Fabian Nicolay / 18.06.2022 / 12:00 / Foto: RKO / 64 / Seite ausdrucken

Ein deutscher Schwindelanfall

Unsere Eliten drehen sich um sich selbst, ein egomanisches Schleudertrauma hat sie ergriffen, ein Schwindelanfall. Sie haben das Ganze aus den Augen verloren im Vertigo ihrer Selbstüberschätzung.

Deutschlands Räderwerk ist in Unwucht geraten. Es läuft schon einige Zeit nicht mehr rund. Jetzt macht sich zunehmend Unzufriedenheit breit und jede Menge Angst – vor einer Zukunft mit Inflation und sozialem Abstieg, vor Depression, gesellschaftlicher Bedrohung und Krieg. Die Angst vor Knappheit und Einschränkung, vor Verlust von Sicherheit, Arbeit und Wohlstand sitzt bereits tief in den Köpfen. Sie verschreckt zudem die Menschen mit der drohenden Verwandlung in einen Klimastaat, Umverteilungsstaat, Überwachungsstaat, gescheiterten Staat, einen durch-digitalisierten, totalen Staat – mit Ideen und Ideologien, die nicht dem Erhalt, sondern der Transformation des als überkommen betrachteten Gemeinwesens und Gemeinsinns dienen sollen. Man regiert wieder voll von oben nach unten.

Und manch ein Bürger hat schon Angst vor der Meinung Anderer. Man hat sie ihm systematisch eingeredet: Die Freiheit der Anderen als Bedrohung des sozialen Friedens ist ja schon als „Narrativ“ gesellschaftsfähig. Anscheinend macht die Demokratie an sich schon Angst, als Garant von Freiheiten, derer sich frei zu bedienen vielen schon als anrüchig gilt. Also wird die Demokratie infrage gestellt, nicht expressis verbis, sondern indirekt, quasi selbstkritisch im Ego-Imperativ, räsonierend und heuchlerisch im Gewande der moralischen Bedenkenträger. Geradezu von solchen Menschen wird die Demokratie malträtiert, die sie zu schützen vorgeben. Es ist nämlich „ihre“ Demokratie, aus der sie so gern andere ausschließen. 

Die Unwucht fängt dort an, wo sie eigentlich ausgewuchtet gehört: im Parlament und der Regierung, bei den „Volksvertretern“. Fehlentscheidungen, Zaudern, Aussitzen, Ignorieren, ideologische statt rationale Politikmotive, Anmaßung, Bevormundung, Wirklichkeitsverweigerung. Dabei wird der Misthaufen immer höher und fängt im Innern an zu schwelen.

Paragrafen-Dschungel und Verwaltungsorgien

Das Hinwenden zum Noch-mehr-vom-Selben: Gesetze und Verordnungen zur Schurigelei und Einhegung des Bürgers, Paragrafen-Dschungel, Verwaltungsorgien, hermetische Systeme, aus denen keiner schlau wird, aus denen es kein Entkommen gibt. Sie beschleunigen den Tod des freien Unternehmertums: Wirtschaftlichkeit und Gewinnorientierung sind plötzlich unmoralische Kriterien des letzten Jahrtausends, stattdessen gibt es Regulierung, Einmischung, Generalverdacht, Datenschutz, „Compliance“. Und, und, und. Gesinnungsstaatliche Subventionen, Klientelpolitik, Lobbyismus und Intransparenz sind die Folgen einer massiven Einmischung in die Prozesse des freien Marktes: So steigt die Staatsquote unaufhörlich zum Wohle derer, die verwalten oder die Hand aufhalten.

Der Staat und seine Verwaltungen nehmen immer mehr Formen von Selbstzweck an. Deshalb neigen sie zur Dysfunktionalität. Bürger bekommen keine Termine, Leistungen des Staates benötigen Monate zur Erfüllung, Genehmigungen werden verschleppt, es wird Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen. Überlastung ist das Zauberwort, mit dem die interne, planerische Unfähigkeit und strukturelle Fehlentscheidungen einer externen Ursache zugeschoben werden. Die herbeigeredete corona-bedingte Überlastung des Gesundheitssystems beispielsweise war nicht von massenhaft intensivmedizinisch zu behandelnden Covid-Kranken verursacht, sondern von Sparkommissaren aus dem Gesundheitsministerium angelegt worden. Aber das Zauberwort „Überlastung“ bemäntelt ideal den wahren Charakter des Problems.

