Thilo Schneider / 03.05.2021 / 11:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 60 / Seite ausdrucken

Eine Sternstunde der Rhetorik

Haben Sie sich je gefragt, wie es Angela Merkel schaffen konnte, Bundeskanzlerin zu werden? Oder, kurz vor dem gnadenlosesten Osterlockdown seit der Erfindung der Wiederauferstehung, hierfür die Zustimmung der Ministerpräsidenten in der Miniprätafelrunde zu kriegen? Oder warum Bodo Betonkopf während der Miniprärunden Candy-Crush spielt? Hier finden Sie die Antwort!

Ich hatte das Pech, während einer 20-minütigen Autofahrt direkt und mitten ins Mett in die Pressekonferenz der Kanzlerin zu den Impfbeschlüssen zu geraten. Insgesamt 8 Minuten referierte Angela Merkel. Weil mir niemand so viel bezahlen kann, die ganze Rede aufzuschreiben, finden Sie hier das Wortprotokoll der ersten Minute:

„Ja, meine Damen´n´Herrn, wir ham heute eine Ministerpräsidentenkonferenz gehabt, die sich, äh, ausschließlich mit dem Thema des Impfens und, äh, des, der Behandlung auch der Geimpften und Genesenen, äh, befasst hat und, äh, der Bundesgesundheitsminister hat uns informiert über den Stand des Impfens, indem er uns ein´n Bericht gegeben hat und nochmal darauf hingewiesen hat, dass wir doch jetzt, öhm, im zweiten Quartal deutlich Tempo gewonnen haben, was das Impfen anbelangt, während wir im ganzen ersten Quartal 10% der Bevölkerung nur impfen konnten, so, öhm, sind es jetzt in den ersten drei Wochen des April bereits nochmal 10% gewesen und die Dinge werden sich also deutlich, ehm, beschleunigen.“ – das waren genau 1:05 Minuten.

Die anderen sieben Minuten dieses rhetorischen Feuerwerks finden Sie beispielsweise hier. Ich bin ob der brillanten Ausdrucksweise, der der Trajan-Säule würdigen Lebendigkeit und Stimmmodulation anscheinend bei Minute Drei eingeschlafen, denn bei 3:05 fuhr ich über den Bordstein der Ausfallstraße, wurde wach und zog mir den Vortrag der lebhaftesten Kanzlerin aller Zeiten dann bis zum Ende rein. Ohne zwar direkt einzuschlafen, aber doch schon in einem katatonischen Zustand, aus dem mich gelegentlich die diversen Fahrassistenten des Renault rissen.

Und jetzt, liebe Lesende, stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sitzen um 20.00 Uhr in der Online-Konferenz der Miniprärunde. Sie haben seit heute Morgen um 9.00 Uhr (oder, wenn Sie reagierender Bürgergeselle von Berlin sind, 14.00 Uhr) gearbeitet, kurz unterbrochen von einem hastigen Mittagessen in der Landtagskantine (die haben alle noch offen, Corona gibt’s da nicht), und hören der Kanzlerin zu. Nicht acht Minuten, nicht achtzig Minuten – nein, volle drei bis vier Stunden haben Sie endlose Kettensätze mit vielen Öhms und Ähs, jeder Menge Kommata und das in einem monotonen Singsang, der tibetanische Gebetsmühlen zu einem Feuerwerk der Abwechslung macht.

Mitternacht ist längst vorüber

Ja, da sitzen Sie doch da, den Kopf leicht im Nacken, die Augen halb geschlossen, während es aus den Lautsprechern Ihres Notebooks dahinplätschert:

„Ich weise in aller Deutlichkeit, und das, öhm, haben wir auf der letzten Minis… Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnenkonferenz, öhm, beschlossen, da fände ich es jetzt nicht gut, wenn da jetzt jemand von Euch ausschert, darauf, öhm, hin, dass wir hier jetzt einen einheits… einen einheitlichen, öhm, Weg für Geimpfte, noch zu Impfende oder auch zum zweiten Mal Geimpfte und Genesende, wie es auch der, öhm, Gesundheitsministerin Jens Spahn…“  

...und Sie fragen sich ganz tief in Ihrem Inneren, ob es das war, was Sie als „gestalten“ verstanden haben, als Sie sich für die diversen Ämter auf dem Weg zum Ministerpräsidenten beworben haben. Während Ihr Leben an Ihnen vorbeizieht.

