Gastautor / 05.05.2019 / 10:00 / Foto: Pixabay / 7 / Seite ausdrucken

Europawahlen: Lassen Sie sich nicht von der Frisur täuschen!

Von Florian Willet.

Man hatte es ja schon früh als Kind erfahren, als man seine Eltern fragte, welcher von den Politikern, die sich der Öffentlichkeit präsentierten und um Zuspruch warben, denn nun der Beste wäre und warum, für wen sie denn stimmen und was sie glauben würden, wer gewählt werde. Und falls die Antworten auf die letzten beiden Fragen unterschiedlich ausfielen, wollte man wissen, wie das sein könne. Dann fragte man die Eltern, warum so viele Leute offenbar anderer Meinung wären als sie. Und so wurde einem vielleicht versucht zu erklären, dass eben nicht immer nur politische Inhalte entscheidend seien, wenn es um die Wählergunst gehe, sondern dass es auch Leute gäbe, die sich ihre Lieblingspolitiker nach deren „Krawattenfarbe“ aussuchten. Das sollte bedeuten, dass viele Menschen weniger auf Inhalte von Gesprochenem achten, als darauf, wie Gesprochenes präsentiert wird. Wie bei Produkten aus der Fernsehreklame.

Was man eigentlich vorher schon wusste, wurde 2002, mit dem ersten Bundeskanzlerkandidatenduell Deutschlands nach Vorbild US-amerikanischer Präsidentschaftskandidatenduelle, restlos evident. Amtsinhaber Gerhard Schröder und Herausforderer Edmund Stoiber traten einander als Vertreter der beiden großen deutschen Volksparteien live im Fernsehen gegenüber und lieferten sich ein Rededuell mit zeitlich gleichbemessenen Redeanteilen. Ein logikfokussierter Beobachter mag sich anschließend zunächst gefreut haben, falls seine Sympathien zuvor dem Herausforderer, aber geärgert haben, falls sie dem Amtsinhaber galten. Sofern er zur selben Auffassung gelangte wie mehrheitlich das Auditorium der Experten, die einhellig erklärten, dass sich die Waagschale der sachlich substantiierteren Argumente klar zugunsten des Herausforderers neigte. Inhaltliche Experten waren aber gar nicht so gefragt. Gefragter waren Rhetorik- und Körperspracheexperten. Also solche, denen ein drastischer Rückgang an Authentizität bei stark in der Öffentlichkeit stehenden Prominenten zu verdanken ist, weil sie als Berater darauf hinwirken, dass spontane, ehrliche und ungekünstelte Sekundärelemente strategischem Kommunikationsverhalten weichen.

Bereits wenige Minuten nach Ende des ersten Fernsehduells präsentierten fieberhaft arbeitende Demoskopen Zahlen darüber, welche Eindrücke und Schlussfolgerungen beim Fernsehpublikum überwogen. Im Verhältnis von zirka zwei zu eins überwog dort die Auffassung, dass der Amtsinhaber das Duell „gewonnen“ habe. Ein generelles Problem ist natürlich, dass Zuhörer und Zuschauer oftmals gar keine Kompetenz haben, um Gesprächsinhalte auf ihre Plausibilität hin einzuschätzen, sodass letztlich nur äußerliche Effekte wirken können. Aber auch intelligente und gebildete Personen sind nicht immer in streng rationalem Reflexionsmodus, sondern lassen sich gelegentlich auch einfach mal verführen. So brachte der Amtsinhaber Kriterien wie „Glaubwürdigkeit“ oder „Staatsmännischkeit“ in die Diskussion ein, die mit inhaltlicher Relevanz nicht zwingend zu tun haben.

Im weiteren Verlauf wurden die Ergebnisse eines entlarvenden Experiments bekannt. So hatte eine Probandengruppe die Fernsehbilder bei ausgeschaltetem Ton verfolgt, eine zweite nur den Ton gehört, ohne Bilder zu sehen, und zwei weitere hatten erst hinterher Abschriften des Gesprochenen gelesen, ohne Bilder oder Töne vernommen zu haben. Dabei wusste die dritte Gruppe, von welchem Kandidaten welche Wortbeiträge waren, die vierte aber selbst das nicht. Die Auswertung ergab, dass die erste Gruppe glasklar zum Amtsinhaber tendierte, die zweite noch etwas, die dritte hingegen schon deutlich und die vierte ganz eindeutig zum Herausforderer.