Obrigkeitsgestus, Scheißegal-Haltung, Arroganz und Verachtung für die Sorgen der „kleinen Leute“ sind symptomatisch. Es zeigt sich eine zunehmende Vertuschungs-Mechanik bei staatlichem Missmanagement – am Beispiel der gerade massiv zutage tretenden Impfschäden am besten abzulesen – die von staatlicher Seite weder aktiv beantwortet oder dokumentiert noch aufgearbeitet werden. Das sind die Komponenten eines „failed state“, auf dessen abschüssiger Piste wir uns bereits befinden.

Fetter Kuckuck im Nest des Bürgertums

Deutschlands Misere ist größtenteils selbst verschuldet. „Man“ hat es nicht mehr im Griff, zu komplex ist die Problemlage, man ist mit erdrutschartigen Verschiebungen konfrontiert, die Jahrzehnte gepflegte Gewissheiten nun einfach überrollen. Und da man gewohnt ist, ideologisch statt pragmatisch an die Sache heranzugehen, versucht man es mit geliehenem Geld und kleinen, nicht durchdachten Zuwendungen an den „wunden Volkskörper“. Das „Neun-Euro-Ticket“ und das sogenannte „Entlastungspaket“, also die Benzinpreisregulierung durch Steuersenkung, sollen den Unmut der Bürger abmildern, zeigen aber, dass den Politikern nur kurzgedachte Marktregulation einfällt. Man muss erwähnen, dass diese Eingriffe deshalb notwendig erscheinen, weil sie von der Politik selbst verursacht worden sind. So wird der Misthaufen nicht abgetragen, sondern mit Schulden und Effekten in die falsche Richtung höher gemacht.

Dazu kommt ein verzerrtes Selbstbild, gepaart mit einem moralistisch hochgejubelten Anspruchsdenken und den daraus erwachsenden sozialen, ökologischen und ökonomischen Utopien. Sie stehen im krassen Gegensatz zu der kleinkrämerischen Verwaltungshysterie, der Inkompetenz der „ausführenden Organe“ und dem Mangel an Realitätssinn – leider auch im gesinnungsgeformten Bürgertum. Der Staatsapparat ist ein fetter Kuckuck im Nest des Bürgertums, dessen Brutpaar den Brummer nun bis zur völligen Erschöpfung füttern muss.

Nun ufert die Staatsquote aus. Sie beschreibt das Verhältnis zwischen den Staatsausgaben und dem Bruttoinlandsprodukt. Man kann sagen, dass diese Zahl angibt, was Regierung, Behörden und Beamte ausgeben, und was die Bürger durch Arbeit und Mehrwertschöpfung erwirtschaften. Je höher die Staatsquote ist, umso mehr haben jene Leute ausgegeben, die von Steuern und Abgaben der Bürger und Unternehmen leben. „Bei einer Staatsquote von 50 Prozent beginnt der Sozialismus“, hat einmal Helmut Kohl gesagt. Wenn wir ihm glauben wollen, sind wir heute schon mittendrin im Sozialismus. 

Keine guten Anzeichen für die Zukunft des Landes

Die Verwaltungskosten und Beamtengehälter, Investitionen, Sozialleistungen und Subventionen, quasi alle Kosten des bundesrepublikanischen Betriebs auf der einen und die Einnahmen aus der Arbeit der Bürger auf der anderen Seite, ergeben also die Staatsquote – zugegebenermaßen eine recht biegsame Zahl, je nach Zählmethode. Sie ist in den letzten zwei Jahren auf fast 52 Prozent gestiegen, 2015 lag sie noch knapp unter 44 Prozent. 

Die gesellschaftliche Unwucht, die Ängste der Deutschen, ihre Staatsgläubigkeit und ihre Politikferne zugleich, der zunehmende Selbstzweck des „Apparats“, genährt von einer bedenklichen Staatsquote und der Arroganz des Obrigkeitsstaates, sind keine guten Anzeichen für die Zukunft des Landes. Immer deutlicher tritt hervor, dass der Bundesrepublik Deutschland ein historisch gewachsenes Identitätsproblem zu schaffen macht, das sich in Selbstüberschätzung und Mittelmaß manifestiert. Man will sich zwar immer wieder zum Exempel von Exzellenz erheben, aber man taugt gar nicht dazu. Die Deutschen attestieren sich selbst gerade nur Schwäche und getrübte Wahrnehmung. Zu wenig, um irgendetwas zu gelten.

Unsere Eliten sind im festen Glauben, dass das Haarige, in das sie sich verbissen haben, eine vorübergehende Phase schwieriger Umstände ist – aber es ist der eigene Schwanz. Sie drehen sich um sich selbst, ein egomanisches Schleudertrauma hat sie ergriffen, ein Schwindelanfall. Sie haben das Ganze aus den Augen verloren im Vertigo ihrer Selbstüberschätzung.

