Haben Sie sich je gefragt, wie es Angela Merkel schaffen konnte, Bundeskanzlerin zu werden? Oder, kurz vor dem gnadenlosesten Osterlockdown seit der Erfindung der Wiederauferstehung, hierfür die Zustimmung der Ministerpräsidenten in der Miniprätafelrunde zu kriegen? Oder warum Bodo Betonkopf während der Miniprärunden Candy-Crush spielt? Hier finden Sie die Antwort!
Ich hatte das Pech, während einer 20-minütigen Autofahrt direkt und mitten ins Mett in die Pressekonferenz der Kanzlerin zu den Impfbeschlüssen zu geraten. Insgesamt 8 Minuten referierte Angela Merkel. Weil mir niemand so viel bezahlen kann, die ganze Rede aufzuschreiben, finden Sie hier das Wortprotokoll der ersten Minute:
„Ja, meine Damen´n´Herrn, wir ham heute eine Ministerpräsidentenkonferenz gehabt, die sich, äh, ausschließlich mit dem Thema des Impfens und, äh, des, der Behandlung auch der Geimpften und Genesenen, äh, befasst hat und, äh, der Bundesgesundheitsminister hat uns informiert über den Stand des Impfens, indem er uns ein´n Bericht gegeben hat und nochmal darauf hingewiesen hat, dass wir doch jetzt, öhm, im zweiten Quartal deutlich Tempo gewonnen haben, was das Impfen anbelangt, während wir im ganzen ersten Quartal 10% der Bevölkerung nur impfen konnten, so, öhm, sind es jetzt in den ersten drei Wochen des April bereits nochmal 10% gewesen und die Dinge werden sich also deutlich, ehm, beschleunigen.“ – das waren genau 1:05 Minuten.
Die anderen sieben Minuten dieses rhetorischen Feuerwerks finden Sie beispielsweise hier. Ich bin ob der brillanten Ausdrucksweise, der der Trajan-Säule würdigen Lebendigkeit und Stimmmodulation anscheinend bei Minute Drei eingeschlafen, denn bei 3:05 fuhr ich über den Bordstein der Ausfallstraße, wurde wach und zog mir den Vortrag der lebhaftesten Kanzlerin aller Zeiten dann bis zum Ende rein. Ohne zwar direkt einzuschlafen, aber doch schon in einem katatonischen Zustand, aus dem mich gelegentlich die diversen Fahrassistenten des Renault rissen.
Und jetzt, liebe Lesende, stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sitzen um 20.00 Uhr in der Online-Konferenz der Miniprärunde. Sie haben seit heute Morgen um 9.00 Uhr (oder, wenn Sie reagierender Bürgergeselle von Berlin sind, 14.00 Uhr) gearbeitet, kurz unterbrochen von einem hastigen Mittagessen in der Landtagskantine (die haben alle noch offen, Corona gibt’s da nicht), und hören der Kanzlerin zu. Nicht acht Minuten, nicht achtzig Minuten – nein, volle drei bis vier Stunden haben Sie endlose Kettensätze mit vielen Öhms und Ähs, jeder Menge Kommata und das in einem monotonen Singsang, der tibetanische Gebetsmühlen zu einem Feuerwerk der Abwechslung macht.
Mitternacht ist längst vorüber
Ja, da sitzen Sie doch da, den Kopf leicht im Nacken, die Augen halb geschlossen, während es aus den Lautsprechern Ihres Notebooks dahinplätschert:
„Ich weise in aller Deutlichkeit, und das, öhm, haben wir auf der letzten Minis… Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnenkonferenz, öhm, beschlossen, da fände ich es jetzt nicht gut, wenn da jetzt jemand von Euch ausschert, darauf, öhm, hin, dass wir hier jetzt einen einheits… einen einheitlichen, öhm, Weg für Geimpfte, noch zu Impfende oder auch zum zweiten Mal Geimpfte und Genesende, wie es auch der, öhm, Gesundheitsministerin Jens Spahn…“
...und Sie fragen sich ganz tief in Ihrem Inneren, ob es das war, was Sie als „gestalten“ verstanden haben, als Sie sich für die diversen Ämter auf dem Weg zum Ministerpräsidenten beworben haben. Während Ihr Leben an Ihnen vorbeizieht.
Mitternacht ist längst vorüber. Ihre Mitministerpräsidentenden sitzen ebenso wie Sie mit offenen Hemden, gelockerten Krawatten, flatternden Augenlidern und Brillen auf „halb acht“ vor dem Bildschirm, in dem in der Mitte die Kanzlerin ausführt,
„…dass wir das, öhm, wirksam nur virusbekämpfen, indem wir, noch vor Ostern, am besten bereits am Düngronnerstag, in allen, öhm, Lundesbändern einen, öhm, einheitswirksamen, öh, einheitswirksame Schließung aller Unternehmensbetriebe des, öhm, Eizellhandels …“
Unter uns! Springen Sie da als Ministerpräsident nicht irgendwann auf und brüllen: „JA, HERRGOTT NOCHMAL! JA! MACH! MACH, WAS DU WILLST, ABER BEENDE DAS JETZT HIER! ICH KANN NICHT MEHR! ICH WILL NICHT MEHR! ICH MAG NICHT MEHR!“
Also, ich wäre so, ich kann das zugeben. Allerdings würde ich dann den geheimen Plan schmieden, diese Kanzlerin zu entmachten. Einfach nur aus Rache. Damit ich nachts gut schlafen kann. Ich glaube tatsächlich, Angela Merkel hat sich in der Union bis ganz nach oben gelangweilt. Irgendwann waren in den Orts-, Kreis, Regional-, Landes- und Bundesverbänden die Abstimmungsberechtigten derart weichgekocht, dass sie einfach die Hand hoben, um das Elend zu beenden und nach Hause zu kommen. Und, was wirklich ganz erstaunlich ist, Angela Merkel hat es nicht nur geschafft, Freund und Feind ins Wachkoma zu quatschen – nein, selbst mit der wenigstens Hälfte des ganzen Landes ist ihr das ebenfalls gelungen. Deswegen geht Merkel auch immer nur allein zu Anne Will. Gegen diesen rhetorischen Betonklotz ist kein Sprachunkraut gewachsen.
(Weitere kilometerlange Sätze des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.