Im Satzbaukasten der allgemein akzeptierten politischen Wahrheiten haben „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ und „Wir brauchen mehr Integration“ schon seit vielen, vielen Jahren einen festen Platz. Dass einmal ein Bundeskanzler Helmut Kohl erklärt hat, Deutschland sei kein Einwanderungsland, scheint in eine lange vergangene Epoche zu gehören, so unvorstellbar ist dies heutzutage. Selbst die meisten Vertreter der als „rechtspopulistisch“ geschmähten AfD würden diesen Satz so niemals sagen.
Eine Regelung aus der Zeit, da die meisten Ausländer noch als „Gastarbeiter“ gesehen wurden, deren Kinder man auf die spätere Heimkehr ins Herkunftsland der Eltern vorbereiten müsse, gilt bis heute. Und die führt bizarrerweise dazu, dass gerade jetzt immer mehr Lehrer vom türkischen Staat an deutsche Schulen entsandt werden.
„Präsident Erdogan sitzt in unseren Klassenzimmern“, befürchtet Heini Schmitt, Vorsitzender von dbb beamtenbund und tarifunion Hessen (dbb Hessen): „Wir halten es für sehr bedenklich, dass der herkunftssprachliche Unterricht an hessischen Schulen durch Konsulatslehrkräfte durchgeführt wird“. Lehrer Schmitt kritisiert eine Schulpraxis, die sich an einer jahrzehntealten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über die Kinder von „Wanderarbeitnehmern“ orientiert. Damit diese sich nicht der Sprache und Kultur des Herkunftslandes der Eltern entfremden, sollten vom jeweiligen Konsulat bestimmte Lehrkräfte an den Schulen “herkunftssprachlichen Unterricht“ geben. Es ging mithin um das genaue Gegenteil von Integration.
Die Türkei nutzt das alte Instrument des Konsularunterrichts zur Indoktrination
Doch in etlichen deutschen Bundesländern wird dieser Konsulatsunterricht immer noch gefördert. Teils finanziell, teils „nur“ durch das Angebot, Gebäude und Infrastruktur der deutschen staatlichen Schulen zu nutzen. Für die türkische Regierung ist jeder Nachkomme eines Auswanderers, egal in welcher Generation, zuallererst Türke. Vor allem seit der Machtübernahme durch Recep Tayyip Erdogan nutzt der Staat das alte Instrument des Konsularunterrichts zur Indoktrination des deutsch-türkischen Nachwuchses an deutschen Schulen gern.
In Hamburg sind die türkischen Staatslehrer an 60 Schulen aktiv und unterrichten derzeit etwa 900 Kinder. In Berlin weiß die Schulbehörde nicht einmal genau, wie viele türkischstämmige Schüler die Propaganda-Lektionen aus Ankara in deutschen Klassenzimmern lernen. Immerhin wissen die Berliner Bildungsbeamten, dass die „Konsulatslehrer“ an 150 Schulen in der Hauptstadt unterrichten. Damit ist ihre Zahl in den letzten neun Jahren um 50 Prozent gestiegen.
Auch in Hessen steigt ihre Zahl, wenn auch nicht so rasant, wie in Berlin. Heini Schmitt vom dbb Hessen weiß von 60 Lehrern, die – von der türkischen Regierung besoldet – an hiesigen Schulen Kinder im Sinne eines stolzen islamischen Türkentums unterrichten, obwohl sie hier doch eigentlich zu freiheitsliebenden deutschen Staatsbürgern erzogen werden sollten.
Schmitt beklagt, dass niemand an den betroffenen deutschen Schulen irgendeinen Einfluss darauf hat, was die türkischen „Kollegen“ da mit den Kindern treiben: „Diese unterstehen als Beschäftigte des Konsulats der türkischen Regierung.“ Eine Kontrolle der Lehrkräfte durch die Schulaufsicht finde de facto nicht statt. „Das liegt an der nicht gegebenen Dienstvorgesetztenrolle und der Unkenntnis der anderen Sprache. Somit kann eigentlich niemand genau wissen, was da im Unterricht vermittelt wird.“
Das darf an der Schule eigentlich nicht geduldet werden. „Der Unterricht muss von Lehrkräften mit erster und zweiter Staatsprüfung im Dienst des Landes Hessen gegeben werden“, sind sich Heini Schmitt und die Vorsitzenden des Gesamtverbandes der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen (glb) , des Hessischen Philologenverbandes (HPhV), des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) und des Verbandes der Lehrer (VDL) einig.
Doch diese Einigkeit nutzt nichts, wenn der Umstand, dass hier zwar Integration proklamiert, aber de facto Segregation gefördert wird, im politischen Raum und in der allgemeinen Debatte zumeist ängstlich beschwiegen wird. Dabei ist das Urteil derer, die auch sprachlich erfassen können, was da geschieht, recht klar: „Der Konsulatsunterricht konterkariert alles, was die Schulen machen“, erklärte der deutsch-türkische Politologe und langjährige Berliner Schulpsychologe Ali Uçar dem Tagesspiegel.
Doch die Nutznießer dieser Propaganda-Lektionen müssen dennoch keinen lauten Protest fürchten, denn außerhalb der Deutschtürken und der betroffenen Grundschulen ist der „herkunftssprachliche Unterricht“ trotz seines gegenwärtigen Aufschwungs längst in Vergessenheit geraten. Der Tagesspiegel schreibt, dass selbst der Berliner Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Tom Erdmann, „noch nie davon gehört hatte“.
Wer Integration ernst meint, müsste nun darauf bestehen, dass es an einer deutschen Schule keinen Extra-Unterricht nach ethnischen Grenzen geben darf. Das hieße, man dürfte keinen explizit herkunftssprachlichen Unterricht, der sich nur an die Muttersprachler richtet, mehr zulassen. Der neue rot-rot-grüne Senat von Berlin will allerdings andere Wege gehen. Statt herkunftssprachlichen Unterricht vom Konsulat, soll es mehr herkunftssprachlichen Unterricht vom Land Berlin geben. Die Förderung der Segregation würde also anstelle des türkischen Staates künftig die deutsche Bildungsbürokratie übernehmen. Wie schön. Offenbar finden die Wohlgesinnten die Förderung türkischer oder arabischer Parallelwelten grundsätzlich schon ganz in Ordnung.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Peter Grimms Blog Sichtplatz hier.