Gastautor / 08.02.2022 / 06:15 / Foto: Itzike / 200 / Seite ausdrucken

Ein Appell an meine deutschen Freunde

Von Bernard-Henri Lévy.

Deutschlands Kollaboration mit Russland auf Kosten der Ukraine ist ein beschämender Verrat an den Errungenschaften der Nachkriegszeit.

„Tausende Amerikaner unweit der ukrainischen Frontlinie in höchster Alarmbereitschaft...“

„Der britische Premierminister ist bereit, Land-, Luft- und Seestreitkräfte zu mobilisieren ...“

„Frankreich bemüht sich um eine Deeskalation der Krise und kündigt die Entsendung eines Bataillons nach Rumänien an ...“

„Schweden mobilisiert gegen Russlands Provokationen seine Kriegsschiffe und seine Drohnen ...“

Auch wenn noch nichts gewonnen ist – ganz im Gegenteil –, ist dies die erste gute Nachricht des Jahres: Die freie Welt (und ja! wir sollten nicht zögern, „die freie Welt“ zu sagen!) reagiert auf die Drohung einer Invasion gegen die Ukraine – und Wladimir Putin beginnt, wie erwartet, sich zurückzuziehen.

Und doch gibt es eine Ausnahme: Deutschland, Europas führende Macht.

Es ist die brandneue Außenministerin der Grünen, Annalena Baerbock, die am 17. Januar in Kiew zunächst die militärische Option ablehnt und es ihrer Kollegin im Verteidigungsministerium, Christine Lambrecht, überlässt, eine groteske Lieferung von 5.000 Schutzhelmen anzukündigen.

Dann erklärt eine Reihe von sozialdemokratischen Spitzenpolitikern, wie die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, sie hätten „Verständnis für das Gefühl der Bedrohung“, das der Kreml angesichts des Wachstums der NATO empfindet.

Dann die schockierende Geschichte, dass Estland beschlossen hat, Kiew 42 Panzerhaubitzen des Typs D-30 zu schicken, bevor Deutschland es daran erinnert, dass diese Waffen einst der DDR gehörten und dass Berlin daher Gründe hat, die Ausfuhr von Estland in die Ukraine zu verbieten.

Und dann der Admiral Kay-Achim Schönbach, Inspekteur der deutschen Marine, der zum Rücktritt gezwungen wurde, nachdem er die Sprache der offensivsten russischen Propaganda übernommen hatte: dass ein freundlicher Putin nur Respekt von seinen gemeinen ukrainischen Nachbarn verlangt.

Schlimmer noch, jetzt kommt auch die Debatte über die berüchtigte „Nord Stream 2“-Gaspipeline wieder auf, die 1.230 Kilometer lang ist und unter der Ostsee verlegt wurde, um russisches Gas nach Deutschland und weiter nach Westeuropa zu leiten.

Müssen alle daran erinnert werden, dass diese Pipeline – die denselben Weg wie ihr Zwilling „Nord Stream 1“ einschlägt, der nun seit 10 Jahren in Betrieb ist – weder billigere noch bessere Energie liefern wird?

Der einzige Sinn der Pipeline ist es, Polen und der Ukraine zu schaden

Dass der einzige greifbare Effekt dieses pharaonischen Projekts, das seltsamerweise von jeder deutschen Regierung der letzten 20 Jahre begehrt wird, darin besteht, Polen und die Ukraine zu umgehen und ihnen damit – in logischer Konsequenz – wertvolle Transitgebühren zu verweigern?

Und müssen wir wiederholen, dass dieses Abenteuer für uns Europäer in der Abhängigkeit von Russland enden wird, das theoretisch jederzeit den Hahn zudrehen könnte?

Die Debatte kehrt also zurück. Die NATO schlägt Bundeskanzler Olaf Scholz vor, die Realisierung dieser absurden, nutzlosen Gaspipeline zu verschieben, gegen die die Ukrainer erneut einwenden, dass sie nur dazu da sei, sie zu schwächen. Und wenn Scholz schließlich doch einlenkt, dann nur, nachdem er seine Minister sagen lässt, dass sie es nicht zulassen wollen, dass dieses Wahrzeichen deutscher Industrie- und Finanztechnologie „in den Konflikt hineingezogen wird“.

