Thilo Schneider / 23.04.2023 / 16:00 / Foto: Timo Raab / 17 / Seite ausdrucken

Der Erfolgscoach

Wie ich es hasse: Da will ich als YouTube-Nutzer ganz unschuldig Musik hören oder eine Doku sehen und werde erst mal ungefragt minutenlang von windigen Typen mit irgendwelchen Ratschlägen zugetextet.

Da willst du auf YouTube einfach nur ein Lied hören oder Wissenswertes über die Schlacht von Lützen erfahren oder warum Wallenstein Kennedy erschossen hat, aber vorher ploppt eine Werbung auf. Irgendein bebrillter Mensch, den ich nie zuvor gesehen habe und den ich auch nie zu sehen wünschte, brüllt mich aus dem Handy an: „Du fragst dich sicher, wie du mehr Kunden gewinnen kannst!“ Nein, das frag ich mich nicht, ich bin mit meinen Kunden und meiner Arbeitsauslastung und meiner Work-Life-Balance vollkommen zufrieden. Es reicht zu lecker Essen, ein paar Ausflügen, und dass mein Helikopterlandeplatz noch nicht fertig betoniert ist, liegt an einer unbarmherzigen Bauaufsichtsbehörde, die der Meinung ist, die hier arbeitenden Bulgaren sollten lieber sozialversichert sein. 

Das hindert den Blödmann aber nicht, weiterzuquatschen. Ich schiele auf den Balken rechts unten. Eine satte Minute hat der Löffel bei YouTube gebucht, um mich von seiner grauslichen „Dienstleistung“ zu überzeugen. Wallenstein muss warten. Dafür wedelt er jetzt „rein zufällig“ mit einer augenscheinlich teuren Eduscho-Uhr: „Ich kann dir sagen, wie du an noch mehr Kunden kommst, wenn du mein KOSTENLOSES Seminar „Wie du an noch mehr Kunden kommst“ besuchst. Außerdem erhältst du – kein Scheiß – mein Buch „Wie du an NOCH VIELMEHR Kunden kommst“ hier und heute und exklusiv, wenn du auf den Link klickst, ebenfalls KOSTENLOS als PDF-Download. Vergiss teure Seminare, in denen dir windige Blödmänner mehrere tausend Euro aus den Rippen leiern, um dir unsinniges Zeug zu erzählen. Wer wirklich erfolgreich ist, der teilt sein Wissen KOSTENLOS mit seinen Mitmenschen. Der hat es nicht nötig, dir Seminare für 1.000, 2.000, 3.000 Euro aufzuschwatzen, der MACHT einfach!“

Naja, das klingt ja schon mal nicht schlecht. Ein Altruist mit einer Eduscho-Uhr, der jetzt vor seinem Porsche steht. „Wir sind so erzogen, dass Qualität Geld kosten musst“, eröffnet mir der dämliche Brillenheini, der es ja augenscheinlich zu einem geleasten oder geliehenen Cayenne und einer Eduscho-Uhr gebracht hat, „aber das ist eine LÜGÄ! Qualität kommt von Quälen!“ Das stimmt nicht so ganz richtig (ebenso wie dieser Satz), was ich trotz meines Lateinfünfers erkenne, aber jetzt hat er mich. Ich will auch eine Eduscho-Uhr und einen Cayenne. Als Zweitwagen für den Schatz und als Zweituhr für mich. Ich meine, immerhin bin ich ja auch Autor, und wie allseits bekannt ist, regnet es für uns jetzt nicht so viel Geld, wenn wir nicht gerade Stokowski oder Lobo heißen oder vom ÖRR abgeschmiert werden. Ich mach das ja auch nur, damit ich beim Aldi keine Regale einräumen muss, weil ich dann abends Rückenschmerzen hätte und so, an der Tastatur, trage ich nicht so schwer. Sehe ich von der Rolex-Submariner ab. Man muss da schon bei der Wahrheit bleiben. Zumal mein sehr wichtiges Buch wie Senkblei in den Regalen liegt.

„Erfolg kommt von ERFOLGEN“, belehrt mich der Sprachwissenschaftler

Der Cayenne mit dem Brilli drinne dreht eine Runde auf der gekiesten Hofeinfahrt und kommt vor einem italienischen Schlösschen mit Blick auf den Comer See zum Stillstand. Brilli steigt aus, zieht sich lässig die Sonnenbrille weg und sagt dem Kameramann: „Komm, mach mal einen Schwenk“, und der macht mal einen Schwenk und zeigt uns das wunderschöne italienische Sonnenpanorama, bevor er wieder auf Brilli zurückschwenkt: „Das kannst du auch haben! Erfolg ist ganz einfach! Erfolg kommt von ERFOLGEN“, belehrt mich der Sprachwissenschaftler erneut. „Was ich schaffe, das schaffst du auch!“, erklärt er, und ich bin geneigt, ihm zu glauben, da ich mich für intelligenter als den Brillendeppen halte. „Du musst nur tun, was ALLE Erfolgreichen tun“, sagt er, während hinter ihm zwei Schneckchen in luftigen Sommerkleidern aus dem Palazzo kommen und in den Fond des Cayenne steigen. Wow. Ich bin mit dem Schatz schon fast überfordert, und der da hat zwei Mietschneckchen am Laufen, mit denen er eine Runde ums Rondell dreht, in dessen Mitte, ich wette fast drauf, eine überlebensgroße Statue von IHM steht, aus der sich ein gar lustiger Wasserstrahl in den Rokoko-Brunnen ergießt. 