Mitternacht ist längst vorüber. Ihre Mitministerpräsidentenden sitzen ebenso wie Sie mit offenen Hemden, gelockerten Krawatten, flatternden Augenlidern und Brillen auf „halb acht“ vor dem Bildschirm, in dem in der Mitte die Kanzlerin ausführt,

„…dass wir das, öhm, wirksam nur virusbekämpfen, indem wir, noch vor Ostern, am besten bereits am Düngronnerstag, in allen, öhm, Lundesbändern einen, öhm, einheitswirksamen, öh, einheitswirksame Schließung aller Unternehmensbetriebe des, öhm, Eizellhandels …“

Unter uns! Springen Sie da als Ministerpräsident nicht irgendwann auf und brüllen: „JA, HERRGOTT NOCHMAL! JA! MACH! MACH, WAS DU WILLST, ABER BEENDE DAS JETZT HIER! ICH KANN NICHT MEHR! ICH WILL NICHT MEHR! ICH MAG NICHT MEHR!“      

Also, ich wäre so, ich kann das zugeben. Allerdings würde ich dann den geheimen Plan schmieden, diese Kanzlerin zu entmachten. Einfach nur aus Rache. Damit ich nachts gut schlafen kann. Ich glaube tatsächlich, Angela Merkel hat sich in der Union bis ganz nach oben gelangweilt. Irgendwann waren in den Orts-, Kreis, Regional-, Landes- und Bundesverbänden die Abstimmungsberechtigten derart weichgekocht, dass sie einfach die Hand hoben, um das Elend zu beenden und nach Hause zu kommen. Und, was wirklich ganz erstaunlich ist, Angela Merkel hat es nicht nur geschafft, Freund und Feind ins Wachkoma zu quatschen – nein, selbst mit der wenigstens Hälfte des ganzen Landes ist ihr das ebenfalls gelungen. Deswegen geht Merkel auch immer nur allein zu Anne Will. Gegen diesen rhetorischen Betonklotz ist kein Sprachunkraut gewachsen.

(Weitere kilometerlange Sätze des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Bildarchiv Pieterman

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Ilona Grimm / 03.05.2021

@Richard Loewe: »Merkels Ausschlag auf allen drei Skalen ist Null und sie überzeugt dennoch alle!«—- Na ja, nicht alle; aber in meinem Umfeld gibt’s – bis auf drei Ausnahmen; eine davon neu dazu gewonnen (!!) - tatsächlich nur Leute, die immer noch von der GröKaz überzeugt sind. „Sie ist doch soooo sympathisch…“

Richard Kaufmann / 03.05.2021

Herr Schneider, wenn Sie das in Versform brächten, könnten Sie der Erich Kästner des merkelschen gefühlten tausendjährigen Reiches werden.

S.Müller-Marek / 03.05.2021

Ich schreibe lieber nicht, was ich gerade denke. Das würde mir 10 Jahre Zuchthaus einbringen.

Ulla Schneider / 03.05.2021

@Andreas Rühl: Verehrter Herr Rühl, ich stehe Ihnen mal bei und versuche eine Erkärung von Frau zu Mann.- Die Frau Bundeskanzler schaut, wie Luther, dem Volk aufs Maul. Sie entspricht meinem Anschein nach dem Durchschnittsdeutschen in seiner Ausdrucksweise. Das ist ihr Erfolg. Fragen Sie mal von Mann zu Frau. Sie werden Antworten bekommen wie ...... sie erklärt das sehr vernünftig .......so kann man das verstehen ....... sie ist ehrlich .... - Ich mag gar nicht weiter schreiben, sonst geht es Ihnen nicht mehr gut. FG

