Von Thomas Marten.
Am Montagabend lud die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) in Berlin zur Diskussion über das Thema „SCHALOM NEUES DEUTSCHLAND – Die DDR, Israel und die Juden“. Ein wenig aufgearbeitetes Kapitel der deutschen Geschichte, und wohl deshalb für viele interessant: Der Saal war mit gut 200 Gästen voll belegt, viele Anmeldungen konnten nicht berücksichtigt werden. Auf dem Podium Jochen Feilcke, Vorsitzender der DIG und Moderator, der Historiker Martin Jander, der Filmemacher und Bürgerrechtler Konrad Weiß und Anetta Kahane, Betreiberin einer lukrativen Stiftung und ehemaliger Stasi-Spitzel.
Stephan Kramer, Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, eröffnete den Abend mit einem Grußwort. Was als Grußwort gedacht war, wurde ein 30-minütiger Hymnus auf die Amadeu-Antonio-Stiftung seiner „Freundin Anetta“ Kahane – mit der Kramer übrigens per Du ist. Der Tenor von Kramers ‚Grußwort‘: Die SED habe zumindest zu DDR-Zeiten Fehler gemacht, auch sei sie in Teilen antisemitisch gewesen. Das sind, angesichts von ‚Säuberungsaktionen‘ gegen jüdische Parteimitglieder, der offenen Verurteilung des Staates Israel, der Verweigerung diplomatischer Beziehungen und der Position der DDR als Hauptfinanzier der PLO, keine ganz neuen Erkenntnisse. Schon die erste frei gewählte Volkskammer hatte sich 1990 für die Haltung der SED gegenüber Israel entschuldigt. Neu war lediglich, dies nur als „in Teilen antisemitisch“ zu bezeichnen.
Martin Jander sprach 15 Minuten. Er führte aus, wie viel die Bundesrepublik Frau Kahane verdanke. Auch das war eine Neuigkeit, bisher war die Mehrheit der Zuhörer vom umgekehrten Verhältnis ausgegangen. Und Kahane, auch das völlig neu, sei zudem eine bedeutende Dissidentin gewesen. Kahane als zivilgesellschaftliche Version der Doppelagentin: Einerseits IM, gleichzeitig Dissidentin. Die Stasi als Schild und Schwert der Partei wie der zu zersetzenden Staatsfeinde. Darauf können wohl nur Historiker kommen.
Kahanes nicht so gutes Erinnerungsvermögen
Danach sprach Konrad Weiß, als – wie er betonte – „Nichtjude“. Weiß holte weit aus, begann seine Schilderung mit seiner Arbeit 1964 für die Aktion Sühnezeichen, den ersten beschwerlichen und behördlich boykottierten Besuchen in Auschwitz und seiner Tätigkeit als Filmemacher unter den Bedingungen einer Diktatur. Interessantes Detail, und wohl nach Kramer auch nur ein Zeichen für einen partiellen Antisemitismus: Der Terminus „Jude“ durfte in DDR-Filmen bis 1989 nicht verwendet werden, obwohl sich die Arbeit von Weiß eben mit deren Schicksal befasste; ein zermürbender Bückling vor der damals herrschenden Sprachregelung. Denn auch der DDR war, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen, ihr anti-semitisches Erbe durchaus bewusst, zu viele Parteigenossen hatten den Übergang von der NSDAP zur SED bruchlos vollzogen. Fazit des Filmemachers: „Es gibt keine Kollektivschuld, aber eine Kollektivverantwortung.“
Nun endlich folgte Frau Kahane. Ausführlich – einige meinten später: in epischer Breite – berichtete sie von den Eltern, den kommunistischen Widerstandskämpfern. Was sie taten, was sie ließen, was sie hätten tun sollen. Ihr Elternhaus sei furchtlos gewesen – antifaschistisch, in der DDR aber eher „blauäugig und links“. Das kommt heute gut, war aber damals offensichtlich nicht zum Schaden der Familie. Der Vater wollte irgendwann der Enge der Diktatur entfliehen und bat beim Politbüro um einen Posten als Auslandskorrespondent. Er bekam ihn sofort.
Auch sie selbst sei eher demokratisch-liberal eingestellt. „Antisemitismus ist antikosmopolitisch und antiliberal.“ Ob sie das auch ihrem Führungsoffizier so gesagt hat? Vermutlich nicht. Als sie 1974 –15 Jahre vor dem Mauerfall – Spitzel der Stasi wurde, war sie gerade in einer Phase der „hohen Irritation“ – aber wohl nicht so hoch, drei Jahre später die Charta 77 zur Kenntnis zu nehmen und deren Verdikt über den Kommunismus als „Angriff des totalitären Systems auf das Leben selbst, auf die menschliche Freiheit und Integrität“. Zudem, so Kahane, könne sie sich nicht mehr so genau erinnern, was sie mit 25 gedacht oder gesagt hätte. Das aber muss sie auch nicht. Eine Verpflichtungserklärung gegenüber der Stasi gibt eindeutige Hinweise.
