Thilo Sarrazin hätte seine Bücher in einer anderen Reihenfolge schreiben sollen. Wenn man ein Haus bauen will, muss man mit dem Fundament beginnen. Was aber auch nur gelingt, wenn es auf sicherem Boden steht. Wehe, wenn sich hinterher herausstellt, dass dem nicht so war. Dann war alles umsonst. Beim heutigen, öffentlich bekannten Stand der Kunst ist die Unsicherheit mit Sicherheit der beste Denkansatz. Diskussionen sind per se der schönste Nachweis vorhandener Unsicherheit (wozu diskutiert man, wenn alles klar wäre?). Seltsamerweise enden sie oft im Streit, was im Konsens über die Unsicherheit überflüssig wäre. Streitkultur ist die veredelte Offenbarung einer Fehlentwicklung. Man kann eine Diskussion auch in Unsicherheit beenden. Man muss nicht „gesiegt“ haben. Wird trotzdem so gemacht. Überall muss eine Jury sein oder wenigstens Umfragen, eine Hitparade, Bestsellerliste, beim Sport die Tabellen, womit BEWERTUNGEN zum Ausdruck kommen. Überall muss ein Sieger her. Verlierer ergeben sich daraus folgerichtig. Spaltung in gut und schlecht (auch eine Bewertung!). Das nach der jeweiligen Werteskala Schlechte wird nicht etwa hochgezogen sondern ausgemerzt. The Winner Takes It All. So ist sie dann schon, unsere Kultur. ■ Das ist nicht überall auf der Welt so. Aber wenn „wir“ mit unserer Optik draufschauen, dann suchen wir auch dort nur diesen Aspekt, weshalb wir auch nur diesen finden, und BEWERTEN es natürlich nach unseren Maßstäben. Alles andere kommt „uns“ unverständlich vor, vielleicht als sinnlose Tradition oder Aberglauben und auf jeden Fall rückständig. Dann fühlen „wir“ uns gleich wieder besser, weil es uns auf der eigenen Vergleichsskala gut aussehen lässt. Unsere Bewertungssucht arbeitet überall. Wer gleich einem König oben ist, hat das Recht, über andere zu bestimmen. Oder? Das Unheil fängt an, wenn sich so jemand oder so eine Gruppe oder Volk aufgrund der eigenen Skala für etwas Besseres hält.
“Vernunft und ihre Feinde” - Thomas Seethaler, ein Aufruf zur Entproblematisierung der Vernunft?
@S. Wietzke >>“Objektivtät” ist der falsche Begriff. Wissenschaft liefert keine objektiven Wahrheiten, sondern falsifizierbare Aussagen. Wobei diese Eigenschaft klar definiert ist.<< Das Streben nach Objektivität und der zutreffenden Erkenntnis (Wahrheit) ist für die Wissenschaft konstitutiv. Natürlich kann dieses Ideal nur näherungsweise erreicht werden. Darum ist nach Poppers Wissenschaftstheorie die Falsifizierbarkeit spezifischer Aussagen das Kernkriterium. Abgesehen davon, dass in der Populärwissenschaft dies nicht Beachtung findet, sieht man in vielen wissenschaftlichen Arbeiten damit Probleme, z.B. Deszendeztheorie oder Mehrdimensionalität. Zuweilen wird die Forderung nach Falsifizierbarkeit - die übrigens nicht klar definiert ist - auch abgelehnt.
@S. Wietzke : »Religiöse Aussagen, genau wie “Werte”, beruhen dagegen immer auf axiomatischen Setzungen, also unbegründbaren und letztlich willkürlichen Behauptungen. Auch wenn das gerne durch gewaltige Begründungsberge (Theologie) verschleiert wird.« Scheinen einem positivistischen Irrtum zu verfallen. Werte oder der Glaube an Gott mag im strengen Sinne keine Letztbegründung haben, aber die hat auch ihre Wahrnehmung nicht. Die Kohärenztheorie der Wahrheit benötigt keine Letztbegründung, sondern lediglich eine Widerspruchsfreiheit zwischen allen bekannten wahren Sätzen. Da wird nichts verschleiert und auch nichts ist willkürlich.
@Michael Fasse Ich freue mich stets über Ihre Kommentare und lese sie mit großem Interesse. Danke
@jan blank: “Und es hat natürlich auch etwas erfrischend Sarkastisches, wenn man feststellt, dass in genau dem Maße, wie Putin das Gas versiegen lässt, nun die Realität hereinströmt…” Made my evening! Auch wenn die Unabwendbarkeit der Erkenntnis, dass ich Teil dieser Realität bin, nicht in meinem Interesse ist.
“Ist objektive Erkenntnis überhaupt möglich, wenn doch die Fragen, die man stellt, und das Erkenntnisinteresse, das man hat, subjektiv geprägt sind? Der menschliche Erkenntnisprozess vollzieht sich so, dass der Mensch dort, wo er nicht rein instinktiv handelt, Hypothesen über den ihn gerade interessierenden Ausschnitt der Welt aufstellt. (...)”—- Große Wörter klingen tief, wenn man ein schlechtes Philosophenohr hat. Weber soll ja an einem Schnupfenvirus zugrunde gegangen sein. Sowas hat Hand und Fuß!
Die Vernunft und ihre Feinde: Angst,Dummheit,Gier,Glauben,Geiz,Ideologien,Irrtum,Kritik,Unwissen…usw.“ verhalten sich wie das Paretoprinzip: 20% positive Vernunft und 80% negative Feinde. Nehmen wir das Mittelalter und die Inquisition.80% hatten Angst in ihrem Glauben vor Verfolgung und schickten ihren Nachbarn in die Folterkeller ihrer gemeinsamen Peiniger. 3.Reich: gleich mehrere Feinde, die jüdische Geschäfte beschmierten und nach 45 unwissend waren, wohin ihre jüdischen Nachbarn hingezogen waren. Nach 45 sind 80% der Richter, Staatsanwälte. Lehrer, Polizeichefs und andere Beamte die noch kurz zuvor die Dateikarten von Zahngold und co. erstellten, wieder in Amt und Würden . Neuzeit: in Wissenschaft und Forschung gibt es zu 80% Ergebnisse, die der gierige Geldgeber des Forschungsobjektes erwünscht….Contercan,mRnA-Impfstoffe…Klima…usw, wären vielleicht Beispiele. USA legten Bombenteppiche über Jugoslawien, Iran. Irak und Libyen. 80% fanden es in Ordnung, 20% sind Ami-Hasser, weil sie gewagt haben zu denken. Oder heutige Medien….80% schauen die Tagesschau und 20% d…. selbst. „Dem konkreten menschlichen Wertgerüst misst Weber keine Dauer zu. Es ist historisch wandelbar und wird sich auch in Zukunft wandeln.“ Damit hat Weber meiner Meinung nach Recht. Aber auch meine Meinung kann durch meine Betrachtungsweise und die Einflüsse, die diese Meinung entstehen ließen, entsprechend manipuliert sein.
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