Mathias Rudek / 03.05.2021

Gegen diese Politikerin habe ich eine solche Abneigung entwickelt, daß ich mich selbst hüten muß Mensch zu bleiben. Vielleicht, lieber Herr Schneider, sind alle in ihrem Umfeld ins Wachkoma souffliert worden, weil ihre eklatant schlechte Rhetorik einfach diese Wirkung hat, zumal die ihr innewohnende Empathielosigkeit auch noch ihre Wirkung entfaltet. Ich bin aber inzwischen der Meinung, daß dieses Weib ‘ne psychische Störung hat. Ihre Büroleiterin Beate Baumann spielt vielleicht eine größere Rolle als man glaubt? Was dieses gleichgeschaltete, dummdreiste Kader hinter Merkel von Ursula von der Leyen über Annegret Kramp-Karrenbauer, Peter Tauber, Ralph Brinkhaus bis hin zu Peter Altmeier und Helge Braun über die Jahre in diesem Land angerichtet hat, spottet jeder Beschreibung. Das dürfen die Wähler in diesem Land nicht mehr so hinnehmen, das muß deutliche Konsequenzen haben, wenn wir dieses Deutschland nicht endgültig abwracken wollen. Aber das diese Politik auch wirklich meint ihre desaströsen Fehlentscheidungen sollten andere Nationen auch noch übernehmen und die EU als ein Steuerungselement zu missbrauchen, hat wirklich eine politische Dimension erreicht, die man dringend stoppen muß. Angela Merkel hat diese Nation in eine zentralistische, konstruktivistische Politik hineinmanövriert mit einer Mannschaft, die warnende Signale in ihrer Echokammer nicht mehr hört und auch nicht mehr hören will. Und damit diese katastrophale Politik nicht umgehend bilanziert wird, will Merkel nichts weniger als eine Annalena Baerbock als Nachfolgerin, damit die ökosozialistische Titanic weiter Fahrt aufnehmen kann bis sie ganz, ganz tief sinkt im eiskalten Meer des Elends der erzwungenen Gleichheit.

Uta Buhr / 03.05.2021

Herzliches Beileid, Herr Schneider! Welcher Grad an Masochismus gehört dazu, sich die “Reden” - sprich das sinnlose Geschwafel - der Wachtel Gottes anzuhören und gar noch aufzuschreiben. Diesmal hat sie sich offenbar mit zahllosen Öms und Ähs begnügt und ihr unerträgliches Gestammel nicht mit den sonst unverzichtbaren Kostbarkeiten aus ihrer Rhetorikkiste wie “Ich sage mal…”, sozusagen,” “irgendwie” und ähnlichen nichtssagenden Füllseln zusätzlich “gewürzt.”  Ich bezeichne Merkels verbale Beiträge schlicht als akustische Umweltverschmutzung und Körperverletzung. Liebe K@rola Sunck,  mit Ihrem Kommentar treffen Sie den Nagel mal wieder mitten auf den Kopf. Sie haben recht. Wo bleiben die Kerle, die dieser Unperson zeigen, wo es lang geht. Das dürfte doch bei Merkels recht bescheidener intellektueller Ausstattung nicht allzu schwer sein. Mir fallen da die Iden des März im Jahrs 44 vor der Heilsverkündung ein, als 23 mutige Angehörige des römischem Senats einem seine Macht immer brutaler usurpierenden Diktator den Garaus machten. Es müssen ja nicht gleich Messer gezogen werden.  Heutzutage reichen doch zivilisiertere Methoden, um eine unliebsame Person aus dem Amt zu jagen. Ceterum censeo…

Sabine Heinrich / 03.05.2021

Die stundenlangen einschläfernden Reden gehören zur Taktik der kommunistischen “Elite”. Wie haben wir uns vor 50, 60 Jahren darüber amüsiert, wenn wir von 4, 5stündigen Reden kommunistischer Führer Kenntnis erhielten. Wenn sich doch die Dam-und Herrschaften bei solche Monologen der besten Kanzlerin, die wir je hatten, ein bisschen benehmen würden wie gelangweilte pubertierende Schüler im Unterricht - ungeniert quatschen, mal ein Papierflugzeug oder anderes Richtung Lehrer abschießen , wenn er sich mal abwendet oder ständig zur Toilette müssen - was für einige Bewegung im Raume sorgt, wenn mehrere plötzlich eine entzündete Blase haben… Aber nein - da hocken sie unterwürfig, rückgratlos, sagen nicht “Piep” und “Papp”, damit die “Zonenwachtel” (Frau Buhr, Sie sollten sich diese Bezeichnung patentieren lassen!) ja nicht böse wird und einen strafenden Blick gen Störenfried sendet. Frau Weidel (AfD) hätte vermutlich nicht 3 Minuten eine ihre intelligenten Reden halten können, ohne gestört zu werden. Da hätten sich unsere Herren und Damen schnell ihrer pubertären Ungezogenheiten erinnert - es sei denn, sie waren schon damals unterwürfig oder einfach nur gut erzogen. Intelligente Reden sind den meisten Leuten ein Graus! Sie wollen Schlichtsätze hören - so auf der Ebene primitivster Unterhaltungsserien - und billigste Versprechungen. Außerdem tut es gut und streichelt das Ego, wenn man von der in jeder Hinsicht (angeblich) mächtigsten Frau der Welt bestätigt bekommt, dass man zu den Guten gehört, weil man sich ein unberechenbares Gebräu in den Körper schießen und sich mit Stäbchen im Kopf rumstochern lässt, zum Wohle des Volkes widerstandslos auf so Unrelevantes wie Reisen, Kultur und sonstige Vergnügungen klaglos verzichtet. - Herr Schneider - ich habe mich köstlich über Ihren Text amüsiert! Gedruckt zu sehen, was aus dem Mund der ZW herausquillt - äh -stottert - ähm - das hat schon höchsten Erheiterungswert und reicht an Loriot (Bundestagsrede) heran. Danke!