Die unbewusste Hebelkraft des Äußerlichen

Warum Stimme, Mimik, Körpersprache, Auftreten und Charisma so entscheidend sind, können Biopsychologen mit trockener Theorie erklären. Aber wer will denen schon zuhören?! Für Frauen sind diese Komponenten noch erheblich entscheidender als für Männer, da Frauen dazu neigen, sich ja auch ihre intimen Sex-, Liebes- und Lebenspartner eher nach Persönlichkeit auszusuchen als nach Charakter. Schon allein die Aussagen von Kindern auf Basis von Fotos darüber, wer von zwei Politikern bestimmt der bessere Anführer wäre, korrelieren erheblich mit tatsächlichen Wahlergebnissen. Sozialpsychologische Grundlagenforschung hält hier Berge an aufschlussreichen und teils bitteren Wahrheiten für den bereit, der glaubt, Teil einer hochrationalen Spezies zu sein. Dass schöne Schüler bessere Noten als hässliche bekommen, ist ein Aspekt. Werden Lehrern angebliche Intelligenzquotienten von Schülern mitgegeben, passen sie ihre spätere Notengebung daran an, egal, ob die genannten Zahlen stimmten oder nicht. Derlei ist als „Halo-“ oder „Rosenthaleffekt“ bekannt.

In einer Aufzählung von Politikertricks darf der klare Hinweis darauf, wie viel sich über eigentliche Nebensächlichkeiten, Äußerlichkeiten und Ablenkungsmanöver manipulieren lässt, jedenfalls nicht fehlen. Niemandes Urteilsbildung, also auch die eigene, ist gänzlich frei vom Einfluss solcher „Spezialeffekte“, die jemanden vordergründig für kompetent halten lassen, obwohl man ihn noch gar nicht erschöpfend und nachhaltig geprüft hat. Gegen Empfindungen intuitiver Sympathie ist ohnehin niemand gefeit. Inhalte mögen sich noch und nöcher diskutieren lassen, aber in äußerlichen Faktoren stecken unbewusste Hebelkräfte von gravierendem Ausmaß.

Spitzenpolitikern mag das in ihren Anfangszeiten noch nicht in vollem Umfang klar gewesen sein, als sie voller Idealismus auf Treffen und zu Stammtischen von Jugend- und Kreisparteiveranstaltungen gingen, um mitzudiskutieren. Aber irgendwann werden sie von Beratern beiseitegenommen und in diverse Manipulationsgeheimnisse eingeführt, wenngleich es letztlich offene Geheimnisse sind. Angela Merkel wird geradezu als Paradebeispiel angeführt, wenn es darum geht, wie sich beobachten lässt, dass Politiker ihren Kleidungsstil und ihre Frisur nicht sukzessive und graduell, sondern eher mit frappierender Plötzlichkeit verändern, gerade wenn sie sich erstmals in einem absoluten Spitzenamt wiederfinden.

Rhetorik ist noch mal ein Thema für sich. Rhetorik kann keine Fakten verändern, aber Menschen sind anfällig dafür, sich rhetorisch um den Finger wickeln zu lassen. Je rationaler und je mehr jemand mit wissenschaftlichen Methoden vertraut ist, desto besser kann er Fakten von Behauptungen unterscheiden. Aber um jene Wähler, die die Manipulationen nicht erkennen, wird konkurriert, denn auf ihre Urteilsbildung lässt sich einwirken. Wenn Stimmen gleich viel wert sind, lohnt es sich wesentlich mehr, um jene zu kämpfen, die einfacher zu bekommen sind.

Dies ist ein Auzug aus dem Buch: Mir nach, ich folge Euch! Wie uns die Parteien über den Tisch ziehen“ von Florian Willet, ISBN 978-3-96079-045-7, Broschur, 240 Seiten, 16,80 Euro (D), 2018, Münster: Solibro Verlag, hier bestellbar.

Dr. Florian Willet ist diplomierter Wirtschaftsjurist, Ökonom und Kommunikationspsychologe. Als Wissenschaftler befasst er sich mit Neuropsychologie und Verhaltensökonomie. Er ist fächerübergreifender Experte für verzerrte Meinungs- und Urteilsbildung. Sein Buch „Der Soziale Schwan“ ist ein Meilenstein Evolutionärer Verhaltensökonomie und Neuroanthropologie. Willet ist Mitglied des Netzwerks „Mensa in Deutschland e.V.“ für intellektuell Hochbegabte.

