Donald Trump ist nicht besonders firm in Geographie und Geschichte Europas. Sonst würde er seinen transatlantischen Kritikern aus gegebenem Anlaß wohl zurufen: „Take it easy, folks, ein Chamberlain in hundert Jahren ist genug." Das Wiener Atomabkommen zwischen der Islamischen Republik Iran einerseits und den UN-Vetomächten sowie Deutschland (5+1) andererseits ist für ihn ein Wolkenkuckucksvertrag, so wie jener, den Hitler 1938 im Münchner Führerbau mit den anglofranzösischen Peacemakern um Neville Chamberlain abgeschlossen hat.
Der iranische Vizepräsident Ali Akbar Salehi hat Trumps Bedenken vorige Woche ungewollt bestätigt. In nur fünf Tagen, so drohte er, könnten Irans Atomtechniker Uran auf 20 Prozent anreichern. Von da ist es dann nicht mehr weit bis zur Bombe. Wenn also der Reaktor in Bushehr am Persischen Golf wirklich in weniger als einer Woche den Rohstoff herstellen kann, der zum Bau einer Bombe benötigt wird, dann hat Trump recht. Dann haben die westlichen Signataren den Vertrag tatsächlich infantil zusammengestümpert. Was den US-Präsidenten treibt, das ist nicht "irrationaler Hass", wie der "New Yorker" meint, sondern nüchternes Kalkül.
Der Wiener Vertrag vom Juli 2015 gilt für zehn Jahre. Ursprünglich waren 25, dann 15 Jahre vereinbart worden. Nach Ablauf der Frist kann der Iran wieder nach Belieben Uran anreichern, auch zu militärischen Zwecken. In der Galmudug-Region im afrikanischen Chaosstaat Somalia schürfen iranische Digger in improvisierten Gruben Uranerz. Das meldete "Fox News" kürzlich aus der Hauptstadt Mogadischu. Der Rohstoff, den sie fördern, wird in Bushehr verarbeitet.
Weil von Trägerwaffen im Vertragswerk nichts drin steht, arbeiten iranische Techniker mit Hochdruck an der Entwicklung von Mittelstreckenraketen. Dabei, so sagte Präsident Hassan Rohani, werde man auch niemanden um Erlaubnis fragen. Bei einem Testschuß brachte es eine Chorramshar-Rakete, die mehrere Sprengköpfe tragen kann, im September auf 2.000 Kilometer Reichweite. Das ist die Distanz zwischen Täbris und Athen.
Suche A-Bombe, zahle bar
Mohamed Ali Dschafari, der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden, tönte Anfang Oktober, er werde amerikanische Luftstützpunkte in Nahost angreifen, wenn Washington den Vertrag platzen lasse Die nächstgelegenen US-Basen sind nur 500 Kilometer von der iranischen Grenze entfernt.
Henry Kissinger, der 94jährige Altvater der amerikanischen Außenpolitik, hat gesagt: „Die größte Gefahr für den Nahen Osten ist ein imperialistischer und dschihadistischer Iran.“ Kissingers Analysen stimmten nicht immer, wohl aber seine langfristigen Prognosen zur Weltpolitik .
Kongreßabgeordnete aus der republikanischen Falkenfraktion sehen auch die Gefahr, dass die Iraner eine Flugzeugladung Dollarnoten, die ihnen Expräsident Barack Obama Anfang 2016 schickte, für den Kauf einer Bombe in Nordkorea verwenden könnten. Pjöngjang hat den Iranern früher schon beim Raketenbau geholfen. Warum das viele Bargeld? Und wenn der Verdacht stimmt, wozu dann noch der 5+1-Deal?
Die ewigen Trump-Basher haben wieder Knüppel frei. In der Vorwoche hatten sie sich mangels besserer Inhalte mit Berichten über First Lady Melania behelfen müssen, die Ärgernis in Washington erregt hatte, weil ihr BH durch den Pullover schimmerte. Die Absage an den Iran-Kontrakt lieferte nun wieder handfesteren Schimpfstoff. Die Leitmedien prügeln unreflektiert drauf los. Die “Zeit": "Stoppt Trump!". Die linke „Frankfurter Rundschau": "Der Sieger heißt Iran“. Der "Spiegel" betete in einer Schlagzeile: "Hoffentlich scheitert Trump". Zu Trumps Motivation erläuterte "Spiegel online", er wolle doch nur den Wählern in Texas und Tennessee gefallen. So sind sie eben, die plattköpfigen New Yorker Geldmagnaten.
