Rainer Grell / 16.11.2018 / 14:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 11 / Seite ausdrucken

„Fehler“ statt Straftaten?

Die CDU-Bürgermeisterin der Gemeinde Salzatal (Sachsen-Anhalt, rd. 12.500 Einwohner), Ina Zimmermann (34), soll nach einem Diensttermin (Teilnahme an einer Feuerwehrfeier) mit 2,8 Promille (Margot Käßmann hatte seinerzeit 1,54) gegen ein Hoftor gefahren sein und den Unfallort dann verlassen haben. Zeugen hätten sie dabei beobachtet und die Verfolgung aufgenommen. Letztlich stießen die Fahrzeuge zusammen und die Polizei kam.

Auf Facebook schrieb sie:

„Ich möchte Euch hiermit aus tiefsten Herzen versichern, dass es mir unendlich leid tut, was passiert ist. Ja, ich habe einen riesigen Fehler gemacht und ja, ich werde dafür geradestehen. Dies bin ich meiner Leidenschaft als Bürgermeisterin für unser Salzatal und vor allem meiner Familie schuldig.“

Auch Margot Käßmann äußerte damals:

„Ich bin über mich selbst erschrocken, dass ich einen so schlimmen Fehler gemacht habe.“

Aha, die Bürgermeisterin hat einen Fehler gemacht und nicht etwa zwei Straftaten begangen (Trunkenheitsfahrt, § 316 StGB und Fahrerflucht, § 142 StGB). Fehler können schließlich jedem „passieren“. Wer Fehler gemacht hat, kann in der Regel auf Nachsicht hoffen. Bei Straftaten trifft ihn „die ganze Härte unseres Rechtsstaates“.

Grenzen der Fehlerkultur

Wie man mit Fehlern umgeht, sagt uns die „Fehlerkultur“. Dabei geht es – sagt uns Wikipedia„um einen konstruktiven Umgang mit Fehlern: in der Schule um das Lernen aus Fehlern, in Unternehmen und Non-Profit-Organisationen um einen produktiven Umgang mit Fehlern und um das innovative Lernen. Das Spektrum optimalen Verhaltens reicht hier von der Fehlervermeidung bis hin zur Fehlerfreundlichkeit. Folglich erlangt der Begriff Fehlerkultur Bedeutung sowohl im Zusammenhang mit Qualitätsmanagement, Fehlermanagement, Risikomanagement, Ideenmanagement und Innovationsmanagement als auch in den Diskussionen um die Lernende Organisation“ (Wikipedia).

Fehler ist ein so genanntes Wieselwort (weasel word) mit einer gewaltigen Sprungweite. Wer jetzt denkt, es handele sich dabei um ein Wort, das so herumwieselt und deshalb nicht greifbar ist, hat zwar Phantasie, irrt aber trotzdem. Wiesel verfügen angeblich über die Eigenschaft, Eier so auszusaugen, dass man es diesen hinterher äußerlich nicht ansieht. Wiesel-Wörter sind also solche, die jedes Inhalts und jeder Bedeutung zu berauben sind.

Fehler mache ich in der Rechtschreibung, im Umgang mit anderen Menschen, beim Sport (Fehlstart), beim Musizieren (kann schon mal in die Nähe einer Körperverletzung kommen), bei den Tischmanieren, bei der Anrede eines Erzbischofs oder Kardinals (wer ist Exzellenz, wer Eminenz?), bei der Kindererziehung, bei der Pflege des Rasens in meinem Garten – kurzum: bei jeder Gelegenheit. Wenn ich aber jemanden erschlage, ist dies kein Fehler, sondern entweder Mord oder Totschlag. Dafür gibt es keine Fehlerkultur, sondern Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte. Wer seine Doktorarbeit abschreibt, begeht ein Plagiat und kann sich wegen Betruges und Verletzung von Urheberrechten strafbar gemacht haben (der Teufel steckt hier im Detail). Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble, Karl-Theodor zu Guttenberg, Annette Schavan, Margarita Mathiopoulos, Silvana Koch-Mehrin, sie alle haben „Fehler“ gemacht. Auch Merkel räumte Fehler in der Flüchtlingspolitik ein – allerdings keine eigenen, sondern von anderen. 

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Tim Weiskat / 16.11.2018

Neben dem Fehler gibt es auch noch andere schöne Worte um Straftaten zu bagatellisieren. Sehr schön zu beobachten in allen Leitmedien, die dieser Tage über die “Pannen” bei der hessischen Landtagswahl berichten. Die “Panne” ist die Steigerung des “Fehlers” - für sie muss man ja nicht einmal um Verzeihung bitten. Sie rückt die Straftat in die Nähe der höheren Gewalt. Unabwendbar. Gottgegeben.

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