„CIA oder so“
So ging der Abend hin, detailliert an den falschen Stellen, kurz oder verschwiegen an den wichtigen. Das Thema des Abends umging Kahane, ließ es unberührt. Stattdessen erklärte sie, was „gerade en vogue sei“ – nämlich sie zu kritisieren. Einige im Publikum waren dazu sehr fundiert in der Lage. Aber sie war „irgendwie der Stasi selbst in die Falle gegangen“ und „so reingeboren“. Spitzeltätigkeit als genetischer Code. Auch das war neu.
Natürlich griff sie später die Steilvorlage des Historikers Jander auf: Tatsächlich habe man sie laut ihrer eigenen Stasi-Akten zu einer Doppelagentin machen wollen, „CIA oder so“. Dass sie sich nicht einmal genau erinnert, für wen sie angeblich arbeiten sollte, verweist auf die Glaubwürdigkeit dieser Einlassung. Ohnehin ergebe sich aus ihrer Akte: In all den Jahren habe sie niemandem geschadet. Dennoch fanden ihre Führungsoffiziere ihre Leistung wohl ausreichend, obwohl ihr – Tusch – bei einem Auslandseinsatz in Mosambik die dortigen SED-Kollegen zu rassistisch waren. Welchen politisch korrekten Begriff sie bei ihrer Beschwerde für die Einheimischen verwendete, ob „Schwarzer“ oder anderes, erfuhr man leider nicht.
Kein Auftritt eines Linken heute ohne Kritik an den Medien. Besonders ein Artikel von Hubertus Knabe in der NZZ stieß Kahane auf. Der sei richtig üble Propaganda. Gewiss doch: Die NZZ ist für solche Artikel gemeinhin bekannt, und Hubertus Knabe auch. Bei Weiß war das Publikum still und konzentriert, bei Jander gab es öfter Raunen und einzelne Kommentare. Jetzt allerdings wurde es unruhig, es gab Zwischenrufe, einige Besucher verließen verärgert die Veranstaltung, andere konnten vor Wut kaum an sich halten.
Auf was der stärkste Applaus folgte
Gastgeber Feilcke versuchte, die Situation mit einer einfach-schwierigen Frage einzufangen: „Wie jüdisch konnte/durfte man in der DDR sein?“ Sofort versicherte Jander, die DDR wäre keine zweite Diktatur im Stil des 3. Reiches. Eher, so insinuierte er, müsse sich die Bundesrepublik diese Frage stellen, gebe es doch heute keine Erinnerung mehr an den 9. November als Datum der Reichspogromnacht. Und irgendwie habe das alles auch mit Franco A., der NZZ und der Jungen Freiheit zu tun, und die Gefahr von rechts sei im Osten deshalb so groß, weil die fehlende Aufarbeitung des Faschismus der AfD hier den Boden bereitet hätte. Und Anetta Kahane verdiene keine Kritik, sondern Schutz.
Nicht nur das Publikum verlor hier den Faden. Es gab keinen mehr. Auch Jochen Feilcke wurde es zu bunt. Er widersprach entschlossen und erinnerte an die – nicht nur von der DIG, sondern von allen Medien – immer betont gebrochene Rückschau auf den 9. November. Im übrigen sei der Schutz von Frau Kahane nicht das Thema. Dem folgte der stärkste Applaus des Abends, doch auch davon ließ sich Herr Jander nicht beirren. Er blieb weiterhin im Agitprop-Modus, und auch der Moderator war irgendwann am Ende seines Lateins. Ein vielversprechender Abend endete in Erschöpfung.
Vermutlich war nichts anderes zu erwarten. Mit Kaderexistenzen ist jede ergebnisoffene Diskussion unmöglich, und das eigentliche Ansinnen des Abends war schon mit der Auswahl der Gäste zum Scheitern verurteilt. Einzig Konrad Weiß sprach zum Gegenstand, die anderen wichen aus. Das Publikum kam dann nicht mehr zu Wort.
Der Antisemitismus der DDR und der Linken bleibt ein Thema.
Thomas Marten lebt in Berlin und ist Mitglied der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft.
Wer Einsicht erlangen möchte in die „Akte Kahane“, die Dirk Maxeiner gelesen hat, der klicke hier.