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Karla Kuhn / 05.05.2019

Deshalb werden bei Krimis als Täter meistens die unsympathischen Typen genommen, Dabei sind es oft die “Herren mit der weißen Weste” (Gangster im Nadelstreifen), die den meisten Dreck am Stecken haben. ” Wie sagte meine kluge Mutter immer ? “Nach außen hiu, nach innen pfui.” WER nachdenkt, läßt sich nicht täuschen.

P.Steigert / 05.05.2019

Ich frage mich ja, warum viele der bekanntesten Politiker heute so aussehen wie die RAF-Terroristinnen auf den Fahndungsplakaten der 70er/80er oder was fremde Orientalen in der deutschen Politik treiben.

Gudrun Meyer / 05.05.2019

Dass Merkel nach wie vor Kanzlerin ist, liegt nicht an ihren Schlagworten und auch nur wenig an ihrer eigenen nonverbalen Kommunikation. So überwältigend ist die ja nicht. Aber Merkel wird von einem politmedialen Komplex getragen, der zum Teil über glänzende, schauspielerische Fähigkeiten verfügt. Andere Politiker, die Merkels Herrschaft absichern, scheinen zum Teil dumm genug zu sein, um selbst an den Quatsch zu glauben, den sie uns jedesmal als die beste Idee seit der Entstehung der polit. Begleitpropaganda andrehen wollen. C. Roth und KGE treten auch deshalb überzeugend auf, weil der Bruch zwischen dem Schwachsinn, den sie denken und dem, den sie aussprechen, sich in Grenzen hält. Es gibt ein hochinteressantes CDU-Wahlplakat von 1949, auf dem Adenauer aussieht wie ein alter, aber hungriger Hai. Offenbar spielte die Manipulation via sympathisches Auftreten damals noch keine zentrale Rolle - oder die Wähler hatten genug von Goebbels´ Fähigkeiten und Methoden hinter sich, um eben nicht mehr auf irgendeine nonverbale Politikeraussage hereinzufallen. Gerade, dass das Plakat keinen glattgebügelten Adenauer darstellt, könnte gewirkt haben. Viele von uns fallen spätestens seit der Chemnitzer Desinformationsorgie nicht mehr auf die Fernsehsender und die Presse herein. Vielleicht war es nach 1945 ganz ähnlich, wenn es um öffentliche Auftritte und Reden von Politikern ging. Allgemein dürften viele Menschen nach einer totalitären Erfahrung klüger sein als vorher. Heute kann das nicht mehr wirken, einfach, weil es zu lange her ist.

Rolf Menzen / 05.05.2019

Da hatte Trump wohl die bessere Körpersprache. Wie Merkel an ihren Job gekommen ist bleibt nach dieser Analyse trotzdem ein Mysterium.

Frank Stricker / 05.05.2019

Ich hab noch vom Duell zwischen Schröder und Stoiber den legendären Satz von Schröder im Ohr , “Herr Stoiber , wollen wir jetzt ernsthaft über Freising sprechen ? “. Damit war das Duell praktisch gelaufen , Stoiber der Provinzpolitiker und Schröder der Visionär fürs große und ganze . Stoiber konnte halt nicht aus seiner Haut und Schröder konnte seine joviale Art des weltmännischen voll ausspielen.

Volker Derouaux / 05.05.2019

Vielen Dank für diesen erhellenden Beitrag aus dem ich das eine oder andere dazulernte. Bitte ruhig öfter veröffentlichen. Gruß Volker Derouaux

Immo Sennewald / 05.05.2019

Florian Willet fasst gut zusammen, was heute über die Wirkungen der nonverbalen Kommunikation eigentlich jeder wissen könnte, so er es wollte. Siegfried Frey hat Ende der 90er Jahre in seinem Buch “Die Macht der Bilder” dazu erhellende Forschungsergebnisse veröffentlicht, ich habe mehrere Filmbeiträge in Wissenschaftsmagazinen der ÖRR produziert, 2006 erschien “Der menschliche Kosmos”. Phänomene wie die von Willet beschriebenen werden darin bis ins Alltägliche beobachtet, aber natürlich auch ihre politischen Folgen. Massen zu manipulieren ist inzwischen das Geschäft aller möglichen Organisationen und Unternehmen, ob Regierungen, NGO oder Wirtschaft die Ziele vorgeben. Jede Form von Aufklärung hinkt verzweifelt den natürlichen Impulsen - insbesondere Herdenimpulsen - hinterher. Das liegt auch daran, dass schon Strukturen und Strategien der meisten Sozialgebilde auf der “Biopsychologie” gründen. So kommen sie zur Welt - und so gehen sie früher oder später unter.

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