Die Deutschen suchen Gründe, um nicht tätig werden zu müssen

Die deutschen Verbündeten der Ukraine haben ihre Hypothesen durcheinandergebracht: Einige berufen sich auf das (längst vergangene!) Erbe der Ostpolitik von Willy Brandt. Andere berufen sich auf eine alte deutsche Schuld und eine Zeit, in der, wie Paul Celan sagen würde, „der Tod ein Meister aus Deutschland war“. (Warum aber sollte diese Schuld nicht auch den Ukrainern zugutekommen?)

Eine dritte Gruppe sieht in diesem Neo-Pazifismus den Hinweis auf eine Ideologie des „Wandels durch Handel“, deren Theoretiker Samuel Pisar in seinem Werk „Les Armes de la Paix“ von vor 50 Jahren war (Pisar, um die Dinge noch komplizierter zu machen, war kein anderer als der Stiefvater und Mentor des US-Außenministers Antony Blinken.)

Und hier kommen diejenigen, die Deutschland ganz grundsätzlich misstrauen, mit ihren schrecklichen Verdächtigungen um die Ecke: Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der die verfluchte Pipeline initiiert hat und der sich nach ihrer Fertigstellung selbst an Gazprom verkauft ... der Leiter des Projekts, Matthias Warnig, ein ehemaliger Stasi-Offizier (der von 1986 bis 1989 in Düsseldorf für die DDR spionierte), der im selben Team wie der junge Wladimir Putin spielte ... ganz zu schweigen von den drei Firmen, die von der US-Regierung auf die schwarze Liste gesetzt wurden, weil sie im Verdacht stehen, an der Entwicklung jener chemischen Waffen beteiligt gewesen zu sein, mit denen Russland Alexej Nawalny vergiftet hat.

Angesichts dieser Verwirrung, liebe deutsche Verbündete und Freunde, gibt es nur eine Lösung.

Erwecken Sie den Geist von Konrad Adenauer, Walter Hallstein, Wilhelm Roepke, den antinazistischen und antistalinistischen Gründervätern der Europäischen Union, wieder zum Leben!

Das Land des kategorischen Imperativs

Vergessen Sie nicht, dass Ihr das Land des kategorischen Imperativs von Kant, des Verfassungspatriotismus von Habermas und davor einer leichten nietzscheanischen Weisheit seid.

Und hören Sie auf diejenigen, die sich wie ich erlauben, Sie zu ermahnen: Freunde der Wissenschaft und der Philologie, Schüler von Hölderlin und Novalis, Erben von Thomas Mann, Adorno und der Gräfin Dönhoff, Bewohner jener Lorelei des Denkens und der Schönheit, die, wie der französische Dichter Guillaume Apollinaire sagen würde, alle Europäer um sie herum in Ohnmacht fallen ließ – Sie haben etwas Besseres verdient, als Putins Fußabtreter zu sein.

This story originally appeared in English in Tablet magazine, at tabletmag.com, and is reprinted with permission. Die englische Originalfassung findet sich hier.

 

Bernard-Henri Lévy  ist ein französischer Journalist, Publizist und Mitbegründer der Nouvelle Philosophie. Er schreibt regelmäßig für das Wochenmagazin Le Point, ist einer der Direktoren des Verlagshauses Éditions Grasset, er gibt die alle vier Monate erscheinende Zeitschrift La Règle du Jeu heraus, und er ist Anteilseigner der Tageszeitung Libération.

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Jochen Knödler / 08.02.2022

Auf die offensichtliche Einseitigkeit der Auswahl der Philosophen und Argumente, möchte ich gar nicht eingehen. Nur ein Gedanke: Der 1. WK kam u.A.dadurch zu Stande, dass die Monarchien um ca. 1900 am Implodieren waren. Sie brauchten außenpolitische Erfolge um sich weiter halten zu können. Seit spätestens 2020, ich denke aber weit früher, wird die Krise der Freien Welt offenbar, die sich von Klima, Corona, Gendern, BLM usw. ins Bockshorn jagen lässt. Auch das Scheitern in Afghanistan, Die Effekte die von Alexis de Tocqueville beschrieben wurden, sind für mich hier offensichtlich. Irak, Syrien, Libyen soll nur kurz erwähnt sein. Eine dauerhafte Friedensordnung ist nur mit, nicht gegen Russland möglich. Das war schon die Erkenntnis des Wiener Kongresses. Und nur dann kann die freie Welt in Europa überleben. Lieber Herr Levy, wie würden Ihrer Meinung nach die USA reagieren, wenn russisches Militär z.B. in Mexiko stünde?