Den Kettenhund streicheln
Die zwei Mustereuropäer Emmanuel Macron und Angela Merkel glauben, dass ein Kettenhund nicht beißt, wenn man ihn streichelt. Sie haben versucht, Trump telefonisch umzustimmen. Merkel machte sogar den einfältigen Vorschlag, den Iran-Vertrag als Blaupause für einen Ausgleich mit Nordkorea zu nutzen. Ihr Außenminister Sigmar Gabriel bekräftigte, Europa werde alles daran setzen, "dass die USA sich an das Abkommen halten". Anderenfalls, so wird in Paris und Berlin argumentiert, sei zu befürchten, dass die "gemäßigte" Regierung in Teheran in die Bredouille gerate.
Gemäßigt? Radikaler als es jetzt schon ist, kann das Mullah-Regime nicht werden. Es lässt laut "Amnesty International" jeden Tag drei Menschen hinrichten, gelegentlich auch durch Steinigung. Wichtiger noch: Es ist der schlimmste Zündler im Nahen und Mittleren Osten. Noch Mitte Februar rief Religionsführer und Staatsoberhaupt Ali Chamenei auf der Internationalen Intifada-Konferenz in Teheran die Delegierten dazu auf, Israel auszuradieren. Das "Krebsgeschwür" müsse endlich ausgemerzt werden.
Mit so einem würde Donald Trump nicht mal eine Runde Golf spielen, obwohl er dabei sonst nicht wählerisch ist. Der Kampf zwischen der freien Welt und dem Islamismus, den er in Chamenei verkörpert sieht, ist für ihn wie der Kampf von Gut gegen Böse.
In Afghanistan kollaborieren iranische "Revolutionswächter" mit den Taliban-Guerillas, im Libanon mit der Hisbollah, im Gazastreifen mit der Hamas. Im Jemen helfen sie den schiitischen Huthi-Rebellen mit Waffenlieferungen gegen die Zentralregierung in Sanaa. In der Türkei hat sich der Iran mit dem Kriegsherrn Recep Tayyip Erdogan gegen die aufständischen Kurden verbündet. In Syrien unterstützt er Diktator Baschar el-Assad mit Geld und Söldnern gegen die Rebellen. Im Irak will er das labile Bagdader Regime unterbuttern und zur iranische Marionette deklassieren. Er bietet auch Al-Qaida-Terroristen, die aus Afghanistan geflüchtet sind, im Osten des Landes Unterschlupf.
Rohani und Putin sind ziemlich beste Freunde
Zur Zeit ganz ungestört ist das Verhältnis zwischen Teheran und Moskau. Präsident Hassan Rohani und Wladimir Putin sind ziemlich beste Freunde. Die Beteiligung am Ausbau von Bushehr bringt den Russen Milliardengewinne. Kein Wunder, dass die nukleare Kooperation des Kremls mit dem Brandstifterstaat vor allem Israel Sorgen macht. Premier Benjamin Netanjahu nennt das Abkommen von Wien einen "Fehler historischen Ausmaßes".
Der israelische Energieminister Juval Steinitz hat die Bedingungen definiert, die Teheran erfüllen müßte, um alle Bedenken im Westen auszuräumen. Er fordert den vollständigen Stopp der Forschung und Entwicklung einer neuen Generation von Zentrifugen und die Schließung der Urananreicherungsanlage Fordo. Internationale Inspekteure müßten jederzeit und überall Zugang zu allen Anlagen haben.
Auch Trump sieht es so, obwohl ihn die Details wohl nicht so sehr interessieren. Wenn der Vertrag im Sinne von Steinitz nachgebessert wird, will er eventuell sogar auf die Annullierung verzichten.
Juval Steinitz läßt nur etwas Wichtiges unerwähnt: In israelischen Bunkern lagert eine große Menge von Atomsprengköpfen, was Jerusalem beharrlich, aber nicht glaubwürdig bestreitet. Netanjahu könnte zum Zeichen des guten Willens einen Teil davon abbauen. Nicht ausgeschlossen, dass ein solcher Schritt dazu beitragen würde, Dampf aus dem nahöstlichen Hexenkessel abzulassen, ohne dass Israel sein Nuklearmonopol verlöre.
Allerdings wirklich auch nur einen Teil. Der frühere US-Außenminister Colin Powell hat vor zwei Jahren in einer Mail an einen Freund, die von russischen Hackern abgefangen wurde, geschrieben, „die Jungs in Teheran“ würden, selbst wenn ihnen der Bau einer Bombe gelänge, diese niemals einsetzen. „Sie wissen, dass Israel 200 Stück davon hat und dass sie alle auf Teheran gerichtet sind.“ Das sollte zur Abschreckung reichen. Es würde aber auch reichen, wenn es nur 20 wären.