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Harald Unger / 18.06.2022

../3 “Man könnte geneigt sein, die Schilderung von der schönen, vernünftigen Verfassung der fränkischen Monarchie unter Karl dem Großen, die sich als stark, groß und ordnungsvoll nach innen und außen gezeigt hat, für eine leere Träumerei zu halten; dennoch hat sie bestanden, aber diese ganze Staatseinrichtung war nur durch die Kraft, die Größe und den edlen Sinn dieses Individuums gehalten und war nicht auf den Geist des Volkes gegründet, nicht lebendig in denselben eingegangen, sondern nur ein äußerlich Auferlegtes, eine apriorische Konstitution. Was vielmehr die Wirklichkeit einer Verfassung ausmacht, ist, daß sie als objektive Freiheit, substantielle Weise des Wollens, als Verpflichtung und Verbindlichkeit in den Subjekten existiert. Aber für den germanischen Geist, der nur erst als Gemüt und subjektive Willkür war, war noch keine Verpflichtung vorhanden, noch keine Innerlichkeit der Einheit, sondern nur eine Innerlichkeit des gleichgültigen, oberflächlichen Fürsichseins überhaupt. Auf diese Weise war jene Verfassung ohne festes Band, ohne den objektiven Halt in der Subjektivität; denn es war überhaupt noch keine Verfassung möglich.”

S. Marek / 18.06.2022

Die Anlehnung auf die Redewendung, „einen Augiasstall ausmisten“, ist in der politischen Rhetorik gebräuchlich und wäre hier der Aufgabe angemessen. In der Regel wird sie bei der Aufdeckung von Korruption oder der Beseitigung mißliebiger Zustände verwendet und bedeutet so viel wie „gründlich aufräumen“. Wenn nicht so viele bereits der politischen Impotenz und in Lethargie verfallen wären könnten die Deutschen auf Herakles warten aber die Zeit ist bereits viel zu spät dafür.  Die Jauche steht den Menschen bereits bis zur Oberlippe, aber die meisten wollen es nicht bemerkt zu haben und zeigen wütig auf die “Querulanten” die auf den Mißstand hinweisen als ob die dessen Schuldig wären.

F.Bothmann / 18.06.2022

Deutschland ist in der Tat zu einem Beamtenfeudalstaat verkommen. Hervorragend wurde dies zuletzt mit den Bildern vom Hambacher Fest dokumentiert. Wegen dieser riesigen Staatsquote ist der Staat nicht mehr für seine Bürger da. Er ist von seinem Leistungsanspruch, von seinen Kompetenzen her und moralisch verfallen. Man kann deshalb in der Tat einen „failed state“ konstatieren. Das staatliche Handeln delegitimiert sich zusehends selber. Dass staatliche Stellen (bspw. der Verfassungsschutz) dies nun auf die Bürger projizieren, ist ebenso Ausdruck der inneren Krankheit. Es braucht einen absoluten Neustart. Die BRD/DDR 2.0 muss zu einem echten demokratischen und marktwirtschaftlichen Land wieder umgewandelt werden.

Rainer Niersberger / 18.06.2022

Alles soweit richtig und die Aussichten fuer den failed state sind sehr truebe. Nur sollten wir dabei nicht die Taeter der Transformation “vergessen”. Das, was da laeuft, ist weder Zufall, noch Dummheit WEF und Co wissen, was sie wollen und was sie zur Zielerreichung tun müssen. Der auf Hochtouren laufende Kampf des Regimes gegen die Buerger hat Methode.  Diese Absicht kommt leider grundsaetzlich immer etwas zu kurz, egal um welches Thema es geht. Obwohl sich alles zusammenführt und Unwissenheit nun beim besten Willen nicht mehr als Erklärung in Betracht kommt, fehlen den Beschreibungen immer noch die Hintergründe, vermutlich auch deshalb, weil es dann folgerichtig sehr ” interessante” Fragen zur grundgesetzlich gerechtfertigten Verteidigung der Buerger gegen das Regime aufwerfen wuerde.  So kann man sich solange es geht, exakt um diese Frage des “was tun” herummogeln und die machtpolitische Frage zur Verhinderung der verelenden Transformation ausklammern. “Man” macht einfach immer weiter und kritisiert die Symptome, als ob sie reiner Zufall waeren, gegen den “man” nichts machen kann.  Dass gerade eine “Demokratie” und sogar das GG selbst bei einem totalitaeren Putsch von oben hier durchaus Alternativen und Optionen zulaesst, wird nach wie vor “ausgeblendet”. Nun denn.

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