. Meins. Aber ein Lyriker, der ansonsten zu faul ist, zu arbeiten, hätte es auch heute nicht leicht. Ja eventuell haben sich die Zeiten sogar verschlechtert, der christliche Zeitgeist hat sich radikalisiert und hätte dieses schwülstige Narrengespinnst einfach entsorgt. Müsste man sich heute nicht fragen, was damals opportun war und was aufsässig, bevor man so einen feiert? Hat der Wolf Biermann jemals Hölderlin gesungen? Oder der Reinhard Mai? Oder irgendwer sonst? Wissen Sie, warum das alle total blöd finden würden? Wie gestrig muss ein Mensch sein, um das gut zu finden? Ich meine, Renaissancen sind immer möglich, aber meistens unerwünscht. Auch das notorische Hölderlinsyndrom lässt sich therapieren.
Liebe Frau Lengsfeld, danke für den Hinweis. Ich habe kürzlich die - wie ich finde sehr gute - Safranski-Biografie über Hölderlin gelesen. Setzt die Hultenreich-Biografie andere Akzente?
“So kam ich unter die Deutschen. Ich forderte nicht viel und war gefaßt, noch weniger zu finden. [...] Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark [...], in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit beleidigend für jede gutgeartete Seele, dumpf und harmonielos, wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes - das, mein Bellarmin, waren meine Tröster. “ Könnte es für unsere Politos, Journos, Expertos und Talkos heute nicht besser ausdrücken.
Liebe Frau Lengsfeld , sehr herzlichen Dank für Ihre Ausführungen zu Hölderlin ! Ich möchte zu Ihrem Buchvorschlag noch auf das Hölderlin-Buch von Peter Härtling (der - wie Hölderlin - in Nürtingen aufgewachsen ist und als Kind dort auch gelitten hat ) hinweisen. Besonders auch die Beschreibung der Wanderung im Winter über die Auvergne nach Bordeaux - jedesmal, wenn ich Schuberts Winterreise höre, muss ich da an Hölderlin denken. (Zwillinge ? alter ego ?) Dankbar bin ich für meine eigene Zeit in Tübingen.
“Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste. / Hohe Tugend versteht, wer in die Welt geblickt, / und es neigen die Weisen oft am Ende dem Schönen sich. Lern im Leben die Kunst, im Kunstwerk lerne das Leben! / Siehst du das eine recht, siehst du das andere auch. Was wäre das Leben ohne Hoffnung! “” Hölderlin. Genau, WAS wäre das Leben ohne Hoffnung ! Daß Hölderlin an sich gezweifelt hat und daß er erst nach seinem Tode richtig berühmt wurde, wundert mich. Johannes Kaufmann, “Friedrich Hölderlin an dessen 250ten Geburtstag wir uns dieses Jahr erinnern, ist mit seinen Versen aus Hyperion zeitgemäßer denn je.” Viele Dichter und Denker der vergangenen Jahrhunderte sind HEUTE mit vielen ihrer Werke zeitgemäßer denn je, zumal- leider- heute das “dichterische und denkerische” Potenzial doch recht überschaubar ist.
Friedrich Hölderlin ist eine der wenigen deutschen Lichtgestalten. An seine geistige Zerrüttung mag ich nicht glauben. Das stinkt mir nach einer nachträglichen Selbstausrede der Verrückten, im Versuch sich einem Vernünftigen zu nähren. Wo ist mein Turm?
Gottes Stirne Farben träumt, ahnt des Wahnsinns sanfte Flügel, Schatten drehen sich am Hügel, von Verwesung schwarz umsäumt. Hat sich Trakl da von Hölderlin inspirieren lassen? Oder war er einfach bekifft? Am Haus in Tübingen, wo Hölderlin bis zuletzt gewohnt hat, steht zu lesen: Der Frieder/Holder isch et verruckt gwä. Ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt - doch wenn die erste Begeisterung vorüber ist, dann ... zählt er die ihm verbliebenen Pfennige ... .
Schon auf den ersten Hinweis auf die Biographie, hier auf der Achse, habe ich mir das Buch gekauft. Eine gute Idee von Ihnen, sehr geehrte Frau Lengsfeld, das übrigens sehr hübsche Buch noch einmal zu lesen, danke.
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