Vera Lengsfeld / 19.04.2009 / 18:52 / 0 / Seite ausdrucken

Doppeltagebuch 1989/2009- 19.April

Nach der Wiederzulassung der Gewerkschaft Solidarnosc sprechen sich im Deutschen Bundestag alle Fraktionen dafür aus, den Reformprozess in Polen wirtschaftlich und finanziell zu unterstützen. Damit hat das Parlament auf die außerordentlichen Entwicklungen erstmals aktiv reagiert. Die Medienöffentlichkeit nimmt diesen Schritt nur am Rande zur Kenntnis. Für „Bild“ ist die Verhaftung des Milliardärs Kashoggi viel interessanter. „Aus dem Luxusbett in die Zelle“, lautet die Schlagzeile des Tages.
Im „Neuen Deutschland“ wird die Vertiefung der „allseitigen Zusammenarbeit“ von DDR und Tschechoslowakei beschworen.

Die Frage, ob die untergegangene DDR ein Unrechtsstaat war, wird weiter heftig diskutiert. Im „ Kurier am Sonntag“ hat sich der notorische Gregor Gysi zu Wort gemeldet. „Die DDR war zwar eine Diktatur ohne demokratische Kontrolle und kein Rechtsstaat. Es gab in ihr auch Unrecht., sie war aber kein Unrechtsstaat.“, so lautet die verquaste Formel, mit der Gysi das Publikum irreführen möchte. Unter Berufung auf den Altbischof Albrecht Schönherr, begründet Gysi seine Behauptung damit, dass die DDR niemals einen Krieg angezettelt oder Massenmorde begangen habe. Als Satellitenstaat der UdSSR wäre sie dazu auch nicht in der Lage gewesen. Sie besaß nicht die Souveränität, einen Krieg anfangen zu können. Als Mitglied des Warschauer Paktes war sie aber jederzeit bereit und in der Lage, sich an einem Krieg zu beteiligen, auch an einem Vernichtungskrieg gegen die Westliche Welt. Die Armee der DDR hat Soldaten jahrzehntelang dazu erzogen, den Klassenfeind zu hassen und zu vernichten, wenn es möglich sein sollte. Dass es nicht zum Krieg kam, lag nicht an der außerordentlichen Friedensliebe der Kommunisten, sondern an der besonderen Situation, die in der zweiten Hälfte des blutigsten Jahrhunderts der Menschheitsgeschichte, die einen Dritten Weltkrieg verhindert hat. Dass die Nationale Volksarmee 1968 in der Tschechoslowakei in letzter Sekunde bei der Niederschlagung des Prager Frühlings nicht im vollen Umfang zum Einsatz kam, ist wiederum nicht der DDR-Führung zu verdanken, die ihre Truppen bereits an der tschechischen Grenze in Stellung gebracht hatte, sondern der Überlegung,
dass es keine so gute Idee wäre, deutsche Soldaten gegen Tschechen und Slowaken kämpfen zu lassen. Ein Nachrichtenbataillon hatte schon die Grenze überschritten. Was die Massenmorde betrifft, hat es sie in der DDR zwar tatsächlich nicht gegeben. Aber sie war Teil des Sowjetischen Blocks. Die Herrschenden in der DDR hatten sich die Sowjetunion zum Vorbild genommen und verkündeten von Anfang bis Ende, dass sie einen Staat nach sowjetischem Vorbild errichten wollten. Die Mehrzahl der führenden Parteimitglieder kam aus dem sowjetischen Exil, in dem sie den massenhaften Mord an Kommunisten miterlebt und mitverschwiegen hat. Das Sowjetregime war verantwortlich am größten Massenmord an Kommunisten, der im letzten Jahrhundert verübt worden ist. Neben den Kommunisten traf es aber auch Bauern, von denen geschätzte 10 Millionen allein in der Ukraine systematisch verhungert wurden, polnische Offiziere, die nach dem Hitler-Stalin-Pakt im Zuge des Einmarsches der Roten Armee in Ostpolen hingerichtet wurden. Die Liste ließe sich verlängern. Wenn es an etwas nicht gemangelt hat, in der Geschichte des Kommunistischen Weltsystems, als dessen Teil die DDR-Führung sich ausdrücklich verstand, dann waren es politische Massenmorde. Insofern ist die DDR mitverantwortlich für die Massenmorde, die im Namen des Kommunismus begangen wurden. Deshalb laufen Gysis Ausführungen auf eine Verharmlosung der Kommunistischen Verbrechen hinaus.

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