Max Anders / 08.02.2022

Tja, auch Achse Leser müssen mal andere Meinungen aushalten. Auch die von einem bekennenden Maidan Anhänger. Objektiv geht anders und auch hier zeigt sich wieder quer durch die Gesellschaft das Festhalten am transatlantischen Kurs vs. Miteinander und Akzeptanz von Realitäten in Mittel-Osteuropa. Putin hat schon genug Nato in seinen Vorhöfen, es ist legitim, daß er sich im Fall der ehemaligen ukrainischen Sowjetrepublik nun auch wehrt. Und “wir Westler” sollten uns fragen, ob uns dieses durch und durch korrupte Land einen militärischen Konflikt wert ist, damit die amerikanische Einflußsphäre weiter ausgebaut werden kann.

August Klose / 08.02.2022

“,,,Verfassungspatriotismus von Habermas…” Soll ich nun weinen oder lachen? Ansonsten ein antirussischer Aufsatz, der v.a. einseitige Sichtweise reflektiert.

Karsten Kaden / 08.02.2022

Der Artikel ist unerträgliche Propaganda. Im Gegensatz zu dem von westlichen Qualitätsmedien verbreiteten Geschrei sieht der ukrainische Präsident persönlich keine Kriegsgefahr. In einer Rede hat er klargemacht, daß diese nur vom Westen herbeigeredet wird. Man kann von Putin halten, was man will, aber er ist ganz gewiss nicht so dumm, in die Ukraine einzumarschieren und damit einen dritten Weltkrieg zu risikieren. Allerdings scheint es gewisse Kreise zu geben, die den Konflikt regelrecht herbeisehnen. Und daß deren Polemiker hier auf der Achse eine Bühne gewährt wird, finde ich entsetzlich.

Dr. Klaus Jürgen Bremm / 08.02.2022

Franzosen und Briten können ja wieder, wie schon 1854, auf der Krim landen und Sewastopel belagern. Damals haben sich die Preußen übrigens auch verweigert. Um es kurz zu sagen. Dieser Franzose betreibt nur üble Kriegstreiberei. Was soll bitte schön bei diesem Backenaufblasen herauskommen? Der “Westen” kann keinen Krieg mehr führen. Folglich kann er auch nicht mehr damit drohen, um die andere Seite einzubremsen. Ein französisches Bataillon nach Rumänien und 42 alte Panzerhaubitzen in die Ostukraine lösen in Moskau nur olympisches Gelächter aus. Vielleicht noch 200 Jungen und Mädels aus deutschen Landen ins Baltikum. Gut die Hälfte der Männer in der BW sind übrigens Deutsch-Russen. Merkt dieser Franzose eigentlich noch was??

Ruth Hellweg / 08.02.2022

Sind Sie nicht ganz bei sich, guter Mann? Was hat Deutschland genau mit der Ukraine zu schaffen, diesem durch und durch korrupten Land, dessen Politiker sich erdreisten, die unverschämtesten Forderungen zu stellen und die Hand aufzuhalten? Was genau bitte???

Winfried Jäger / 08.02.2022

Habe ich etwas falsch verstanden? Nord Stream 2 führt zur Abhängigkeit von russischem Gas. Eine Pipeline durch die Ukraine und Polen etwa nicht? Der Unterschied ist, daß letztere durch 2 weitere Staaten verläuft und Durchleitungsgebühren anfallen. Theoretisch können uns dadurch 3 Staaten den Hahn abdrehen. Auch wenn man es in Frankreich nicht gewohnt ist, mit Nord Stream 2 werden ausnahmsweise mal deutsche Interessen verfolgt. Von einem pharaonischen Projekt zu reden ist im übrigen völlig daneben.

Thomas Hoffmann / 08.02.2022

Nord-Stream 2 wird also teures Gas liefern, weil man damit Transitgebühren spart? Und Putin wird uns den Gashahn zudrehen - der Putin, der bisher alle Verträge eingehalten hat und aktuell zu sehr günstigen Preisen liefert?! Ja, da hat Habeck schon Recht, wenn er das teure und besonders umweltfreundliche Fracking Gas unserer amerikanischen Freunde bevorzugt und das billige Russengas mit Gewinn nach Polen verkauft.

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