„Was aber macht Menschen erfolgreich?“, fragt mich Brilli neckisch in die Kamera, als wüsste er es nicht. Weiß er wahrscheinlich auch nicht. Aber meine Hoffnung, er sagt jetzt „Arbeit, Fleiß und Disziplin“, wird jäh enttäuscht. „Ich verrate es Dir (ah, gottseidank) in meinem KOSTENLOSEN Seminar „Wie du an NOCH MEHR Kunden kommst“, klick einfach auf den Link!“ DU ARSCHLOCH! Sag’s doch einfach! Denn ich will immer noch nicht auf den Link klicken, und Brilli scheint meine Gedanken erraten zu haben: „Diese eine Stunde meines KOSTENLOSEN Seminars wird dein Leben verändern!“ Und jetzt hat er mich verloren. Ich WILL nicht, dass sich mein Leben verändert! Ich komme ganz gut durch, kann mir gelegentlich etwas Luxus leisten, solange niemand von mir einen Wärmepumpeneinbau fordert, und ich kann zwischendurch im Homeoffice eine Geschichtsdoku gucken, wenn ich das will. Ohne dass mir ein oder zwei Schneckchen dazwischenquatschen und meine Black-Card für einen Einkaufsbummel brauchen. Und den Cayenne wird er auch nicht wieder los, sobald es genug Ladesäulen für E-Autos gibt. 

Aber die Minute ist jetzt auch um, und jetzt ploppt ein Typ im T-Shirt auf, der sagt: „Vergesst kostenlose Online-Erfolgsseminare. Definiert eure eigenen Ziele. Was ist wirklich – WIRKLICH – wichtig für euch? Es ist doch keine Uhr, kein italienischer Palazzo, kein Cayenne und keine Schneckchen! Uns Menschen geht es doch um ganz andere Ziele! Klimaschutz beispielsweise! Wie Ihr das macht? Wie ihr eure Ziele definiert und auch erreicht? Ich verrate es euch. In meinem kostenlosen Online-Seminar ,Schluss mit Bullshit‘.“ 

Ah, das kenne ich. Ich suche mir eine Opferrolle aus und lasse mich bei den Grünen auf die Liste wählen. Endlich macht sich Wallenstein auf, um Kennedy zu töten. Ich sehe mir die Doku an und denke mir, wie einfach es doch damals war…

(Weitere Erfolgs-Artikel des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Timo Raab

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Leserpost

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Markus Viktor / 24.04.2023

Ich überspringe die Werbung, indem ich vom gewünschten sofort zum nächsten Video wechsle und sofort mit der Browserfunktion wieder zurück springe. Dann startet das gewünschte Video ohne Werbung.

Georg Dobler / 23.04.2023

Videos nicht mit smartphone-app sondern Windows Laptop, Browser “Brave” ansehen, null Werbung.

Reinmar von Bielau / 23.04.2023

Adblock und NoScript in den Browser integrieren und gut! Seiten, wie Achgut, Reitschuster etc. nimmt man in die Ausnahmeliste rein und das Surfen wird vom Werbefeldzug gegen das Hirn zu einem selbstbestimmten Suchen und Finden und Schauen. Die Stunde Arbeit zu investieren lohnt sich definitiv und schützt zudem noch gegen etwaige Zugriffe von Außen.

K.Behrens / 23.04.2023

wie doof, allein die dreiteilige Dokumentation öffentlich-rechtlich abrufbar über den Aufbau Kathedrale Notre-Dame mehr als sehenswert! Dazu noch ein Krimi in hebräischer Sprache mit deutschen Untertiteln. Ich bin äußert zufrieden mit dem öffentlich rechtlichen Angebot! Aber es soll ja Leute geben, die seit 2013 noch nicht in der Lage sind, dezent über einen I-mac zu verfügen?

Dr. R. Möller / 23.04.2023

Seit BRAVE (incl. Anzeigenblocker) ist das Problem für mich gelöst.

Albrecht Frenzel / 23.04.2023

Und das Übelste: je nach dem Film, kommen diese verfluchten Werbeunterbrechungen unterschiedlich häufig. Offensichtlich will man gewisse Zuschauer mit der Werbung regelrecht ärgern. Dass das im Sinn der Werbekunden ist?

Ralf Pöhling / 23.04.2023

Was für ein Volltreffer. Diese Labertaschen mit ihrem aufdringlich penetranten Gequatsche ohne jeglichen Inhalt, gehen mir auf Youtube schon lange auf den Sack. Hat diesen Leuten mal jemand erklärt, dass man ein Produkt auch vorstellen muss, damit der Kunde dafür Interesse zeigt und es kauft? Ach halt: Diese Leute haben ja gar kein Produkt, was sie verkaufen könnten. Darum labern sie ja auch so viel darum herum. Das kommt dabei heraus, wenn man außer Marketing nichts gelernt hat. Deutschland war mal das Land der Ingenieure und Produktentwickler. Wir hatten also was anzubieten, was man auch verkaufen konnte. Bis jemand auf die dumme Idee gekommen ist, es wäre sinnvoller, sich die Entwicklungskosten für Produkte zu sparen und nur noch zu verkaufen. Was, wenn man kein Produkt hat, natürlich am Ende darauf hinausläuft, dass man nur noch heiße Luft produziert und diese umso penetranter und aufdringlicher ins Volk bläst. Das ist dann wohl das Resultat einer marktwirtschaftlichen Dysbalance von zu vielen BWLern bei gleichzeitig zu wenigen Ingenieuren.

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