Es ist eine dieser Online-Konferenzen via Zoom und es geht um die wunderbare Welt der Versicherungsbedingungen der megastarken und superneuen „Hausratversicherung 2023“ der Griechischen Hirtenkasse auf Gegenläufigkeit. Und die eskaliert.
Der Moderator kämpft damit, uns Teilnehmern seinen Bildschirm freizuschalten, weil er da wirklich tolle Grafiken hat, und außerdem sind tatsächlich Haustiere (außer Hunden) jetzt gegen Feuer versicherbar. Man bekommt also eine neue Katze bezahlt, falls die alte Katze bei einem Zimmerbrand geröstet wurde. Röstlich und tröstlich.
Ich sitze auf der Terrasse vor meinem Büro, halb im Schatten und halb in der Sonne und weil mir etwas langweilig ist, zünde ich mir einen Zigarillo an, in der Hoffnung, dass die „Nutzwärmeschädenklausel“ demnächst, selbst bei Vorsatz, auch für Tabakwaren gilt, was für meine monatlichen Ausgaben eine enorme Erleichterung darstellen würde.
Ich habe so ein paar Züge genommen, als Frau Dröge vom „Versicherungsbüro Dröge und Öde“ ihr Mikrofon freischaltet und sagt: „Machen Sie bitte Ihre Zigarette aus, der Rauch belästigt mich!“ Und ich Depp bin so gut konditioniert, dass ich entschuldigend nicke und den leicht angerauchten Zigarillo tatsächlich ausdrücke. Das wird mir aber erst bewusst, als ich den geschundenen Kadaver des Glimmstengels im Aschenbecher sehe. Was habe ich getan?
Per Zigarillo angeeckt
Ich habe das getan, worauf ich programmiert wurde. Jemand fühlt sich belästigt, ich möchte aber niemanden belästigen und niemandem auf den Schweif gehen und folge deswegen artig der an mich herangetragenen Bitte. „Danke“, schallt es mir aus dem Notebook entgegen. Ja bitte, aber das ist Quatsch. Frau Dröge kann gar nicht belästigt sein, die alte Funzel. Die sitzt in einem Kaff in Westhessen und selbst wenn mein komplettes Haus inklusive der Katzen brennen würde, käme der Qualm never ever bis nach Schwalmstadt. Ich könnte das ganze verdammte Dorf hier anzünden und es würde sie nicht belästigen, ich schwör!
Ich schwanke zwischen Bewunderung für die Dreistigkeit von Frau Dreist vom „Versicherungsbüro Dreist und Feist“ und Ärger über mich, weil ich so anstandslos und brav reagiert habe. Ich komme mir vor wie ein Mann in einem Regenschauer, der nach Sonnencreme Ausschau hält, weil irgendeine Koryphäe vor einem Hitzschlag gewarnt hat. Wie ferngesteuert bin ich eigentlich?
Unser Moderator von der Griechischen Hirtenkasse hat endlich herausgefunden, wie er seinen Bildschirm freigeben kann und zeigt völlig ungerührt Comicbilder von brennenden Haustieren. Eine Katze, einen Hamster und einen Hasen und einen Papagei. Sie brennen alle. „Feuer! Feuer!“ höre ich in meinem geistigen Ohr den Papagei brüllen. Aber darum geht es jetzt nicht mehr. Es geht jetzt ums Prinzip und zivilen Widerstand gegen das Unrechtsregime von Frau Dröge.
Und mir wird klar: Frau Dröge ist genauso konditioniert wie ich. Sie sieht jemanden rauchen und fühlt sich sofort belästigt. Das hat irgendein ominöses „man“ ihr so beigebracht. Ich beschließe, meine Theorie zu testen. Demonstrativ zünde ich mir wieder einen Zigarillo an und warte darauf, dass die Labertasche die Bildschirmfreigabe beendet und die Gesichter unserer kleinen, unsympathischen Runde wieder zu sehen sind.
Ich blase den Rauch direkt in die Kamera
„Außerdem, aber das habe ich auf einer anderen Folie, können wir in unserem Premium-Explosiv-Tarif jetzt auch Internetdiebstahl mitversichern. Falls Ihnen also jemand das Internet stiehlt…“, erklärt unser Moderator in völliger Ahnungslosigkeit und die Galerie der Teilnehmenden wird wieder sichtbar. Ich öffne mein Mikrofon und rufe: „Frau Dröge, nur für Sie…“ und blase den Rauch direkt in die Kamera. Und, was soll ich sagen? Sie hustet tatsächlich! Ihr Mikrofon geht auf: „Ich hatte Sie doch gebeten, das zu unterlassen“, sagt sie in scharfem Ton. „Jahaaa, und ich habe herausgefunden, dass Sie mein Rauch gar nicht belästigen kann“, gebe ich, wenngleich gut gelaunt, so doch mit provokativem Timbre zurück. „Leute, bitte“, sagt der Moderator, „Konzentration“. Aber das Thema ist durch.
„Unverschämtheit“, faucht Frau Dröge, „…wenn Sie so rücksichtslos Ihre Kunden behandeln, dann wundert es mich nicht, dass Sie Zeit für ein Online-Seminar haben!“ Jetzt beginnt auch mein Adrenalin zu brodeln: „Beschwere ich mich, dass Sie offensichtlich um 11.00 Uhr morgens hier angetrunken in diesem Seminar erscheinen?“, schleudere ich der Drögen entgegen. „Herr Schneider, Frau Dröge, bitte, reißen Sie sich zusammen“, maunzt der Moderator. „Wenn sich Frau Dröge nun durch ihren Rest-Alkohol in Verbindung mit der Glut meines Zigarillos selbst entzündet – deckt das dann die Haftpflicht- oder die Hausratversicherung?“, setze ich einen veritablen Mannstopp. Ich sehe Herrn Fröhn von „Fröhn, Klöbner und Partner“ lautlos lachen, Herr Bert (was soll das? „Herr Bert“? Herbert?) von „Insecurity and more“ öffnet sein Mikrofon, um „Haftpflicht“ zu sagen, Herr Özge von der „Asikuranzia GmbH“ gibt einen „Meddlergruß“ mit ausgestrecktem Zeige- und kleinem Finger und eingeklapptem Daumen in Richtung Kamera und die bunte Runde eskaliert. Eine junge Frau ohne Namen, aber mit dem Titel „Fachfrau FDL“ deutet auf ihren Bildschirm und scheint jemanden zu rufen, aber durch das Deuten ist ihr Zeigefinger einfach grotesk riesig. „Arschloch“, kommt es aus meinem Lautsprecher, bevor sich Frau Dröge wortlos aus der Zoom-Konferenz verabschiedet. *Zirp*, weg isse.
„Das war nicht in Ordnung, Herr Schneider“, mahnt mich der Moderator ab. „Ich weiß. Aber notwendig“, sage ich und wünsche allen noch einen schönen Tag, bevor ich mich auch ausklinke. Befreit belästige ich mich selbst mit einem tiefen Zug aus meinem Zigarillo. Und höre in Gedanken Frau Dröge in 150 Kilometern Entfernung empört husten. Und aus der Nähe miaut unsere unbrennbare Hauskatze.
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Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.