Manni Meier / 03.05.2021

Was erlaube Zneida? Schließlich hat die Dame erst im letzten Jahr von der Universität Tübingen, Heimstatt des “großen Rhetorikers” Walter Jens, (der mir auch immer suspekt war)  den Preis für die “Rede des Jahres 2020"erhalten. Die Tübinger Preisrichter sprachen von einer “historischen Rede”, die “wie kaum eine andere” in den vergangenen Jahren die deutsche Bevölkerung “unmittelbar beeinflusst” haben dürfte, zudem habe die Kanzlerin   die Ansprache “engagiert vorgetragen”, rühmen die Rhetoriker.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thilo Schneider / 19.11.2023 / 13:30 / 10

Die Jagd nach dem versteckten Schlüssel

Gökhan hat die Inspektion an meinem alten Renno durchgeführt. Jetzt muss ich den Wagen nur noch abholen. Da Gökhan aber in Urlaub fährt, muss er…/ mehr

Thilo Schneider / 06.11.2023 / 11:00 / 57

Wann ist man beim ZDF ein Türke?

Nachdem ein Mann seine Tochter als Geisel genommen hatte, berichtete das ZDF live vom Tatort. Der Reporter erklärte, dass der Täter zwar verlangte, auf Türkisch…/ mehr

Thilo Schneider / 13.08.2023 / 14:00 / 7

Die Konferenz der Hirtenkasse

Es ist eine dieser Online-Konferenzen via Zoom und es geht um die wunderbare Welt der Versicherungsbedingungen der megastarken und superneuen „Hausratversicherung 2023“ der Griechischen Hirtenkasse…/ mehr

Thilo Schneider / 23.04.2023 / 16:00 / 17

Der Erfolgscoach

Wie ich es hasse: Da will ich als YouTube-Nutzer ganz unschuldig Musik hören oder eine Doku sehen und werde erst mal ungefragt minutenlang von windigen…/ mehr

Thilo Schneider / 11.02.2023 / 14:00 / 33

Haltungslos

Muss man zu allem und jedem eine Meinung haben, eine Haltung einnehmen? Kann einem nicht mal etwas völlig wumpe sein? Selbst zu Hülsenfrüchten soll man…/ mehr

Thilo Schneider / 17.01.2023 / 14:00 / 38

An der Abbruchkante. Eine Relotiade

Claas Relotius hat endlich einen neuen Job. Künftig wird er für die Werbeagentur „Jung von Matt“ Texte fabrizieren. Als kleine Hommage an ihn präsentiere ich…/ mehr

Thilo Schneider / 12.11.2022 / 16:00 / 13

Kartoffelsolidarität

Wir erwarten Gäste und ich soll dem Schatz beim Kartoffelschälen helfen. Würde ich ja gern, muss aber dringend einen Artikel fertigschreiben. Bis dahin muss ihr…/ mehr

Thilo Schneider / 10.10.2022 / 14:00 / 24

Am nächsten dran. Eine Parabel

Die Polizei hält mich wegen eines theoretisch möglichen Verstoßes gegen §37 StVO an, weil der Typ VOR MIR bei Rot drübergefahren ist und sie seiner…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com